Wenn Kinder mit den Zähnen knirschen, denken sie nicht an Bruxismus. Meist gehen besorgte Eltern zum Zahnarzt und berichten von „störendem“ Knirschen ihres Kindes. Eltern beschäftigen vor allem die Fragen: Verwächst sich das? Und: Ist das normal?
Dass Knirschen durchaus „normal“, ja sogar physiologisch sinnvoll sein kann, beantwortete Professor Radlanski anläßlich des 4. Gemeinschaftskongress Kinder – Zahn – Spange in Frankfurt. Mit Blick auf das natürliche Schädelwachstum betonte er: „Das Milchgebiss ist ein Abrasionsgebiss.“ Das Problem stelle sich mit dem Übergang zu den bleibenden Zähnen: „Dann müssen die Kinder damit aufhören! Wenn sie das Knirschen inzwischen gewöhnt sind, ist das gar nicht mehr so einfach.“
Somatische und psychische Ursachen für Bruxismus
Für Bruxismus gebe es zwei Haupt-Ursachen: somatische – und psychische. Bei manchen Kindern zeigten sich Fehlstellungen, die das orale System zu ausgleichenden Manövern nötigten und korrigiert werden müssen. Eine Zahnfehlstellung könne auch den natürlichen Abrasionsprozess behindern. Auf der anderen Seite erlebe man bei immer mehr Kindern Stress, der zu Kompensationen des Körpers führe, auch im Bereich der Kiefer und der Zähne.
Stress als Auslöser für Bruxismus ist nichts „Neues“, daran erinnerte Dr. Gundi Mindermann, stellvertretende Vorsitzende der IKG und Bundesvorsitzende des BDK in ihrem Vortrag und wies auf entsprechende Stellen in der Bibel hin. Heute unterscheide man „Knirschen am Tag“ und „Knirschen in der Nacht“: Während letzteres oft physiologisch bedingt sei, bereite ersteres viele Sorgen und verlange meist nach therapeutischer Hilfe. Kinder seien oft enorm unter Druck und nicht wenige von ihnen durch Psychopharmaka ruhiggestellt: „Vergessen Sie nicht, das in der Anamnese gezielt abzufragen, und auch, ob das Kind in kinderpsychologischer Behandlung ist.“ PD Dr. Stefanie Feierabend/Freiburg aus dem Erlebensbereich der Kinderzahnheilkunde bestätigte dies. „Wie gestört sind wir eigentlich alle“, fragte sie mit Blick auf neue Krankheitsdefinitionen, die von der Norm abweichendes Verhalten als „Gemütsrelationsstörung“ bezeichne – und therapeutisch abrechenbar mache. Der Bereich „normal“ sei viel breiter als die Medizin zulassen wolle. „Bei welchen oralen Situationen von Kindern sollten wir aber anfangen, uns Sorgen zu machen?“ fragte sie. Die stressenden Ursachen könnten in der Praxis meist nicht behoben werden, wohl aber die Folgen für das orale System gemildert.
Ungesunder Stress in der Kleinkindphase führtt später zu vorzeitigem Tod
Wie solcherart ungesunder Stress in der Kleinkindphase letztlich zu vergleichsweise vorzeitigem Tod führen kann, zeigte Prof. Dr. T. Ulrich Egle/Freiburg anhand einer Entwicklungskaskade, die bei vielen Tagungsteilnehmern auch persönliche Betroffenheit auslöste. Er erklärte die biologischen Auswirkungen von Gewalt und Vernachlässigungen auf das kindliche Immunsystem und wies hier auch auf die Problematik von Einelternfamilien als Risiko für die Kindergesundheit hin. Insbesondere die Hirnentwicklung von Kindern mit Gewalterfahrung sei betroffen: „Geschlagene Kinder haben Millionen Hirnzellen weniger – die können Stress deshalb nicht einfach runterregulieren!“ Daher steige die Stressempfindlichkeit und es zeige sich eine „unangemessene Reaktion“ auf eine Situation.
Eine seelisch stark belastete Kindheit führe zur Bildung verkürzter Telomere, die sich auch im hohen Lebensalter noch zeigen und mit vorzeitigem Tod in Zusammenhang stehen. Für eine gesunde Kindesentwicklung sei Kuscheln auch neurobiologisch eine Wohltat. Er plädierte an die Kinderzahnärzte und Kieferorthopäden, als Multiplikatoren für Kinderschutz die Prävention zu verbessern: Dies minimiere auch Formen der Stressverarbeitung wie Bruxismus.
Zahnarztpraxis mit konkreten Möglichkeiten über die erzieherischen Hinweise hinaus
Dass Praxen auch über konkrete Möglichkeiten über die erzieherischen Hinweise hinaus verfügen, zeigte Prof. Dr. Rolf Hinz mit einer Übersicht über therapeutische Maßnahmen, mit denen knirschenden Kindern akut geholfen werden könne: „Eine psychologische Ausbildung haben wir ja nicht – aber eine zahnmedizinische!“ Studien zeigten, dass frühzeitige Intervention dazu beitrage, Manifestationen bei Erwachsenen zu vermeiden. Eltern müsse man auf Parafunktionen gezielt ansprechen: „Damit suchen die Patienten Sie nicht auf – Sie müssen erst das Bewusstsein dafür vermitteln.“
Als „oraler Schmerztherapapeut“ stellte sich Prof. Dr. Jens Christoph Türp MSc./Basel vor. Er fokussierte seinen Vortrag auf die Zusammenhänge von Bruxismus und CMD bei Kindern und Jugendlichen: „Wer bruxt, hat eine sechsmal höhere Wahrscheinlichkeit, eine CMD zu entwickeln.“ Befund und Befinden sei oft nicht kongruent, für eine therapeutische Intervention sei die Schmerzbelastung des Kindes relevanter als mögliche Geräusche im Kiefergelenk. Der Leidensdruck bestimme die Therapie – eine Abweichung von der Norm allein indiziere kein ärztliches Einschreiten. Zeige sich allerdings eine Entwicklung mit ungünstigem Verlauf, die zu Schmerzen führen werde, sei eine Intervention sinnvoll. Er warnte vor einer „Lieblingstherorie zur Ursache von CMD“ und appellierte an die Einsicht, dass nicht alle Störungen behandelt werden müssten.
4. Gemeinschaftskongress Kinder – Zahn – Spange:
Kindlicher Bruxismus
Leitung: Prof. Dr. Dr. Ralf J. Radlanski/Charité
27. April 2013 im Frankfurter MARITIM
Weitere Informationen:
dental relations
Tel: 030 – 3082 4682
eMail: info@zahndienst.de