Vitamin-K-Antagonisten sind der derzeitige Therapiestandard in der Langzeitantikoagulation, aber ihr Einsatz ist mit einer Reihe von Nachteilen verbunden.(16) Warfarin und Phenprocoumon zeigen einen langsamen Wirkungseintritt, ein schmales therapeutisches Fenster und ein individuell unterschiedliches Ansprechen (bedingt durch Interaktionen mit anderen Medikamenten und Nahrungsmitteln), so dass eine engmaschige Gerinnungskontrolle nötig ist. (17,18)
Die in der Entwicklung befindlichen Faktor-Xa-Inhibitoren, die zur Gruppe der neuen oralen Antikoagulanzien (NOAC) gehören, könnten die Behandlung der Venösen Thromboembolien außerordentlich erleichtern: durch einfache Dosierung, orale Verabreichung, vereinfachtes Monitoring und keine bisher bekannten Einschränkungen bei der Ernährung.(16) PD Dr. Ingo Ahrens, Universitätsherzzentrum Freiburg – Bad Krozingen: „Neben den Patienten mit tiefer Beinvenenthrombose oder Lungenembolie profitieren insbesondere Patienten mit Vorhofflimmern von der Möglichkeit, eine orale Antikoagulationstherapie zur Schlaganfallprophylaxe bzw. Verhinderung peripherer Embolien mit einem neuen Antikoagulans zu erhalten.“ Im Vergleich zu der jahrzehntelang üblichen oralen Antikoagulationstherapie mit Vitamin-K-Antagonisten, die einer routinemäßigen Überprüfung der Gerinnungshemmung anhand der „international normalized ratio“ – kurz INR-Wert – bedürfen, ist bei den NOAC keine Überprüfung der Gerinnungshemmung notwendig. Weiterhin konnte in großen klinischen Studien eine Reduktion schwerer lebensbedrohlicher intrakranieller Blutungen unter einer oralen Antikoagulation mit NOAC im Vergleich zu den Vitamin-K Antagonisten beobachtet werden. „Die Behandlung von Patienten, die eine orale Antikoagulationstherapie benötigen, ist durch die Entwicklung der NOAC deutlich einfacher geworden“, so PD Dr. Ingo Ahrens.
Prof. Dr. Rupert Bauersachs, Darmstadt, PD Dr. Barbara Richartz, Bad Wiessee, PD Dr. Ingo Ahrens, Freiburg, Prof. Dr. Sebastian Schellong, Dresden und Prof. Dr. Marianne Brodmann, Graz (nicht im Bild) diskutierten über aktuelle Perspektiven im Management venöser Thromboembolien (v.l.n.r.; Bild: MEDIZIN ASPEKTE, J. Wolff)Tiefe Venenthrombose (TVT) und Lungenembolie (LE) sind venöse Thromboembolien (VTE)
Venöse Thromboembolie (VTE) ist die Bezeichnung für die Entstehung eines Blutgerinnsels in einer Vene sowie die möglicherweise anschließende Einschwemmung dieses Gerinnsels in eine Lungenarterie.(1,2)
Tiefe Venenthrombose (TVT) und Lungenembolie (LE) sind die beiden Ausprägungen der Venösen Thromboembolie. Bei der Tiefen Venenthrombose entsteht ein Blutgerinnsel in den tief gelegenen Venen der Beine, des Beckens oder der Arme.(3) Bei einer LE hat sich ein Gerinnsel aus der Vene gelöst, ist in die Lunge gewandert und hat sich dort in einer Arterie festgesetzt, wodurch es möglicherweise zu einer lebensbedrohlichen Situation kommt.(3,4) Eine Lungenembolie ist oft von einer Tiefen Venenthrombose begleitet und aus einer TVT kann sich plötzlich eine Lungenembolie entwickeln.(4)
