Operationen bei hochbetagten Menschen sind besondere Herausforderungen für Arzt und Patient

Hochbetagte operieren – Wir sind eine stetig älter werdende Gesellschaft. Die immer weiter steigende Lebenserwartung der Menschen hat einen deutlichen demographischen Wandel eingeleitet. In wenigen Jahren wird sich die Alterspyramide durch die geburtenstarken Jahrgänge der heute 40- bis 50-Jährigen umkehren. Bereits jetzt hat der demographische Wandel die Krankenhäuser erreicht. Der Anteil alter und hochbetagter Patienten ist rasant angestiegen. Für die Kliniken heißt das, sich immer mehr den Anforderungen der speziellen medizinischen und pflegerischen Versorgung dieser Patientengruppe stellen zu müssen.

Dr. Frank P. Schulze, chirurgischer Chefarzt im St. Marien-Hospital Mülheim an der Ruhr, einem Haus der Contilia-Gruppe, befasst sich seit langem mit der Thematik der alternden Gesellschaft und welche Bedeutung und Auswirkungen diese auf die therapeutischen Vorgehensweisen und den Krankenhausalltag hat: „Natürlich stellt sich immer wieder die Frage, nach welchen Kriterien ein Patient im fortgeschrittenen Alter behandelt wird? Welche Therapie ist sinnvoll, welche durchführbar und nicht zu vergessen: was möchte der Patient selber? Es gibt sehr rüstige 70- oder auch 80-Jährige, die noch regelmäßig Sport treiben und sehr unternehmungslustig sind. Diese Personengruppe möchte noch viele Jahre ihres Lebens aktiv gestalten. Andere hatten im gleichen Alter bereits mehrere Herzinfarkte, haben Diabetes oder andere Erkrankungen und sind unter Umständen täglich auf Hilfe und pflegerische Betreuung angewiesen. Daher ist bei der Frage, ob jemand hochbetagtes operiert werden kann, nicht das kalendarische, sondern das biologische Alter ausschlaggebend. Das Lebensalter des Patienten steht immer im Kontext zum psychischen und physischen Zustand und der sozialen Lebenssituation des Einzelnen. Wir haben uns im St. Marien-Hospital neben der Therapie von jüngeren und älteren Patienten besonders auch auf die Behandlung und Betreuung hochbetagter Patienten eingestellt. Vor allem die würdige Behandlung dieser Menschen ist uns ein besonderes Anliegen. Denn nur weil jemand alt ist, heißt es nicht, dass er nicht die gleiche Behandlung erfahren darf wie ein junger Patient.“

Gute Vorbereitung ist entscheidend
Grundsätzlich können alle Operationen, die bei jüngeren Patienten durchgeführt werden, auch bei alten Menschen angewendet werden, vorausgesetzt, der Allgemeinzustand des Patienten lässt dies zu. „Es gibt aber eine Vielzahl von Faktoren, die bei einer operativen Behandlung von Hochbetagten zu beachten sind“, so Dr. Schulze. „Aufgrund der altersbedingten physiologischen Organveränderungen nimmt die Festigkeit des Gewebes bei alten Menschen ab, insgesamt wird es brüchiger, feiner und sensibler. Das stellt eine besondere Herausforderung an den Operateur dar.“ Auch die zahlreichen Begleiterkrankungen, unter denen viele alte Menschen leiden, müssen ebenfalls bei der Durchführung und Planung der Operation Berücksichtigung finden. Gerade multimorbide Patienten – die von vielen schwerwiegenden Erkrankungen gleichzeitig betroffen sind – müssen besonders sensibel beurteilt werden. Eine sorgfältige Auswahl der Therapiemaßnahmen muss getroffen und der operative Eingriff sehr gründlich abgewogen werden. In den letzten Jahren wurden spezielle Operationsverfahren entwickelt, mit denen auch Hochbetagte sicher operiert werden können. Häufig kommen wenig belastende laparoskopische Operationstechniken zum Einsatz. „Aber nicht alles, was medizinisch möglich ist, ist auch für den Betroffenen sinnvoll. Beispielsweise kann aber ein kleiner operativer Eingriff Schmerzen lindern oder Atembeschwerden verbessern. Nicht immer ist es dabei möglich, die eigentliche Erkrankung zu heilen. Wichtig ist aber vor allem, dem alten Menschen eine möglichst hohe Lebensqualität für die ihm verbleibende Zeit zu erhalten.“

Auch die Anästhesie hat sich auf die veränderte Alterssituation im Operationssaal eingestellt. Waren Narkosen früher häufig standarisiert, sind sie heute schnell und leichter und werden individuell auf den Patienten und seinen Gesundheits- bzw. Krankheitszustand abgestimmt. Das Narkosegespräch erfolgt nicht mehr erst am Tag vor dem Eingriff, sondern mit größerem zeitlichem Abstand. So kann beispielsweise eine notwendige medikamentöse Vorbereitung der OP gut geplant und durchgeführt werden. Dr. Schulze: „Optimale Planung und Operationsvorbereitung mit einem gut funktionierenden interdisziplinärem Team garantieren einen erfolgreichen operativen Eingriff auch bei Risikopatienten.“

Gefühl der Sicherheit geben
Natürlich sollte auch der gesamte Krankenhausaufenthalt gründlich geplant und vorbereitet werden, sofern es sich nicht um eine Notfallsituation handelt, denn das Alter bringt für viele Menschen neben den körperlichen Erscheinungen auch psychische Veränderungen. „Die Anpassungsfähigkeit an neue Situationen, eine ungewohnte Umgebung oder andere Bezugspersonen ist für ältere Patienten sehr viel schwieriger als für junge“, erklärt Dr. Christine Bienek, Oberärztin für Geriatrie im St. Marien-Hospital Mülheim und im Geriatrie-Zentrum Haus Berge Essen. „Ältere Menschen haben sich in ihrer gewohnten häuslichen Umgebung eingerichtet, halten oftmals an geregelte Tagesabläufe fest und fühlen sich durch vertraute Bezugspersonen – sei es Familie oder Pflegepersonal in einer Senioreneinrichtung – sicher. Alleine ein Ortswechsel ins Krankenhaus kann dann schon mal Verwirrtheitszustände auslösen. Darum ist bei Hochbetagten vor allem ein besonderes Fingerspitzengefühl gefragt und eine individuellere Betreuung.“ Im Gegensatz zu jüngeren Patienten, die in der Regel bereits wenige Tage nach einem Eingriff wieder entlassen werden, erholen sich ältere Patienten nach Operationen langsamer und bleiben entsprechend länger stationär. Im Allgemeinen ist es üblich, dass sie dann auf eine spezielle geriatrische Station verlegt werden. „Wir haben aber die Erfahrung gemacht, dass ein erneuter Ortswechsel zusätzlich sehr belastend für die Patienten sein kann. Daher bleiben bei uns die Patienten nach Möglichkeit auf ihren ursprünglichen Stationen und die geriatrischen Fachärzte betreuen sie dort.“ Geriater sind besonders geschult zu beurteilen, ob ein Patient beispielsweise durch die Nachwirkungen der Narkose verwirrt ist, aufgrund von Operationsschmerzen Unruhe zeigt oder ein persönliches Gespräch benötigt, um sich wieder sicherer zu fühlen. „Auch eine Anschlussheilbehandlung ist nicht immer zwingend notwendig. Viele Hochbetagte möchten nach einem Krankenhausaufenthalt nur noch wieder nach Hause in die gewohnte Umgebung. Stimmen die Rahmenbedingungen der weiteren Betreuung, spricht auch nichts dagegen.“ (EKE 04/10)

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