Siemens hat zwölf herausragende Forscher und Entwickler für ihre Beiträge zum Patentportfolio geehrt. Chief Technology Officer Klaus Helmrich würdigte sie kürzlich als Erfinder des Jahres. Sie sind zusammen für rund 600 Erfindungsmeldungen und mehr als 500 erteilte Einzelpatente verantwortlich. Die Themen reichen von der Verbesserung der Signalübertragung in Magnetresonanztomographen für eine höhere Bildqualität über den Einsatz von Computern mit mehreren Prozessorkernen in der Automatisierungstechnik bis zu einem einfacher zu installierenden Signalnetz für die Stellwerkstechnik, das statt Punkt-zu-Punktverbindungen auf eine ringförmige Vernetzung setzt. Die Auszeichnung Erfinder des Jahres vergibt Siemens seit 1995.
Die Zahl der Siemens-Patente stieg indes auf einen Rekord. Im abgelaufenen Geschäftsjahr wuchs die Zahl der erteilten Patente im fortgeführten Geschäft im Vergleich zu 2012 um fünf Prozent auf rund 60.000. Außerdem stiegen 2013 die Aufwendungen für Forschung und Entwicklung (FuE) auf 4,3 Milliarden Euro – das sind rund 50 Millionen Euro mehr als im Vorjahr. Das Verhältnis der FuE-Aufwendungen zum Umsatz lag bei 5,7 Prozent und war damit höher als im Vorjahr mit 5,5 Prozent. Die Zahl der FuE-Mitarbeiter betrug weltweit 29.800, davon mehr als ein Drittel in Deutschland.
Dr. Stefan Lampenscherf: Hitzeschutz für Turbinenschaufeln
Der Erfinder Stefan Lampenscherf widmet sich bei der globalen Siemens-Forschung Corporate Technology seit rund zehn Jahren vor allem der Frage, wie die Eigenschaften und die Lebensdauer von keramischen Schutzschichten prognostiziert werden können. Diese Informationen werden sowohl für die Konstruktion einzelner Bauteile als auch für die Festlegung der Wartungsintervalle von Gasturbinen benötigt. Eine Gasturbine ist ein Beispiel hoher Ingenieurskunst bei Siemens. Höchste Wirkungsgrade zu wettbewerbsfähigen Kosten erreichen die Forscher und Entwickler nur durch das Zusammenspiel vieler Faktoren. Ein wichtiger Punkt ist die Beschichtung der Turbinenschaufeln, die durch hohe Temperaturen, enorme rotationsbedingte Fliehkräfte und große Strömungsgeschwindigkeiten innerhalb der Turbine extremen Belastungen ausgesetzt sind. Damit der metallische Grundwerkstoff, aus dem die Schaufeln gegossen wurden, bei Verbrennungstemperaturen bis oberhalb des Schmelzpunktes nicht geschädigt wird, sind sie mit einer Keramikschicht geschützt.
Zum Testen neuer Schaufelbeschichtungen hat er deshalb etliche Verfahren entwickelt, die im Labor vorhersagen können, wie sich das Material unter den realen Bedingungen in der Turbine verhalten wird. Dafür werden spezielle Proben nach seinen Vorgaben hergestellt. Diese Proben untersucht Lampenscherf mit seinem Team bzgl. ihrer Eigenschaften und Stabilität in speziell entwickelten mechanischen und thermischen Testverfahren. Die Messdaten und Materialeigenschaften werden dann zur Simulation der Wärmedämmschichten unter realen Bedingungen verwendet.
Dr. Alexander Fleischanderl: Nachhaltige Stahlerzeugung
Alexander Fleischanderl aus Linz hat ein Verfahren erfunden, das die schädlichen Emissionen bei der Herstellung von Sinter, einem der wichtigsten Eisenträger im Hochofenprozess, um mehr als 90 Prozent reduziert. Die Stahlerzeugung verursacht weltweit einen erheblichen Ausstoß an Emissionen, wie Treibhausgase, Feinstaub, Schwefel- und Stickoxide, sowie organischen Stoffen. Angesichts der ständig steigenden Nachfrage nach Stahl leisten neue, umweltfreundliche Technologien hier einen enormen Beitrag zum Klimaschutz.