Patienten mit diagnostizierter Venöser Thromboembolie werden über einen Zeitraum von drei bis zwölf Monaten (manchmal auch länger) entsprechend ihrem individuellen Risikoprofil behandelt, um eine zweite (rezidivierende) Tiefe Venenthrombose oder Lungenembolie zu verhindern. Die Venöse Thromboembolie weist eine hohe Mortalitätsrate auf: 30 % der VTE-Patienten versterben innerhalb eines Monats nach der Diagnose und etwa 25 % der LE-Patienten erleiden einen plötzlichen Herztod. Zusätzlich treten bei etwa 30 % der Betroffenen rezidivierende TVT/LE innerhalb von 10 Jahren nach der Erstdiagnose einer TVT/LE auf.(5)
Erworbene und angeborene Ursachen und Risikofaktoren der Tiefen Venenthrombose
Der Venösen Thromboembolie liegt eine Kombination aus angeborenen und erworbenen Risikofaktoren zugrunde, insbesondere Schädigungen der Blutgefäße, Blutstau in den Venen (Venostase) und eine erhöhte Gerinnungsneigung (Hyperkoagulabilität). (4)
Venöse Thromboembolien ereignen sich häufig nach Schäden an den Blutgefäßen mit veränderter Blutströmungsgeschwindigkeit und der sich hieraus ergebenden erhöhten Wahrscheinlichkeit für eine Gerinnselbildung.(4) Ein besonders hohes Risiko dafür weisen ältere Patienten, die über einen längeren Zeitraum immobil sind,(2) und insbesondere Patienten im Anschluss an größere orthopädische Operationen wie Hüft – und Kniegelenkersatz auf.(6) Weitere allgemeine Risikofaktoren für eine Venöse Thromboembolie sind:
- Verletzungen: Operation , große Traumata wie Frakturen (4)
- Gesundheitszustand/Krankheiten: Schwangerschaft, Herzinsuffizienz, Übergewicht, Malignome (4)
- Medikamente: orale Kontrazeptiva, Hormonersatztherapie, Chemotherapie (4)
- Andere: höheres Alter, genetische Veranlagung, Fernreisen (langes Sitzen) (4)
Symptome der Tiefen Venenthrombose und Lungenembolie
In einigen Fällen fehlen die Symptome oder sind unspezifisch.(2) Sie sind abhängig davon, wie weit die Vene oder Arterie blockiert ist und wie der allgemeine Gesundheitszustand des Patienten ist. Die Symptome der Tiefen Venenthrombose und Lungenembolie lassen sich klar voneinander abgrenzen, da sie unterschiedliche Körperteile betreffen:
Tiefe Venenthrombose
- Beinschmerz (4)
- Ödem (Flüssigkeitsansammlung mit Schwellung der betroffenen Extremität) (4)
- Hautrötung der betroffenen Extremität (4)
- Wärmegefühl in der betroffenen Extremität (4)
Lungenembolie
- Brustschmerz (4)
- Erschwerte Atmung (4)
- Husten (4)
- Abhusten mit blutigem Auswurf (4)
- Schweißausbruch (4)
- Bläuliche Verfärbung der Haut (4)
- Symptome einer TVT (s. o.) (4)
Diagnose der Venösen Thromboembolie
Eine Venöse Thromboembolie kann mit Hilfe verschiedener Methoden diagnostiziert werden – in Abhängigkeit von der Schwere der Symptome und der individuellen Patientensituation. (4)
Die bevorzugte Technik zur Diagnose einer Tiefen Venenthrombose ist die Duplex – Sonographie, (7) eine nicht – invasive Methode.(7) Hierbei werden Schallwellen genutzt, um den Blutfluss in Venen und Arterien darzustellen.(7) Eine alternative, aber unangenehmere Technik ist die Kontrastmitteldarstellung der Venen (Kontrast-Venographie). Bei dieser Untersuchung wird Kontrastmittel in eine Fußvene des Patienten injiziert, um dann mit einem Röntgengerät die Blutgefäße darstellen zu können.(7)
