Noch Ende letzten Jahres haben viele gedacht oder gar gehofft, dass der Wirkstoff Sildenafil ab 2022 rezeptfrei zu bekommen sein wird. Diese Hoffnungen sind nur aber mit der Ablehnung der Entlassung aus der Rezeptpflicht für die nähere Zukunft zerplatzt.
Im Protokoll der Sitzung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) heißt es: “Der Sachverständigenausschuss für Verschreibungspflicht empfiehlt einstimmig, den Antrag auf Entlassung aus der Verschreibungspflicht für Sildenafil 50 mg zur oralen Anwendung abzulehnen.“ (Quelle: (BfArM)
Allgemeines zur Verschreibungspflicht
In einer Information des Bundesgesundheitsministeriums heißt es, dass Arzneimittel zur Anwendung am Menschen dann verschreibungspflichtig sind wenn
- ihre Anwendung einer ärztlichen Überwachung bedarf,
- sie die Gesundheit auch bei bestimmungsgemäßem Gebrauch gefährden können, wenn sie ohne ärztliche Verschreibung angewendet werden oder
- sie häufig in erheblichem Umfang missbräuchlich angewendet werden.
Um die Verschreibungspflicht aufzuheben, tagt ein rund 20-köpfiges Gremium beim Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte (BfArM) und stellt am Ende eine Empfehlung an das Bundesgesundheitsministerium. Hier fällt die letztendliche Entscheidung, wobei das Ministerium nicht an die Empfehlung gebunden ist.
Die Aufhebung der Rezeptpflicht wird aber erst offiziell, wenn Sie in einer geänderten Arzneimittel Verschreibungsverordnung im Bundesgesetzblatt veröffentlicht wurde und gilt dann genau für eine ganz bestimmte Menge des Wirkstoffs und eine bestimmte Packungsgröße.
Was sollte man sonst noch über die Verschreibungspflicht wissen?
In Deutschland werden Anträge auf die Aufhebung der Verschreibungspflicht von jeher sehr restriktiv behandelt. Bei Zweifeln in Bezug auf eine der drei oben genannten Punkte (Allgemeines zur Verschreibungspflicht) wird das Medikament bzw. der Wirkstoff nicht aus der Pflicht entlassen. Hier geht immer das Wohl der Patienten vor und keine praktikablen oder wirtschaftlichen Überlegungen.
Auch wenn es einige europäische Länder gibt, in denen man Sildenafil rezeptfrei beziehen kann, so muss dies noch lange nicht auf Deutschland zutreffen. Manche Beobachter rechnen jedoch damit, dass die Hersteller des Wirkstoffs als nächstes zur Europäischen Gesundheitsbehörde gehen und dort erneut einen Antrag stellen. Würde dieser bewilligt, würde es auch auf Deutschland zutreffen.
Inwieweit treffen diese Kriterien auf Viagra® zu?
Schaut man sich das ausführliche Protokoll der Sitzung an, in der die Verschreibungspflicht für Sildenafil nicht aufgehoben wurde, kommt es den Sachverständigen insbesondere auf diese Punkte an:
- Studien (auf die nicht näher verwiesen wird) hätten gezeigt, dass es eine Dosisabhängigkeit für die Nebenwirkungen gibt. Es wird in diesem Zusammenhang Verwunderung geäußert, warum die Hersteller nicht eher die 25er Dosierung zur Freigabe eingereicht haben.
- Der Online Handel zwischen Deutschland und Großbritannien sei nicht vergleichbar, da unterschiedlich reguliert. (Anmerkung: In Großbritannien ist zwischenzeitlich Viagra rezeptfrei erhältlich).
