Wie sehen wir eigentlich die Welt?

Die Wissenschaftlerin, die neben Psychologie auch Philosophie studierte, forscht seit Anfang des Jahres mit einem Postdoktoranden-Stipendium der Daimler-und-Benz-Stiftung am Institut für Psychologie der Universität Münster.

In den kommenden zwei Jahren erhält Sarah Weigelt 20.000 Euro jährlich für Ausstattung, Hilfskräfte und Konferenzbesuche. Rund 800 Bewerber hatten sich auf die zehn Stipendien beworben. Die 33-Jährige, die zuletzt zweieinhalb Jahre am renommierten Massachusetts Institute of Technology in Cambridge/USA forschte, setzte sich durch und entschied sich, mit den Forschungsmitteln nach Münster zu kommen. Dafür sprachen der gute Ruf des Psychologie-Instituts und des universitären „Otto Creutzfeldt Center for Cognitive and Behavioral Neuroscience“.

Für Sarah Weigelts Forschungen ist insbesondere die sogenannte funktionelle Kernspintomografie zentral. Diese auch Magnetresonanztomografie (MRT) genannte Bildgebung kombiniert sie mit Verhaltensexperimenten, um die Entwicklung des Sehens und dessen neuronale Grundlagen zu untersuchen: „Ich versuche zu verstehen, wie Kinder und Jugendliche die Welt sehen“, sagt die Psychologin. In ihren Studien untersucht sie, wie sich visuelle Prozesse zwischen Kindheit und Erwachsenenalter entwickeln.

Anstelle der intuitiven Auffassung, dass das Sehsystem schon früh ausgereift ist, zeigen die Entwicklungspsychologie und die Neurowissenschaft ein differenzierteres Bild: „Bis zum zwölften Lebensjahr ändert sich beispielsweise noch unsere Tiefenwahrnehmung“, erklärt Sarah Weigelt. Dies ist nicht nur von akademischem Interesse, sondern kann handfeste Folgen beispielsweise für den Schulerfolg haben: Tiefenwahrnehmung und geometrisches Vorstellungsvermögen in der Mathematik sind eng miteinander verbunden. Sarah Weigelts Arbeiten könnten also dazu beitragen, den Schulunterricht an die Wahrnehmung von Kindern anzupassen.

Bei ihren Tests mit Kindern verfolgt sie einen spielerischen Ansatz. Ihr derzeitiges Lieblingsexperiment nennt sich „multiple object tracking“ und ist eine moderne Art des Hütchenspiels: Auf einem Touchscreen verwandeln die jungen Probanden eine Katze in ein rotes Quadrat, das sie im weiteren Verlauf zwischen zehn anderen roten Quadraten im Blick behalten sollen. Eine Kamera zeichnet ihre Augenbewegungen auf. Sarah Weigelt misst so, wie Augen und Gehirn Bewegungen verarbeiten.

An solche Experimente schließt sie MRT-Untersuchungen an: „Die Kombination dieser Methoden ist wichtig“, betont sie. „Um Verhalten zu verstehen, müssen wir wissen, welche Gehirnareale dafür verantwortlich sind.“ Einer ihrer Schwerpunkte liegt hierbei auf der Gesichtserkennung und dem dafür zuständigen Teil des Gehirns. Bei diesem Areal ist sich die Forschung noch uneins, ob es sich im Laufe des Lebens weiterentwickelt oder nicht. „Ich habe Hinweise darauf gefunden, dass sich zwar nicht die Grob-, aber die Feinstruktur noch verändert“, erläutert Sarah Weigelt.

Ihre Erkenntnisse könnten Erkrankten zugute kommen, bei denen soziale Wahrnehmungsmechanismen gestört sind: Menschen mit Autismus. Bislang ist nur sehr wenig über die Ursachen dieser Krankheit bekannt. Sarah Weigelt möchte ihr Wissen deshalb nutzen, um die Autismus-Forschung in Deutschland voranzubringen. Über eine Website spricht sie Menschen mit Autismus künftig gezielt an und bietet ihnen die Möglichkeit, an Online-Experimenten teilzunehmen.

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