Zöliakie bei Kindern – zuverlässige Diagnose auch ohne belastende Magenspiegelung

Das Getreideeiweiß Gluten etwa aus Weizen, Roggen und Gerste löst bei einer Zöliakie eine abnorme Reaktion des Immunsystems aus; die Dünndarmschleimhaut wird geschädigt. Etwa ein Prozent der Kinder und Jugendlichen in Europa sind von dieser Autoimmunkrankheit betroffen, die häufig im Kleinkindalter beginnt. Einzige Therapie ist der lebenslange Verzicht auf alle glutenhaltigen Speisen. Zur Diagnosestellung veranlasst der Arzt eine Blutuntersuchung auf Auto-Antikörper gegen Gewebs-Transglutaminase (tTGA-IgA). Das sind Eiweißstoffe, die Immunzellen gegen körpereigenes Gewebe im Darm bilden. Sind sie erhöht, ist eine Zöliakie sehr wahrscheinlich. Um den Verdacht zu bestätigen, wird eine Magenspiegelung mit Entnahme kleiner Gewebeproben (Biopsien) aus dem oberen Dünndarm zum Nachweis der Darmschädigung vorgenommen. Bei Kindern wird die Untersuchung in Narkose durchgeführt.

Neue Kriterien – sind sie wirklich sicher?

In den vergangenen Jahren gab es bereits Hinweise, dass bei Kindern mit sehr hohen tTGA-IgA-Werten im Blut (über dem Zehnfachen des Normwertes) Darmbiopsien verzichtbar sind, wenn bestimmte zusätzliche Kriterien erfüllt waren. Dazu gehörten das Vorliegen von für Zöliakie verdächtigen Beschwerden, der Nachweis weiterer Auto-Antikörper (EMA-IgA) sowie genetischer Risikomarker (HLA-DQ2/DQ8). Die Europäische Gesellschaft für Kindergastroenterologie (ESPGHAN) schlug 2012 diese Kriterien für eine Zöliakie-Diagnose ohne Biopsien vor. Aber es herrschte große Unsicherheit – würde der Verzicht auf die Magenspiegelung zu falschen Diagnosen und unnützen Therapien führen?
Um die neuen Kriterien auch in der klinischen Praxis auf den Prüfstand zu stellen, initiierten Prof. Dr. Sibylle Koletzko, Leiterin der Kindergastroenterologie im Dr. von Haunerschen Kinderspital, und ihre Mitarbeiterin Dr. Katharina Werkstetter im November 2011 die große multizentrische Studie ProCeDE. Insgesamt 33 Kliniken aus 21 Ländern sammelten prospektiv Daten, Labor- und Gewebeproben von mehr als 700 Kindern und Jugendlichen mit positiven Zöliakie-Autoantikörpern.

Zuverlässige Ergebnisse

Die ProCeDE Studie konnte zeigen, dass die Kombination aus sehr hohen tTGA-IgA und positiven EMA-IgA in einer zweiten Blutprobe bei Kindern mit Symptomen eine sichere Zöliakie-Diagnose erlaubt. Die Zuverlässigkeit war unabhängig vom Land und dem verwendeten serologischen tTGA-IgA Test. Dabei kamen in den Kliniken zehn und bei Überprüfung im Zentrallabor acht verschiedene Tests zum Einsatz. Alle Patienten, die die Kriterien für eine Diagnose ohne Biopsien erfüllten (399/707), wiesen die genetischen Risikomarker auf, d.h. ihre Bestimmung ist für die Diagnose überflüssig. Die Bestätigung der Auto-Antikörper in einer zweiten Blutprobe ist dagegen immer notwendig, um seltene aber mögliche Verwechslungen auszuschließen. Ist der tTGA-IgA-Wert über die Norm erhöht, liegt aber unterhalb des Zehnfachen des Grenzwertes, wird nach wie vor die Durchführung der Magenspiegelung empfohlen. Die zusätzliche Bestimmung weiterer Antikörper, zum Beispiel gegen Deamidierte Gliadinpeptide (DGP), vermindert die Anzahl notwendiger Magenspiegelungen nicht und hat daher keinen Nutzen für den Patienten.

Einfachere Diagnose und Kostenersparnis für das Gesundheitssystem

„Die Ergebnisse schaffen endlich Klarheit und bestätigen das von der europäischen Fachgesellschaft vorgeschlagene Vorgehen“, sagt Prof. Koletzko, Leiterin der Kindergastroenterologie im Dr. von Haunerschen Kinderspital am LMU-Klinikum. „Das erspart vielen Kindern die belastende Magenspiegelung mit Narkose. Außerdem führt das zu erheblichen Kosteneinsparungen im Gesundheitssystem, da neben der Magenspiegelung auch die teure genetische Analyse nicht notwendig ist“. Aufgrund der Komplexität und der möglichen Fallstricke bei der Auswertung der Testergebnisse ist spezielles Fachwissen gefragt. Deshalb rät Prof. Sibylle Koletzko betroffenen Familien für die Diagnosestellung (mit und ohne Magenspiegelung) einen Kinder-Gastroenterologen oder einen Kinderarzt mit zusätzlichem Fachwissen für Glutenunverträglichkeit aufzusuchen. Ob auch bei Kindern ohne offensichtliche Symptome oder bei Erwachsenen eine Zöliakie ohne Biopsie sicher diagnostiziert werden kann und mit welchen Kriterien, muss in weiteren Studien abgeklärt werden.

Originalpublikation:

Accuracy in Diagnosis of Celiac Disease Without Biopsies in Clinical Practice: Werkstetter KJ, Korponay-Szabó IR, Popp A, Villanacci V, Salemme M, Heilig G, Lillevang ST, Mearin ML, Ribes-Koninckx C, Thomas A, Troncone R, Filipiak B, Mäki M, Gyimesi J, Najafi M, Dolin¹ek J, Dydensborg Sander S, Auricchio R, Papadopoulou A, Vécsei A, Szitanyi P, Donat E, Nenna R, Alliet Ph, Penagini F, Garnier-Lengliné H, Castillejo G, Kurppa K, Shamir R, Hauer AC, Smets F, Corujeira S, van Winckel M, Buderus S, Chong S, Husby S, Koletzko S, and on behalf of the ProCeDE study group (Gastroenterology 2017)

DOI: http://dx.doi.org/10.1053/j.gastro.2017.06.002

Ansprechpartner:

Prof. Dr. med. Sibylle Koletzko
Dr. rer. biol. hum. Katharina Werkstetter, MSc, MPH
Kinderklinik und Kinderpoliklinik im Dr. von Haunerschen Kinderspital
Klinikum der Universität München (LMU)
Campus Innenstadt

Tel: 089/4400-53680
E-Mail: sibylle.koletzko@med.uni-muenchen.de
E-Mail: katharina.werkstetter@med.uni-muenchen.de

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