Seit den 1980er-Jahren werden schwangeren Frauen in der Schweiz routinemässig Tests angeboten, damit sie herausfinden können, ob das Ungeborene richtig liegt und sich gut entwickelt – und um allenfalls schon vor der Geburt therapeutische Massnahmen oder andere Vorkehrungen einzuleiten. Obschon die gängigen Untersuchungen relativ zuverlässige Ergebnisse liefern, ist ihre Aussagekraft nicht absolut. Insbesondere, wenn sie auf eine mögliche Krankheit des Embryos hindeuten, wird der werdenden Mutter eine vertiefte Abklärung empfohlen. Bis jetzt mussten dazu Zellen aus dem Mutterkuchen oder Fruchtwasser entfernt werden. Diese invasiven Eingriffe erhöhen allerdings das Risiko für eine Fehlgeburt.
Seit Kurzem sind nun auch sogenannte nicht-invasive Pränataltests (NIPT) verfügbar, für die der schwangeren Frau einzig Blut entnommen werden muss. Daraus lassen sich Fragmente des fötalen Erbmaterials gewinnen, das sodann auf allfällige genetische Defekte untersucht wird. Diese nicht-invasiven vorgeburtlichen Tests sind deutlich risikoärmer als die Verfahren, bei denen der Plazenta Zellen entfernt oder Fruchtwasser punktiert werden muss. Zudem gestatten es die NIPT, insbesondere das Down-Syndrom (Trisomie 21) im Fall eines erhöhten Ausgangsrisikos mit einer Sicherheit von 99 Prozent vorherzusagen. Dadurch werden Frauen weniger oft mit falsch-positiven Testresultaten belastet, zudem sinkt der Bedarf an invasiven Untersuchungen – und damit auch die Zahl der Fehlgeburten, die durch solche Untersuchungen verursacht werden.
Die NIPT kommen der Selbstbestimmung der schwangeren Frauen zugute, weil sie sich für eine vorgeburtliche genetische Untersuchung entscheiden können, ohne nachteilige Folgen für die Gesundheit des Fötus befürchten zu müssen. Zudem stärken die Tests das elterliche Paar in seinem Recht auf Wissen und liefern Entscheidungsgrundlagen, wenn es um die Frage geht, ob die Schwangerschaft fortgeführt oder abgebrochen werden soll.
Mit einer breiteren Anwendung der NIPT sind jedoch gleichzeitig auch viele offene Fragen verbunden. Welche Tests sind sinnvoll? Wie gehen die Betroffenen mit den Informationen um und sind sie sich der Grenzen der Aussagekraft der NIPT bewusst? Wie wird die Beratung sichergestellt? Geraten Frauen zunehmend unter Druck, gesunde Kinder zu gebären, weil risikoarme Tests zur Verfügung stehen, und wird das die gesellschaftliche Akzeptanz von Behinderungen beeinflussen? Darf alles getestet werden oder ist die Neugierde in Grenzen zu halten – und wenn ja, warum, und wer legt diese Grenzen fest?
Die wichtigsten Empfehlungen der TA-SWISS-Studie:
Damit die Vorteile der vorgeburtlichen genetischen Untersuchungen zum Tragen kommen, ist eine fundierte und unabhängige Beratung ohne Zeitdruck unerlässlich. Zudem darf sich dieses Beratungsgespräch nicht auf medizinische Aspekte beschränken, sondern sollte nebst der individuellen auch die gesellschaftliche und ethische Sachlage berücksichtigen.
Medizinische Fachgesellschaften müssen Beratungsqualifikationen und -standards festlegen und Guidelines entwickeln, die eine sinnvolle Integration neuer Untersuchungsverfahren in die klinische Patientenversorgung ermöglichen. Zu erwägen ist zudem die Schaffung eines Ausbildungsgangs für Genetic Counselors, d.h. von Fachkräften, die für die genetische Beratung qualifiziert sind, und die Schaffung zentraler interdisziplinärer Anlaufstellen an universitären Zentren.
Die neuen Analysen müssen so in die etablierten Prozeduren der Schwangerschaftsbegleitung eingeordnet werden, dass sich die medizinische Versorgung werdender Mütter gegenüber heute nicht verschlechtert. So bleibt die Ultraschalluntersuchung unabdingbar, weil sie nicht nur Hinweise auf eine mögliche Trisomie 21 gibt, sondern auch Rückschlüsse auf vitale Eigenschaften des Embryos gestattet, die nicht mit seiner genetischen Ausstattung zusammenhängen.
Routinisierungseffekte gilt es zu vermeiden. Schwangere Frauen müssen weiterhin ihr Recht auf Nichtwissen wahrnehmen dürfen. Es soll ihnen überlassen bleiben, ob und wenn ja, welche Untersuchungen sie in Anspruch nehmen wollen. Zudem sollte den Frauen bewusst sein, dass mit den Tests genetische Anomalien untersucht werden, die nicht therapierbar sind.
Die vorgeburtlichen genetischen Analysen sind zuverlässig, ihre Trefferquote liegt jedoch nicht bei hundert Prozent. Selbst bei der Trisomie 21 kann es vereinzelt zu falsch-positiven Ergebnissen kommen; andere genetische Anomalien führen wahrscheinlich gar zu höheren Fehlerquoten. Bei einem auffälligen Befund muss also der schwangeren Frau nach wie vor ein invasiver Test zur Diagnosestellung empfohlen werden.
Generell sollte der Anwendungsbereich der Untersuchungen gesetzlich nicht eingeschränkt werden, da nur die Frau einschätzen kann, welche Informationen sie benötigt, um ihrer zukünftigen Verantwortung und Sorge als Elternteil gerecht zu werden. Zudem könnten gesetzliche Einschränkungen als diskriminierende Werturteile über die Schutzwürdigkeit verschiedener menschlicher Lebensformen verstanden werden. Allerdings sollten nur solche Informationen mittels Tests erhoben werden, die den Zielen der reproduktiven Selbstbestimmung und der zukünftigen elterlichen Verantwortung dienen.
Studie
Wissen können, dürfen, wollen? Genetische Untersuchungen während der Schwangerschaft.
Susanne Brauer, Jean-Daniel Strub et al., TA-SWISS, Zentrum für Technologiefolgen-Abschätzung (Hrsg.). vdf Hochschulverlag an der ETH Zürich, 2016. Kann im Open Access unter www.vdf.ethz.ch auch kostenlos als e-Book heruntergeladen werden.
Unterstützt wurde die Studie von der Kommission für Technologie und Innovation
(KTI), der Nationalen Ethikkommission im Bereich der Humanmedizin (NEK)
und der Schweizerischen Akademie der Medizinischen Wissenschaften (SAMW).
Kurzfassung der Studie
Wenn die Zukunft in den Genen liegt. Nicht-invasive pränatale Tests und ihre Folgen.
TA-SWISS (Hrsg.), Bern 2016.
Die Kurzfassung und weitere Informationen zu Projekt und Studie auf der Webseite von TA-SWISS (siehe unten):