Wissenschaftler schicken Studenten ins Wasserlabyrinth

Sport ist nicht nur gut für die körperliche Verfassung eines Menschen, sondern auch für die geistige – dieser These gehen die Wissenschaftler der Professur Sportmedizin/-biologie der Technischen Universität Chemnitz seit anderthalb Jahren nach. Im Fokus des Forscherteams steht dabei die adulte Neurogenese, also die Nervenzellneubildung im erwachsenen Gehirn. Erkenntnisse hierüber könnten perspektivisch in der Therapie degenerativer Erkrankungen Anwendung finden. In diesem Zusammenhang untersuchen die Wissenschaftler, in Kooperation mit dem Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen (DZNE), Standort Dresden, ob sich das „Wasserlabyrinth nach Morris“ von Mäusen auf Menschen übertragen lässt. Dieser Schwimmtest dient bislang dazu, die Orientierungsfähigkeit und damit das Hirnareal des Hippocampus von Labornagern zu überprüfen. Die Dresdner Forscher haben in Anlehnung daran bereits einen computerbasierten Test für das räumliche Lernen des Menschen entwickelt. „Bei diesem Computer-Test stellt sich allerdings die Frage, wie valide er die Navigationsfähigkeit des Menschen in realen Umgebungen erfassen kann“, erklärt Dr. Peter Wright von der Professur Sportmedizin/-biologie. Deshalb schicken die Wissenschaftler jetzt 27 Sportstudenten der TU Chemnitz ins Wasser des Stausees in Rabenstein.

Von Labornagern zu Menschen: wissenschaftlicher Goldstandard im Test

Im „Wasserlabyrinth nach Morris“ müssen bislang Mäuse in einem runden Schwimmbecken eine nicht sichtbare Plattform finden, sich deren Position merken und sie anschließend wieder auffinden. „Das Wasserlabyrinth hat sich zum Goldstandard bei der nicht invasiven Testung der Funktion des Hippocampus bei Mäusen etabliert und wird seit mehr als 30 Jahren verwendet“, berichtet Jacqueline Böhr, wissenschaftliche Mitarbeiterin an der Professur Sportmedizin/-biologie. Zum Lösen der Aufgabe nutzen die Tiere visuelle Landmarken zur Orientierung, auf deren Grundlage eine kognitive Karte entsteht, mit der die Mäuse das Ziel von verschiedenen Startpunkten aus wiederauffinden können. Der am Deutschen Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen entwickelte Test „Dresden-Spatial-Navigation-Task“ stellt das Szenario virtuell nach. „Die Ergebnisse einer ersten computerbasierten Studie weisen darauf hin, dass die räumlichen Verhaltensstrategien zwischen Maus und Mensch übereinstimmen und dass sich das räumliche Lernen älterer Menschen durch physisches Training verbessern kann“, so Dr. Alexander Garthe vom DZNE. Die Dresdner Wissenschaftler entwickeln eine Methode der Datenauswertung, die eine Beurteilung des räumlichen Lernvorgangs in einer bisher unbekannten Detailtiefe erlaubt.

Die nun im Juni 2014 in Chemnitz stattfindende Studie – die die Dresden-Spatial-Navigation-Task überprüfen soll – besteht aus drei unterschiedlichen Tests. Im Stausee Rabenstein durchschwimmen die 27 Probanden ein kreisförmiges Areal mit 18 Metern Durchmesser und müssen eine Zielposition finden und wiederauffinden. Zum Vergleich findet unter ähnlichen Voraussetzungen ein Test an Land statt. Dabei durchqueren die Probanden in Gehgeschwindigkeit ein gleichgroßes Areal auf dem Sportplatz der TU Chemnitz am Thüringer Weg. „Wenn sich hierbei gleiche Ergebnisse zeigen, wäre diese sogenannte Dryland-Version des Tests in Zukunft besser nutzbar als das Äquivalent im Wasser“, erklärt Wright. Als drittes absolvieren die Sportstudenten den Computer-Test. Bei allen drei Versuchen durchlaufen sie vier Durchgänge. Der erste dient der allgemeinen Orientierung im Areal. Sollte ein Proband das Ziel dabei nicht finden, wird es sichtbar gemacht. In den folgenden drei Durchgängen hat die Versuchsperson jeweils fünf Minuten Zeit, um die Zielposition erneut zu lokalisieren und aufzusuchen.

Erfasst werden bei allen drei Tests die zurückgelegte Wegstrecke und die für das Auffinden der Zielposition benötigte Zeit. „Besonders interessant ist für uns die Strategie der Probanden. Dabei schauen wir uns vor allem an, wie im Verlauf mehrerer Durchgänge das Wissen für ein schnelles Wiederauffinden der Zielposition gesammelt wird. Hierbei helfen auch die Beschleunigungsdaten beim Gehen und Schwimmen“, erklärt Böhr. Hierzu kommen ein Tracking-System und eine Videoaufzeichnung zum Einsatz. Außerdem sind die Probanden mit einer Helmkamera und einem Herzfrequenzgurt ausgestattet. Um beim Test im Stausee durch die Wassertemperatur bedingte Nebeneffekte zu kontrollieren, tragen die Probanden Neoprenanzüge. Abgesichert wird der Versuch durch einen Rettungsschwimmer und einen Sanitäter. „Der Versuch im Wasser ist, vor allem was die Ausstattung betrifft, extrem aufwändig. Deshalb wurde der Schritt, diesen Test von Mäusen auf Menschen zu übertragen, bislang noch nirgendwo gegangen“, hebt Wright hervor.

Running vs. Drumming: Auswertung von Pilotstudien läuft

Seit dem Frühjahr 2013 haben die Chemnitzer und Dresdner Wissenschaftler bereits zwei neurowissenschaftliche Pilotstudien durchgeführt. Beide Untersuchungen befassten sich mit den Effekten körperlicher Aktivität auf das räumliche Lernen bzw. die Hirnplastizität. „Zunächst haben wir untersucht, inwieweit sich unterschiedliche Belastungsintensitäten sowie die Belastungsdauer auf das räumliche Lernen auswirken“, sagt Wright und ergänzt: „Die Auswertung der Daten läuft aktuell noch. Doch es lässt sich schon sagen, dass Ausdauertraining tatsächlich einen positiven Effekt hat.“ Im zweiten Schritt haben die Forscher zwei Belastungsformen verglichen: Während eine Probandengruppe gelaufen ist, stand bei der Vergleichsgruppe eine weniger körperlich anstrengende, aber koordinativ hoch anspruchsvolle Belastung auf der Agenda: Die Probanden lernten Schlagzeugspielen. „Das Drumming, mit dem wir uns bereits im Rahmen des Projektes `The Drum Beat´ seit Jahren intensiver beschäftigen, hat Studien zufolge positive Effekte auf die Hirnleistung“, so Wright.

Weitere Informationen erteilen Dr. Peter Wright, Telefon 0371 531-35590, E-Mail peter.wright@hsw.tu-chemnitz.de, und Jacqueline Böhr, Telefon 0371 531-39284, E-Mail jacqueline.boehr@hsw.tu-chemnitz.de.

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