Die Bewegung von Zellen im menschlichen Körper, auch Zellmigration genannt, spielt eine zentrale Rolle für unser Immunsystem. Immunzellen müssen sich schnell und flexibel durch unterschiedliche Umgebungen bewegen. Nur so können sie ihre Aufgaben zuverlässig erfüllen. Weiße Blutzellen zirkulieren über den Blutstrom im Körper. Wenn nötig, verlassen sie die Blutgefäße und wandern gezielt durch das Gewebe zu den Stellen, an denen sie gebraucht werden – etwa zur Bekämpfung von Viren. Doch Zellmigration ist nicht immer nützlich. Auch Krebszellen nutzen diesen Mechanismus. Sie können sich durch den Körper bewegen, in andere Gewebe eindringen und dort Metastasen bilden. Deshalb ist es entscheidend, die Zellmigration genau zu verstehen – sowohl für neue Medikamente als auch für bessere Therapien.
Wie Immunzellen sich fortbewegen
Im Vergleich zu anderen Zelltypen bewegen sich Immunzellen besonders schnell. Ihr Antriebssystem besteht aus feinen Proteinstrukturen: den Aktinfilamenten. Diese bilden ein dichtes Netzwerk an der Innenseite der Zellmembran. Das Netzwerk ist hochdynamisch. Ständig lagern sich neue Aktinbausteine an einem Ende der Filamente an, während sie sich am anderen Ende ablösen. Dieser ständige Umbau versetzt die Zelle in Bewegung.
Ein weiterer wichtiger Bestandteil ist das Protein Myosin. Es funktioniert wie ein molekularer Motor: Myosin verschiebt die Aktinfilamente gegeneinander und zieht das Netzwerk im hinteren Zellbereich zusammen. So entsteht ein gerichteter Fluss der Filamente von vorne nach hinten – und die Zelle bewegt sich nach vorn. Überraschenderweise zeigen Experimente, dass Zellen sich auch ohne aktives Myosin fortbewegen können. Forschende deaktivierten Myosin künstlich und beobachteten dennoch eine funktionierende Zellmigration.
Ein neuer Mechanismus ohne molekulare Motoren
Ein Forschungsteam der Universitäten Bayreuth und Grenoble hat nun herausgefunden, wie diese Bewegung ohne Myosin möglich ist. Sie entwickelten ein Modell, das zeigt: Die alleinige Umstrukturierung der Aktinfilamente reicht aus – vorausgesetzt, sie läuft schnell genug ab. Sobald die Anlagerung und der Abbau der Aktinbausteine eine bestimmte Geschwindigkeit überschreiten, verändert sich die Zellform. Aus der kugelförmigen Zelle entstehen eine Vorder- und eine Rückseite.
Im vorderen Bereich liegen die Aktinfilamente weniger dicht unter der Membran als hinten. Dadurch entstehen unterschiedliche Spannungen innerhalb der Zelle. Der vordere Bereich steht unter höherer Spannung, der hintere unter geringerer. Dieser Spannungsunterschied sorgt dafür, dass weitere Aktinfilamente von vorne nach hinten fließen. Ein sich selbst erhaltender Kreislauf entsteht – ganz ohne molekulare Motoren. Das Ergebnis: Die Zelle bewegt sich durch einen rein physikalischen Mechanismus – angetrieben allein durch die Dynamik ihres Aktinnetzwerks.
Weitere Informationen
Wissenschaftliche Ansprechpartner
Prof. Dr. Walter Zimmermann
WE Heraeus-Seniorprofessur
Theoretische Physik
Universität Bayreuth
Tel.: +49 (0)921 / 55-3181
E-Mail: walter.zimmermann@uni-bayreuth.de
Originalpublikation
Myosin-independent amoeboid cell motility. Winfried Schmidt, Walter Zimmermann, Chaouqi Misbah, Alexander Farutin. Physical Review Letters (2025)
DOI: https://doi.org/10.1103/PhysRevLett.134.158301
https://medizin-aspekte.de/erste-hebammen-schliessen-studium-in-nordbayern-ab-155572/