Das Institut für Geschichte und Ethik der Medizin der Universität Heidelberg lädt herzlich ein zur öffentlichen Vortragsreihe / Forschungskolloquium: Risiko, Prävention und Reproduktion nach 1945. Eine Anmeldung zu den vier Terminen im Wintersemester 2016 / 2017 jeweils um 18 Uhr ist nicht erforderlich.
Veranstaltungsort:
Institut für Geschichte und Ethik der Medizin
Seminarraum 20, 1. OG
Im Neuenheimer Feld 327
69120 Heidelberg
12.10.2016, 18 Uhr – Andreas Bernard (Leuphana Universität Lüneburg)
Neue Reproduktionstechnologien und die Ordnung der Familie
Die Verfahren der assistierten Empfängnis sind keine Randerscheinungen mehr. Ein halbes Jahrhundert nach Gründung der ersten Samenbanken in den USA und knapp 40 Jahre nach der Geburt der ersten in vitro gezeugten oder von einer kommerziell vermittelten Leihmutter ausgetragenen Babys haben diese Techniken jede Exotik verloren und bestimmen, je nach Rechtslage der einzelnen Länder, den Alltag der Reproduktionsmedizin.
Der Vortrag interessiert sich für die Frage, inwiefern die Organisation von Verwandtschaft und Familie im Zeitalter der neuen Fortpflanzungstechnologien gefährdet ist und mittels welcher Strategien sie aufrechterhalten werden kann.
Weitere Infos: https://www.klinikum.uni-heidelberg.de/fileadmin/pressestelle/VK/2016/4_Okt_Dez/20161012_Forschungskolloquium_EthikderMedizin_bernard.pdf
16.11.2016, 18 Uhr – Salim Al-Gailani (University of Cambridge, UK)
Vitamins on Trial: Folic Acid as a Technology of Reproduction and Prevention
Vortrag auf Englisch: Since the early-1990s, governments and health organizations around the world have encouraged women to make sure they get enough of the B-vitamin folic acid before and during pregnancy. By explaining how folic acid was linked to pregnancy and birth defects, Salim Al-Gailani will reconstruct the complex and longer-term work that made prospective mothers and their unborn and even yet-to-be-conceived children targets of nutritional intervention. He examines how the ‘therapeutic identity’ of folic acid was shaped by transformations in postwar cultures of risk and prevention as well as the creation of new social practices and relations between clinicians, researchers and patients.
Weitere Infos: https://www.klinikum.uni-heidelberg.de/fileadmin/pressestelle/VK/2016/4_Okt_Dez/20161116_Forschungskolloquium_EthikderMedizin_AlGailani.pdf
14.12.2016, 18 Uhr – Dagmar Schmitz (RWTH Aachen)
An offer you can’t refuse? Die Arztrolle in 50 Jahren Pränataldiagnostik
Schon 1991 bezeichnete der renommierte klinische Genetiker Angus Clarke das Angebot einer vorgeburtlichen genetischen Diagnostik in Anlehnung an das berühmte Filmzitat als ein Angebot, das man eigentlich nicht ablehnen könne, da jegliches pränataldiagnostische Angebot auch als ärztliche Empfehlung verstanden werden könne. Damit stellte er in radikaler Weise nicht nur das zu dieser Zeit noch wenig hinterfragte Paradigma der nichtdirektiven genetischen Beratung, sondern auch auf einer viel grundsätzlicheren Ebene die ärztliche Rolle im Umgang mit Pränataldiagnostik und selektivem Schwangerschafts¬abbruch in Frage. Welche Art „Ärzte“ wollen wir sein und an welcher Art von „Gesellschaft“ wollen wir mitbauen? Das waren und sind die aus seiner Sicht entscheidenden Fragen, zu denen sich Ärzte im Umgang Pränataldiagnostik positionieren müssen. Wie diese Positionierung in den vergangenen fünf Jahrzehnten ausgesehen hat und welche ethischen Prinzipien hierbei zugrunde gelegt wurden, soll in dem Vortrag dargelegt werden. Schließen wird der Vortrag mit einem kurzen Ausblick auf die zu erwartenden Veränderungen in der Arztrolle im Hinblick auf neue pränataldiagnostische Technologien.
