Therapiestudie am Dresdner Uniklinikum: Bewegung statt Medikamente für ADHS Patienten

Robin ist kaum zehn Jahre alt und weiß schon ganz genau, was ihm fehlt. An dem Tag, an dem er in die Schule gekommen ist, veränderte sich sein Leben. Alles, was um ihn herum passierte, wollte er in sich aufsaugen. Überall wollte er dabei sein. Grenzen waren ihm in den Momenten egal. „Meine Schulfreunde haben immer gesagt: Hör auf! Aber da waren wieder meine Stifte, die interessant waren, ich wollte mit allen spielen.“

Die Diagnose ADHS trifft nicht nur die kleinen Patienten, auch deren Familien müssen in vielen Fällen ihren Alltag neu organisieren. Dabei spielt es gar nicht so die entscheidende Rolle, wie die Eltern ihr Kind erleben. „Wir haben ein tolles Kind“, sagt Robins Mutter. „Wir sind nie eingeschränkt, es gibt kaum Stress zu Hause, es ist nur der Unterricht, der uns Probleme macht.“ Es kann aber auch anders laufen und auch zu Hause zu Schwierigkeiten im Miteinander kommen. Manche Kinder haben neben Konzentrationsproblemen, motorischer Unruhe und erhöhter Impulsivität zusätzlich auch Defizite in ihren motorischen Fertigkeiten.

Die Behandlung des ADHS sollte bestenfalls multimodal ausgelegt sein, das heißt nicht nur Medikamente beinhalten sondern zum Beispiel auch ein Training mit dem Kind und den Eltern. Für Kinder mit ADHS und motorischen Schwierigkeiten gibt es dabei noch keine gut untersuchten Behandlungen. Gezielte Bewegungsübungen haben die Wissenschaftler der Medizinischen Fakultät der TU Dresden schon länger im Visier. „Mit solchen Angeboten gelingt es, auf durchaus nachvollziehbare Art und Weise kleine ADHS Patienten für den Alltag fit zu machen“, sagt die Psychologin Sina Wanderer, die das Projekt an der Klinik und Poliklinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie und -psychotherapie begleitet. Zumindest als Begleittherapie sollte auf die Physiotherapie in bestimmten Fällen künftig kaum noch verzichtet werden: „Wenn neben der ADHS auch noch motorische Beeinträchtigungen vorliegen, dann wäre das sehr gut, könnten alle Kinder eine Bewegungstherapie bekommen.“ Wanderer begründet das so: „Weil sie zum Beispiel beim Ballfangen Schwächen haben und im Schulsport Außenseiter sind. Gerade bei Grundschulkindern geht mit Gleichaltrigen viel über gemeinsames Raufen, Bewegung, und wenn dann neben der Impulsivität und Hyperaktivität noch die motorische Komponente im Weg steht, dann wird es ganz schwierig, einer drohenden Stigmatisierung oder Ausgrenzung vorzubeugen.“

Die Übungen, die der Physiotherapeut Tom Müller mit seinen kleinen Patienten durchführt, sind punktgenau auf deren Bedürfnisse zugeschnitten. „Wir versuchen bestimmte Atemübungen mit einzubauen oder wir versuchen vieles spielerisch zu gestalten, indem man einen Parcours baut. Wir sind dann im Dschungel, in einer Ritterburg oder wir fliegen im Weltall und müssen das Raumschiff vorbereiten.“ Das alles ist mit viel Aktivität verbunden, da geht es über Bänke, Sprossenwände nach oben oder auf allen Vieren quer durch die Turnhalle. „Ich schau immer nach dem Muskeltonus. Viele der ADHS Patienten sind mehr in einem Streck- und weniger in einem Beugemuster.“ Das heißt, die vordere Rumpfmuskulatur der Kinder ist im Vergleich zur hinteren abgeschwächt, „deshalb versuche ich die vordere Muskelkette zu aktivieren. Das sind dann Übungen, die mit Stützen zu tun haben oder Krabbeln. Ich arbeite viel am Boden, um die richtigen Tonusverhältnisse aufzubauen.“ Mit doch auffällig guten Erfolgen. Allerdings fehlen bislang wissenschaftlich valide Daten, um den sicheren Beweis zu erbringen, dass diese zeitintensiven Therapieangebote tatsächlich auch langfristig ihre Wirkung entfalten. Sina Wanderer hofft, dass es ihrem Team jetzt gelingt, genau hier die Weichen für eine innovative multimodale ADHS–Behandlung zu stellen, bei der in einigen Fällen möglicherweise ganz auf Medikamente verzichtet werden kann. „Wir haben noch nicht genügend Daten zusammen, aber nach den bisherigen Erkenntnissen sah es auch nach einem halben Jahr gut aus. Die Motorik war definitiv verbessert, und wir haben häufig ein positives Feedback von den Familien bekommen.“

Bei Interesse können sich die Familien an die Forschungskoordination unter 0351 – 458 7168 oder KJPForschung@uniklinikum-dresden.de wenden.

An der Bewegungstherapie können Kinder im Alter von acht bis 14 Jahren mit ADS bzw. ADHS und motorischen Schwierigkeiten teilnehmen. Die Bewegungstherapie erfolgt über acht Wochen zweimal pro Woche für 45 Minuten.

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