- Der bestimmungsgemäße Gebrauch des Wirkstoffs wird in der Regel von den Anwendern nicht gemeldet. Hierzu das Protokoll im Wortlaut: “Die dargestellten Daten, die sich auf Nebenwirkungsberichte bezögen, seien daher nicht geeignet, um die missbräuchliche Anwendung adäquat abzubilden.” (Anmerkung: Jede Nebenwirkung kann von jedem Anwender theoretisch jederzeit gemeldet werden – beim Arzt oder aber beim Bundesgesundheitsministerium)
- Erektile Dysfunktion kann ein Frühzeichen für kardiovaskuläre Erkrankungen oder Diabetes mellitus sein und man würde sich die Chance einer frühzeitigen Diagnostik dieser Erkrankungen vergeben.
Problem: Erektionsstörungen sind oftmals gar nicht der Grund für die Einnahme von Sildenafil
Die Gefahr des Missbrauchs ist bei Viagra® offenbar verhältnismäßig groß. Es gibt eine Reihe von Männern, die gar nicht unter einer erektilen Dysfunktion leiden, sondern das Medikament einnehmen, um einfach Ihre Ausdauer und sexuelle Leistungsfähigkeit zu steigern.
Dieser Aspekt hat bei der Entscheidung des Gremiums sicherlich eine weitere große Rolle gespielt. Wird das Medikament auch bei nicht induzierten Voraussetzungen eingenommen, setzen sich also eigentlich vollkommen gesunde Menschen den Gefahren der möglichen Nebenwirkungen aus, die in seltenen Fällen erheblich sein können.
Aus Erfahrungen in Großbritannien wird berichtet, dass in sechs Fälle von Missbrauch bei zweien Priapismus auftrat, in drei Fällen eine psychologische Abhängigkeit festgestellt und in einem Fall sogar eine Vergewaltigung vorbereitet wurde.
Problem: Langfristiger Gebrauch von Viagra®
Es liegt in der Natur der Sache, dass Mittel, die bei einer erektilen Dysfunktion eingesetzt werden, langfristig zur Anwendung kommen, da sich das Krankheitsbild im Normalfall nicht verbessert. In einer allgemeinen Stellungnahme des BfArM heißt es dazu, dass “die Anwendung von Arzneimitteln, für die eine langfristige Anwendung vorgesehen ist, grundsätzlich im Rahmen einer OTC-Anwendung kritisch zu betrachten sei.” und dass als rezeptfreie Medikamente eher solche in Betracht kommen, die für eine kurzfristige Anwendung vorgesehen sind.
Problem: Erektile Dysfunktion kann ein Symptom einer dahinter liegenden Krankheit sein
In manchen Fällen ist eine erektile Dysfunktion nicht auf direkte physische Gründe zurückzuführen, sondern nur ein Symptom einer anderen (teilweise schweren) Krankheit. Wird das Mittel ohne ärztliche Aufsicht eingenommen, besteht die große Gefahr, dass Krankheiten wie Herzerkrankungen oder Diabetes mellitus nicht erkannt und behandelt werden können.
Was hätte eigentlich für die Freigabe von Sildenafil gesprochen?
Es gibt zwei entscheidende Punkte, die eigentlich für die Entlassung von Viagra® aus der Verschreibungspflicht gesprochen hätten:
- Das Präparat ist bereits seit 1998 auf dem Markt und daher sehr gut erforscht. Insbesondere das Neben- und Wechselwirkungsspektrum und kritische Vorerkrankungen sind ausführlich belegt.
- in vielen Ländern, wie Polen, Schweden, Norwegen, der Schweiz und Großbritannien ist Sildenafil bereits rezeptfrei zu bekommen.
Fazit
Auch wenn mindestens zwei Argumente für die Freigabe von Viagra® gesprochen hätten, sind die Gefahren dennoch nach Einschätzung des zuständigen Sachverständigenrates zu hoch. Die allgemeine restriktive Handhabung solcher Anträge, möglicher Missbrauch, ein relativ umfangreiches Spektrum an möglichen Nebenwirkungen und die Gefahr der Nichterkennung zugrundeliegender Erkrankungen waren letztendlich wohl ausschlaggebend für die Ablehnung des Antrags auf Entlassung aus der Verschreibungspflicht.