Weitere Infos: https://www.klinikum.uni-heidelberg.de/fileadmin/pressestelle/VK/2016/4_Okt_Dez/20161214_Forschungskolloquium_EthikderMedizin_Schmitz.pdf
11.1.2017, 18 Uhr – Heiko Stoff (Medizinische Hochschule Hannover)
Zwischen Dr. Schmerz und Dr. Dohrn. Zur Debatte über das Erbgesundheitsgesetz nach 1945
1929 hatte der Grazer Chirurg Hermann Schmerz seine Methode der temporären Sterilisation des Mannes an zahlreichen Patienten ausprobiert. Obwohl diese angeblich alle zu dem Eingriff eingewilligt hatten, wurde er zu einer hohen Geldbuße verurteilt. Der „Fall Schmerz“ rief zahllose Solidaritätsbekundungen aus den Reihen der sozialistisch orientierten Medizin und Sexualwissenschaft hervor und fügte sich in einen explizit modernen Diskurs, der das präventionistische „Schutzbedürfnis der Gesamtheit“ mit dem konsumistischen Recht des Individuums auf Bedürfnisbefriedigung engführte. Im nationalsozialistischen „Gesetz zur Verhütung erbkranken Nachwuchses“ wurde letzteres explizit außer Kraft und die eugenische Selektionslogik absolut gesetzt. Nach 1945 wurde das Erbgesundheitsgesetz nur in einigen (Bundes-)Ländern aufgehoben, ansonsten allein durch die Auflösung der Erbgesundheitsgerichte ausgesetzt. In der britischen Zone wurde es folgenreich nicht als ein nationalsozialistisches Spezifikum, sondern als Teil einer internationalen eugenischen Bewegung interpretiert. Im Beitrag soll herausgearbeitet werden, ob in der Nachkriegszeit dabei auf die Debatte zum Konnex von individueller Freiheit und kollektiver Pflicht zurückgegriffen wurde. Dies soll am „Fall Dohrn“ exemplifiziert werden: Der Chirurg Axel Dohrn hatte zu Beginn der 1960er Jahre im Landkreis Burgdorf bei Hannover über tausend Frauen sterilisiert und dafür Gründe nicht der Eugenik, sondern der Geburtenkontrolle angeführt. Im Oktober 1964 fällte der Bundesgerichtshof schließlich ein „Dohrn-Urteil“, das die freiwillige Sterilisation weitgehend erlaubte.
Weitere Infos: https://www.klinikum.uni-heidelberg.de/fileadmin/pressestelle/VK/2017/1_Jan_Mar/20170111_Forschungskolloquium_EthikderMedizin_Stoff.pdf
Kontakt:
Dr. phil. Birgit Nemec
Institut für Geschichte und Ethik der Medizin
Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
E-Mail: birgit.nemec@histmed.uni-heidelberg.de
Universitätsklinikum und Medizinische Fakultät Heidelberg
Krankenversorgung, Forschung und Lehre von internationalem Rang
Das Universitätsklinikum Heidelberg ist eines der bedeutendsten medizinischen Zentren in Deutschland; die Medizinische Fakultät der Universität Heidelberg zählt zu den international renommierten biomedizinischen Forschungseinrichtungen in Europa. Gemeinsames Ziel ist die Entwicklung innovativer Diagnostik und Therapien sowie ihre rasche Umsetzung für den Patienten. Klinikum und Fakultät beschäftigen rund 12.600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter und engagieren sich in Ausbildung und Qualifizierung. In mehr als 50 klinischen Fachabteilungen mit ca. 1.900 Betten werden jährlich rund 66.000 Patienten voll- bzw. teilstationär und mehr als 1.000.000 mal Patienten ambulant behandelt. Das Heidelberger Curriculum Medicinale (HeiCuMed) steht an der Spitze der medizinischen Ausbildungsgänge in Deutschland. Derzeit studieren ca. 3.500 angehende Ärztinnen und Ärzte in Heidelberg. www.klinikum.uni-heidelberg.de