Wirtschaftliche Spritzteilfertigung bei medizinischen Einwegkanülen

Einwegkanülen

Technische Produkte in partikelarmer Umgebung herzustellen hat im Bereich Medizintechnik schon Tradition. Während sich andere Sparten und Branchen schwertun, den Sinn einer Spritzgießproduktion im Reinraum nachzuvollziehen, hat sich Reinraumtechnik in den Bereichen Medizin und Pharmazie längst durchgesetzt. Welchen Reinheitsanforderungen muss die Umgebung beim Fertigungsprozess medizintechnischer Produkte genügen. Und wie sehen die Produktionsstandards bei Einwegkanülen von heute aus?

Inhalt:

  • Gesteigerte Dokumentationspflicht im Reinraum
  • Automatisierungsgebot für ein Mehr an Wirtschaftlichkeit
  • Schon ein Staubkorn zu viel
  • Rein oder raus?
  • Partikelfaktor Mensch
  • Moderne Kanülen-Herstellung

Gesteigerte Dokumentationspflicht im Reinraum

In der internationalen Kunststoffwelt von heute gehört die Verarbeitung von Duroplast, Fest- und Flüssigsilikon wie auch Biopolymeren mittlerweile zum Produktionsalltag. Verschiedene technische Verfahren wie In-Mould-Labelling, Mehrkomponenten-Spritzgießen, Mikro-Spritzgießen, Pulver-Spritzgießen oder auch Reinraumanwendungen stehen bereit, um einer ständigen wachsenden Nachfrage aus Industrie und Handwerk gerecht zu werden.

Gerade für die Fertigung von medizinischen Einwegartikeln wie Kanülen wird seit Jahren die Reinraumtechnik in der Spritzgießverarbeitung angewandt. Vollelektrische Spritzgießmaschinen kleben herkömmlicherweise die Injektionsnadeln ein, neuere Techniken etwa führen die Nadeln über ein Needle Feed System (NFS) vereinzelt der Fertigungszelle zu. Danach wird die Nadel direkt mit einem Kunststoff umspritzt.

Um eine eventuelle Kontamination auszuschließen, müssen die Teile nicht nur reinraumgerecht produziert werden, auch ist beim Herstellungsprozess eine lückenlose Dokumentation und Nachvollziehbarkeit vom Gesetzgeber geregelt.

Die Dokumentationsanforderungen ergeben sich aus den Richtlinien und Normen, insbesondere EN ISO 14644. Ihr Umfang übersteigt dabei bei weitem den für den normalen Maschinenbau üblichen Rahmen. Insbesondere die für die Reinraumanforderung notwendigen Konstruktionsdetails wie Maschinenkonfiguration, Funktionsbeschreibungen und Reinigungshinweise müssen dokumentarisch nachgewiesen werden, um einen höchstmöglichen Produktionsstandard bei der Spritzgieß-Herstellung hochsensibler Medizinprodukte zu gewährleisten.

Automatisierungsgebot für ein Mehr an Wirtschaftlichkeit

Reinheitsanforderungen sind in den letzten Jahren kontinuierlich gestiegen. Da jede Verunreinigung Folgen haben kann, müssen auch die verwendeten Werkstoffe hoch-rein sein. Zudem kommt der wirtschaftliche Druck der Hersteller, Fertigteile heutzutage vollautomatisch und in großen Stückzahlen herzustellen, um die Kosten niedrig zu halten und konkurrenzfähig zu bleiben.

Reinraumtechnik verursacht nicht nur mehr oder weniger hohe Investitionskosten, sondern schlägt auch im laufenden Betrieb mit erheblichen Beträgen zu Buche.

Beide Anforderungskomplexe gebündelt haben zum hohen Automatisierungsgrad in der Medizinindustrie beigetragen, wie er heute vorherrscht und in reinraumgerechter Spritzgusstechnik sein fertigungstechnisches Äquivalent gefunden hat.

Bei der Produktion von Einwegkanülen kann die Produktionseffizienz erhöht werden, etwa indem vor- und nachgelagerte Arbeitsschritte mit in den Spritzgießprozess eingebunden werden, und eine Kanüle damit schneller hergestellt werden kann. Gleiches gilt auch für eine automatisierte Zuführung der Einlegeteile und Entnahme des Endprodukts. Inline-Qualitätssicherung hilft Ausschuss und Verpackungsaufwand zu minimieren.

Schon ein Staubkorn zu viel

Am Beispiel reinraumgerechter Spritzgusstechnik werden Gemeinsamkeiten und Besonderheiten in der Fertigung von medizinischen und maschinenbaulichen Produkten deutlich. Sie haben maßgeblich zur Interdisziplinarität zwischen Medizin/Gesundheit und Produktionstechnik beigetragen.Der disziplinübergreifende Ansatz findet sich in den Reinraumanwendungen bei der Fertigung von Einwegkanülen praktisch umgesetzt. Dabei kommt der Luftführung beim Herstellungsprozess zentrale Bedeutung zu, um die in der Produktion entstehenden Emissionen zu begrenzen und vom Spritzgussartikel fernzuhalten. Das können Abriebpartikel wie Staub, Schmierfetttropfen und Öl-Nebel sein. Andererseits wird der medizinischen Forderung nach Viren-, Pollen- und Bakterienfreiheit auf produktionstechnischer Seite durch ausgeklügelte Lüftungs- und Klimatechniken Rechnung getragen.

So ist beim Spritzgießen die Werkzeugoberfläche in der Maschine der Bereich, in dem am häufigsten kontrollierte Luftqualität benötigt wird und die Kontaminationsgefahr am höchsten ist.

