Der Ausfall des Proteins TDP-43 führte bei den Tieren zu Muskelschwund und verkümmerten Nervenzellen. Der Befund stützt die Vermutung, dass eine Funktionsstörung dieses Proteins für die ALS und die FTD eine maßgebliche Rolle spielt. Die Studie erscheint im Fachmagazin „Proceedings of the National Academy of Sciences of the USA“ (PNAS).
Die ALS ist eine bislang unheilbare Erkrankung des Nervensystems, die sich als rasch fortschreitender Muskelschwund äußert. Der Abbau erfasst ebenso Gliedmaßen wie Atemmuskulatur. Die Folgen sind Bewegungsstörungen und Atembeschwerden. Patienten versterben in der Regel innerhalb weniger Jahre. In seltenen Fällen, prominentes Beispiel ist der britische Physiker Stephen Hawking, können Betroffene dauerhaft mit der Krankheit leben. In Deutschland sind Schätzungen zufolge mehr als 150.000 Menschen an ALS erkrankt – im Durchschnitt kommt auf 500 Menschen ein Krankheitsfall.
Proteine auf Abwegen
Seit einigen Jahren verdichten sich die Hinweise dafür, dass die ALS und die FTD – eine Demenzerkrankung, die mit Veränderungen der Persönlichkeit und des sozialen Verhaltens einhergeht – ähnlichen, wenn nicht sogar identischen Ursprungs sind. Bei den Symptomen finden sich fließende Übergänge und auch auf mikroskopischer Ebene zeigen sich Gemeinsamkeiten. In den Nervenzellen vieler Patienten sammeln sich Eiweißpartikel und verklumpen: Das gilt insbesondere für das Protein TDP-43.
„Dieses Protein tritt üblicherweise im Zellkern auf und ist an der Verarbeitung der Erbinformation beteiligt“, erläutert die Molekularbiologin Dr. Bettina Schmid, die am Münchner Standort des DZNE und an der LMU tätig ist. „Doch im Krankheitsfall verirrt sich das TDP-43 gewissermaßen. Es lagert sich außerhalb des Zellkerns ab und bildet dort Aggregate.“ Ob diese Klumpen schädlich sind, sei unklar, so Schmid. „Aber die normale Funktion des Proteins ist offensichtlich gestört. Es gelangt nicht mehr in den Zellkern, um dort seiner eigentlichen Aufgabe nachzugehen. Zwischen dieser Fehlfunktion und einer Erkrankung scheint es einen Zusammenhang zu geben.“
Studien an Zebrafischen
Allerdings war bislang wenig über die Bedeutung von TDP-43 für den Organismus bekannt. Welche Konsequenzen hat ein Ausfall dieses Proteins? Um diese Frage zu klären, untersuchte das Team um Bettina Schmid gemeinsam mit der Arbeitsgruppe von Prof. Christian Haass die Larven speziell gezüchteter Zebrafische. Deren Erbgut war so verändert worden, dass ihr Organismus keinerlei TDP-43 herstellte. Der Befund: Die Jungfische zeigten massiven Muskelschwund und verstarben innerhalb weniger Tage nach dem Schlüpfen. Darüber hinaus waren die Fortsätze der Nervenzellen, die die Muskeln steuern, nur unvollständig ausgebildet.
„Das sind zumindest teilweise Symptome, wie sie für die ALS und die FTD typisch sind. Der Funktionsverlust des Proteins TDP-43 scheint also tatsächlich eine entscheidende Rolle für eine Erkrankung zu spielen“, meint Haass, Standortsprecher des DZNE in München und Leiter des Lehrstuhls für Stoffwechselbiochemie an der LMU.
In der Studie zeigte sich allerdings noch eine weitere Auffälligkeit und diese kam für die Forscher überraschend: Der Blutkreislauf der Fische war massiv gestört. „Es ist bekannt, dass bei anderen Demenzformen, namentlich bei Alzheimer, Durchblutungsprobleme eine Rolle spielen“, so Haass. „Deshalb wollen wir nun untersuchen, ob Störungen des Blutkreislaufs möglicherweise ein generelles Problem neurodegenerativer Erkrankungen sind und ob solche Probleme insbesondere auch bei Patienten mit ALS und FTD auftreten.“
Originalveröffentlichung
„Loss of ALS-associated TDP-43 in zebrafish causes muscle degeneration, vascular dysfunction, and reduced motor neuron outgrowth”, Bettina Schmid, Alexander Hruscha, Sebastian Hogl, Julia Banzhaf-Strathmann, Kathrin Strecker, Julie van der Zee, Mathias Teucke, Stefan Eimer, Jan Hegermann, Maike Kittelmann, Elisabeth Kremmer, Marc Cruts, Barbara Solchenberger, Laura Hasenkamp, Frauke van Bebber, Christine van Broeckhoven, Dieter Edbauer, Stefan F. Lichtenthaler, Christian Haass, PNAS