Zur Diagnose einer LE ist die bevorzugt eingesetzte Methode die Inhalation oder Injektion von Kontrastmittel, so dass der Blutfluss in Venen und Arterien computertomographisch begutachtet werden kann.(4) Sind CT und andere Untersuchungen nicht eindeutig, wird üblicherweise eine pulmonale Angiographie (Lungenangiographie) durchgeführt.(8) Sie erlaubt dem Arzt, den Blutfluss durch die Lungenarterien mit Hilfe von Röntgenbildern genau zu verfolgen.(8)
Mit Venösen Thromboembolien assoziierte Erkrankungshäufigkeit und Sterberate (Morbidität und Mortalität)
Venöse Thromboembolien sind weltweit eine der führenden Ursachen für Morbidität und Mortalität.(9) In sechs großen europäischen Ländern (Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien, Schweden und Großbritannien) sind jährlich mehr als 750.000 Menschen von einer Venösen Thromboembolie betroffen und schätzungsweise 370.000 Todesfälle pro Jahr stehen in diesen Ländern mit VTE in Zusammenhang.(10) Damit versterben jedes Jahr in Europa etwa doppelt so viele Menschen an den Folgen einer Venösen Thromboembolie als an Brustkrebs, Prostatakrebs, HIV/AIDS und Verkehrsunfällen zusammen.(11) Schätzungen für die USA gehen davon aus, dass sich die Prävalenz der Venösen Thromboembolie bis zum Jahr 2050 verdoppeln wird.(12)
Wirtschaftliche Folgekosten
In der Europäischen Union (EU) liegen die direkten Kosten, die durch Venösen Thromboembolien entstehen, bei schätzungsweise mehr als 3 Milliarden Euro pro Jahr. (11) Venösen Thromboembolien verursachen zudem bedeutende Langzeitkosten, die durch rezidivierende Venöse Thromboembolien und postthrombotisches Syndrom (PTS, eine chronische Komplikation), Schmerzen und venöse Ulzerationen entstehen.(1,13)
Therapie der Venösen Thromboembolie
Patienten, bei denen eine Venöse Thromboembolie diagnostiziert wurde, werden über einen Zeitraum von drei bis zwölf Monaten, manchmal auch länger, entsprechend ihrem individuellen Risikoprofil behandelt, um eine erneute Tiefe Venenthrombose oder LE zu verhindern.(4) Um das Risiko einer Gerinnselbildung zu reduzieren, werden Antikoagulanzien zur Blutverdünnung eingesetzt.(14) Die Einteilung der Antikoagulanzien erfolgt je nach ihrem Wirkmechanismus in vier Klassen: Heparine, Vitamin-K-Antagonisten (z.B. Warfarin, Phenprocoumon), direkte Thrombininhibitoren (Faktor-IIa-Inhibitoren) und direkte Faktor-Xa-Inhibitoren.
- Heparine sind natürliche, auf Zellmembranen lokalisierte (14) Substanzen, die an Antithrombin (AT) binden und es aktivieren. (AT ist ein Antikoagulanz, das einige Blutgerinnungsfaktoren einschließlich Thrombin und Faktor Xa inaktiviert.(14) )
- Vitamin-K-Antagonisten (VKA) blockieren die Umwandlung von Vitamin K, einem wichtigen Kofaktor bei der Umwandlung der Gerinnungsfaktoren II, VII, IX und X in ihre aktive Form. (15)
- Direkte Thrombin-Inhibitoren (DTI) hemmen – anders als Heparin – freies und gerinnselgebundenes Thrombin, (16) was sie unter bestimmten klinischen Voraussetzungen möglicherweise wirksamer als Heparin macht.(16)
- Direkte Faktor-Xa-Inhibitoren sind die neueste Klasse oraler Antikoagulanzien. Faktor Xa ist ein zentrales Enzym der Gerinnungskaskade. Faktor-Xa-Inhibitoren wirken sehr spezifisch und erfordern kein regelmäßiges Gerinnungsmonitoring.(16)
Referenzen
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- Post-ESC Pressekonferenz (DACH),
Perspektiven im Management venöser Thromboembolien, Daiichi Sankyo Deutschland GmbH, 17.09.2013, Graz