Gesundheitssystem für Asylsuchende
TU-Sozialwissenschaftlerin untersucht, welches System gleichzeitig wirtschaftlich und sozial ist
Wer in Deutschland Asyl sucht und krank wird, muss in vielen Bundesländern erst einmal zum Sozialamt, bevor er zum Arzt kann. Dort muss ein Beamter bestätigen, dass eine medizinische Behandlung notwendig ist. Er stellt einen sogenannten Versorgungsschein aus. In anderen Bundesländern erhalten Asylsuchende eine Gesundheitskarte von der Krankenkasse, mit der sie direkt zum Arzt können – der Besuch beim Sozialamt entfällt.
„Man sollte meinen, dass diese unterschiedlichen Praktiken auf Informationen über ihre Auswirkungen beruhen. Eigentlich sind sie aber historisch gewachsen, beziehungsweise politisch bedingt“, sagt Dr. Nora Gottlieb, seit Mai 2016 Wissenschaftlerin im IPODI-Programm (International Post-Doc Initiative) an der TU Berlin. Die Sozialwissenschaftlerin, die am Fachgebiet Management im Gesundheitswesen bei Professor Reinhard Busse arbeitet, wird in ihrem IPODI-Projekt die beiden Modelle – Versorgungsschein versus Gesundheitskarte – vergleichen. „Ziel ist, eine evidenzbasierte Grundlage für politische Entscheidungen zu schaffen. Ich will zeigen, welches Modell zum Beispiel unter gesundheitlichen und wirtschaftlichen Aspekten sinnvoller ist“, so die Wissenschaftlerin.
Nora Gottliebs Hypothese ist, dass es wirtschaftlicher ist, Asylsuchende mit einer Gesundheitskarte auszustatten. „Je einfacher und umfassender der Zugang zur Primärversorgung ist, desto günstiger wird es“, sagt Gottlieb. „Viele, die den Umweg über das Amt nehmen müssen, gehen später oder gar nicht zum Arzt, weil die Hürden zu hoch sind. Wenn sie dann gehen, sind sowohl ihre Probleme als auch die Behandlung vielleicht schon viel komplizierter als sie sein müssten.“ Die wirtschaftlichen Auswirkungen seien hier sicherlich nicht am wichtigsten, betont Gottlieb, aber sie spielten eben in der politischen Diskussion stets eine zentrale Rolle.
Migrantinnen und Migranten werden zu ihren Erfahrungen befragt
Um die beiden Modelle der Gesundheitsvorsorge zu vergleichen, erhebt sie sowohl quantitative als auch qualitative Daten. „Einerseits werde ich versuchen, über Patientendaten herauszufinden, ob Patientinnen und Patienten mit eingeschränktem Zugang zur Gesundheitsversorgung häufiger in der Notaufnahme landen“, erklärt sie. Sie wird aber auch die Gesundheitsversorger und die Migranten und Migrantinnen selbst nach ihren Erfahrungen mit oder ohne Gesundheitskarte fragen.
Inzwischen prüfen die meisten Bundesländer die Einführung der Karte – nur Bayern und Sachsen weigern sich bisher. Viele Politikerinnen und Politiker argumentieren mit höheren Kosten, die durch die Gesundheitskarte entstehen sollen. Nora Gottlieb will ihre Ergebnisse direkt für politische Entscheidungen nutzbar machen: „Mein Ziel ist es, dass diejenigen, die für restriktive Maßnahmen plädieren, ihre Argumente fundierter – vielleicht auch wahrheitsgemäßer – darlegen müssen“, sagt sie. „Das Kostenargument stimmt so einfach nicht.“
Sie glaubt aber nicht, dass es die Rolle der Forschung ist, politische Entscheidungen zu bestimmen: „Es kommt auf die Prioritäten an, die die Politik setzt. Ich hoffe, dass ich am Ende meines Projekts sagen kann, welches Modell unter finanziellen oder gesundheitlichen Aspekten das Beste ist.“ Die Gesellschaft müsse sich dann überlegen, was ihr am Wichtigsten ist. „Das muss eine demokratische Entscheidung sein.“
IPODI (International Post-Doc Initiative) ist Teil des Gleichstellungsprogramms „Wissenschaftlerinnen an die Spitze“ der Technischen Universität Berlin und zielt auf die Erhöhung des Anteils weiblicher Forschender in Führungspositionen. IPODI vergibt zweijährige Fellowships an internationale Wissenschaftlerinnen. Die Initiative ist an der TU Berlin bei der Zentralen Frauenbeauftragten angesiedelt. Seit 2013 haben bereits sieben Wissenschaftlerinnen das Programm absolviert. Weitere 16 befinden sich derzeit darin. Aufgrund des großen Erfolgs wurde das Programm aufgestockt, sodass im Laufe dieses Jahres drei weitere internationale Wissenschaftlerinnen an die TU Berlin geholt werden können.
Fotomaterial zum Download
www.tu-berlin.de/?id=182964
Weitere Informationen erteilt Ihnen gern:
Dr. Elke Gehweiler
IPODI Program Manager
Technische Universität Berlin
Zentrale Frauenbeauftragte
Tel.: 030-314 79842
elke.gehweiler@tu-berlin.de
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