Der weltweite Stahlverbrauch steigt jährlich etwa um drei bis vier Prozent an und betrug 2012 rund 1,55 Milliarden Tonnen. Über die integrierte Stahlerzeugungsroute entsteht pro Tonne Rohstahl etwa 1,8 Tonnen CO2. Global gesehen ist die Stahlindustrie für etwa sieben Prozent der Treibhausgasemissionen verantwortlich. Bei der Herstellung von Sinter – hier wird das feine Eisenerz mit anderen Stoffen zusammengebacken – wird nicht nur viel kohle- und gasbasierte Energie verbraucht, es entstehen auch Staub, Schwermetalle, Schwefel- und Stickoxide und organische Emissionen wie z.B. Dioxine.
Fleischanderl hat zusammen mit Kollegen ein Verfahren namens MEROS (Maximized Emission Reduction Of Sintering) entwickelt, das fast 99 Prozent der Schadstoffe aus den Abgasen filtert. Herzstück der Sinter-Abgasbehandlungsanlage, die Siemens Industry erstmals im Stahlwerk der voestalpine AG in Österreich errichtet hat, ist ein 56 Meter hoher Reaktor mit zehn Metern Durchmesser, und modernster Filter-, Gebläse-, Elektrik-, Mess- und Regeltechnik. In mehreren aufeinander folgenden „trockenen“ Verfahrensschritten werden beim MEROS-Prozess Schwefeloxide sowie metallische und organische Schadstoffe durch Einblasen von Absorptions- und Entschwefelungsmitteln unter hoher Geschwindigkeit gebunden und anschließend, zusammen mit dem Feinstaub nahezu vollständig aus den Sinterabgasen herausgefiltert. Dabei reinigt die Anlage pro Stunde eine Million Kubikmeter Abgase, was dem Rauminhalt eines Würfels mit 100 Meter entspricht
Robert Nelson: Windturbinen stabilisieren Stromnetzfrequenz
Robert Nelson von Siemens Wind Power in Orlando, USA, hat Programme entwickelt, die helfen, die Frequenz in Stromnetzen mit Windturbinen zu kontrollieren, wenn sich die Windbedingungen plötzlich ändern. Diese Regelprogramme sind besonders wichtig für die Betreiber von kleineren Stromnetzen, beispielsweise auf Inseln. Die Frequenz des Stromnetzes stabil zu halten und so Blackouts zu vermeiden, ist eine der großen technischen
Herausforderungen, wenn auch Strom aus Solar- und Windkraftanlagen eingespeist wird.
Für alle Stromnetze ist es ein Problem, wenn eine große Erzeugungsanlage plötzlich ausfällt. Die Steuerungssysteme in manchen Stromnetzen gleichen die Frequenz aus, indem sie Last abwerfen. Dabei werden Stromabnehmer plötzlich und unfreiwillig vom Netz genommen. Natürlich versuchen die Stromnetzbetreiber, solche so genannten automatischen Lastabwürfe zu vermeiden. In großen Stromnetzen verursacht der Ausfall eines einzigen Generators meist nur kleine Frequenzabweichungen, aber in kleinen, in sich abgeschlossenen Stromnetzen gab es bisher meist nur die Lösung des automatischen Lastabwurfs. Dass neue System, das Nelson entwickelt hat, ermöglich es Windturbinen, plötzliche Schwankungen im Stromnetz auszugleichen, und das macht es überflüssig, Stromabnehmer unfreiwillig vom Netz zu nehmen.
Die Idee ist einfach. An der Welle und am Rotor der Windturbine ist kinetische Energie vorhanden. Es ist möglich, diese Energie auszuleiten und in elektrische Energie umzuwandeln, zusätzlich zu der normalen Stromerzeugung der Windturbine. Dies führt zwar dazu, dass sich der Rotor verlangsamt und folglich für einen ganz kurzen Zeitraum weniger Strom produziert, aber es ermöglicht dem System, Frequenzen aufrechtzuerhalten, die einen automatischen Lastabwurf unnötig machen. Denn der zusätzliche Strom muss nur für etwa zehn Sekunden, erzeugt werden. So wird eine Windturbine zu einem ‚guten Nachbarn‘ in einem Stromsystem. Die Entwicklung ist sinnvoll für viele kleinere, in sich abgeschlossene Stromnetze, was Siemens den Eintritt in neue Märkte erleichtert.
Pressebilder: http://www.siemens.com/press/de/pressebilder/2013/corporate/soaxx201336.php