Weitere Verunreinigungen können durch Hilfs- und Betriebsstoffe entstehen, durch die der sensible Düsenbereich der Spritzgießmaschine mit seinen verdampfenden Emissionen der heißen Polymerschmelze besonders gefährdet ist.

Rein oder raus?

Um die durch den Maschinenbetrieb entstehenden Partikel-Verunreinigungen bei der Herstellung von Einwegkanülen einzudämmen und den Volumenstrom nicht so aufwändig filtern zu müssen, befürworten einige Betriebe eine Anordnung der Spritzgussmaschinen außerhalb des Reinraumes. Zudem schlägt die Abfuhr der Maschinen-Abwärme durch Installation entsprechender Klimatechnik kostentechnisch vergleichsweise weniger zu Buche, als bei einer Geräte-Aufstellung innerhalb von Reinräumen. Auch können zusätzlich die Förderbänder mit den Produkteinzelteilen von der Spritzgussmaschine in den Reinraum von der Umgebungsluft isoliert werden, um eine vorzeitige Verunreinigung auszuschließen. Dadurch wird das Reinraumvolumen und damit auch die Betriebskosten wesentlich reduziert.

Befürworter einer integrierten Maschinen-/Reinraumlösung halten dagegen, dass es leichter sei, auf Situationen wie unerwartet eintretende Störfälle oder Produktionsumstellungen besser Einfluss nehmen zu können, die während des Produktionsprozesses eintreten könnten. Höhere Investitionskosten würden durch Personaleinsparungen durch mögliche Mehrfachbedienung der Maschinen wieder wettgemacht, auch sei die Maschinenauslastung durch die integrierte Lösung höher. Eine weiterentwickelte Umluft-Technik sei in der Lage, Betriebsausgaben für Klimageräte und Kanalnetz in überschaubarerem Rahmen zu halten und Energie einzusparen.


Partikelfaktor Mensch

Hocheffiziente Teilchenfilter, die 99,999 Prozent aller Partikel mit der Größe von mindestens einem tausendstel Millimeter aus der Umgebungsluft auffangen, sind vor allem dann dringend angezeigt, wenn sich Menschen in unmittelbarer Produktionsumgebung aufhalten. Während Werkzeuge und Materialien in einer Schleuse luftgeduscht werden, bevor sie den Reinraum betreten, müssen sich Mitarbeiter an besondere Verhaltensmaßregeln halten, wenn sie im Reinraum arbeiten – dem Durchschreiten einer Luftschleuse inklusive.

Das Tragen von Ganzkörper-Spezialanzügen mit integrierten Gummisohlen und Handschuhen ist Pflicht, vor allem der Haarbereich stellt durch Schuppen und Härchen eine große natürliche Verunreinigungsquelle dar und erfordert entsprechende Abdeckung. Mundschutz verhindert das Austreten von winzigsten Speichel-Tröpfchen.

Allerdings verhindert selbst eine hocheffiziente Schutzkleidung nicht, dass Personen im Reinraum immer noch bis zu 20.000 Partikel pro Minute an die Umgebungsluft abgeben.

Daher gilt für Mitarbeiter im Reinraum

  • Bodenkontakte des Schutzanzugs beim Anziehen zu vermeiden
  • den Mundschutz nicht abzunehmen
  • sich langsam zu bewegen. (Vermeiden von Luft-Verwirbelungen).

Moderne Kanülen-Herstellung

Partikelfreie Produktionsprozesse ermöglichen eine nahezu hundertprozentige kontaminationsfreie Herstellung von meist lasergeschweißten Einwegkanülen. Dabei haben Weiterentwicklungen zu immer größeren Innendurchmessern bei unveränderter Nadeldicke geführt. Dadurch lässt sich die Injektion schneller durchführen und der Injektionsknopf des Pens leichter drücken.

Für eine verbesserte Hautpunktion werden an der Nadelspitze zusätzliche, mikroskopisch feine Schliffe (Spezial-Facetten-Langschliff) durchgeführt und die Spitzenoberfläche mit Silikon beschichtet. In moderner Fertigung herrscht üblicherweise ein Materialmix aus Polypropylen (Luer-Lock-Kunststoff-Ansatz) und nichtrostendem Chrom-Nickel-Stahl (Kanülen-Rohr).

Anforderungen und Prüfverfahren steriler Injektionskanülen für den Einmalgebrauch sind in der ISO 7864 von 1993 (Deutsche Fassung 1995) geregelt. Darüber hinaus gibt die DIN 13097 Standard-Schliffe wie Einfachschliff, Facettenschliff und Hinter-Schliff vor und beschreibt deren Schliff-Geometrien.

Dem hohen Automatisierungsgrad in der Produktionskette von Einweg-Kanülen wird mittlerweile vermehrt durch den Einsatz kompakter Maschinenplattformen Rechnung getragen, die sämtliche Produktionsschritte zur Kanülen-Herstellung in einer Maschine integrieren. Dabei unterliegen die Kanülen während der Bearbeitung weder mechanischer Belastung noch einer Partikel-Exposition.

In modernsten Produktionsanlagen werden dabei die bereits abgelängten Rohrabschnitte automatisch in Warenträger eingespannt, bevor sie die einzelnen Prozess-Stationen der Maschine durchlaufen:

  • Anbringen der Schliffgeometrie
  • Antiscoring (Abrunden von Teilbereichen)
  • Passivierung (Aufbringen einer Silikonschicht)
  • Reinigung
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