Schmerzmittel stehen heute in Deutschland mit ca. 960 Millionen Euro auf Platz zwei der umsatzstärksten Indikationsbereiche der Selbstmedikation (Bericht des Bundesverbandes der Arzneimittel-Hersteller BAH e.V. 2013, Bonn) [1]. Dabei handelt es ich in erster Linie um klassische freikäufliche Schmerz- und Fiebermittel, die nichtsteroidalen Antirheumatika – NSA(R). Dazu zählen beispielsweise Acetylsalicylsäure, Ibuprofen und Diclofenac.
In den Verruf geraten sind NSAR in den 1970er-Jahren, als das NSAR Phenacetin vom Markt genommen werden musste, da es nach Langzeitgebrauch zum Krankheitsbild der Analgetika-Niere führte, oft mit der Folge Dialysepflichtigkeit. Danach kam es zum massiven Rückgang der Inzidenz dieses Nierenschadens, so dass manche Fachleute das Problem als gelöst betrachteten [2, 3].
Seit Jahren wird jedoch das akut und chronisch nephrotoxische Potenzial der verbliebenen NSAR untersucht, beschrieben und diskutiert [4, 5 6] und es zeigt sich zunehmend, dass NSAR keinesfalls als unproblematisch für die Nieren gelten können. Auch wenn das typische histopathologische Bild, wie es früher bei der Phenacetin-Niere gesehen wurde, aus dem Biopsiegut der Pathologen verschwunden ist, so sehen sich Nephrologen regelmäßig mit Patienten mit NSAR-geschädigten Nieren konfrontiert. Es handelt sich dabei jedoch um ein viel komplexeres Krankheitsbild als die ehemalige reine Phenacetin-Niere, daher spricht man auch oftmals vom „Analgetika-Syndrom“, da die Nierenschädigung im Rahmen anderer Komorbiditäten auftritt. So lassen sich inzwischen Risikofaktoren nennen, die das Risiko eines renalen Analgetika-Schadens deutlich erhöhen [6, 7].
Dazu gehören vorbestehende Nierenerkrankungen oder eine (unbekannte) Nierenfunktionseinschränkung, wie sie auch physiologischerweise bei älteren Menschen auftritt. Menschen mit Erkrankungen, die ihrerseits mit einem erhöhten renalen Risiko einhergehen (wie Diabetes mellitus, Hypertonie, Gefäßerkrankungen oder Herzinsuffizienz) und Patienten mit der Notwendigkeit einer jahrelangen oder hochdosierten NSAR-Therapie gehören ebenfalls zum gefährdeten Personenkreis (laut der Deutschen Gesellschaft für Rheumatologie weist ein Viertel der Deutschen Einschränkungen durch muskuloskelettale Erkrankungen auf, davon 10 Millionen behandlungsbedürftig [8]).
Auch Dehydratationszustände (Fieber, Diarrhoe, heißes Wetter) machen die Nieren anfälliger, da sie dann höheren Analgetikakonzentrationen ausgesetzt sind. Darüber hinaus sind Analgetika-Kombinationspräparate problematisch (höheres renales Risiko als bei Monopräparaten) und nicht selten auch die Arzneimittelkombinationen, die insbesondere bei Multimorbidität zum Einsatz kommen (müssen). So steigt das Risiko für renale Analgetikaschäden bei gleichzeitiger Verabreichung von drei oder mehr Antihypertensiva nachweislich an .
Auswege aus dem Dilemma sind nicht immer einfach, da chronische Erkrankungen wie Hypertonie oder rheumatische Leiden nicht unbehandelt bleiben können und dürfen.
Folgende Maßnahmen empfehlen die Nephrologie dennoch für alle Patienten:
1. Alternativen prüfen! Ist die regelmäßige NSAR-Einnahme wirklich notwendig oder können andere Schmerztherapien in Frage kommen (andere Substanzen, Akkupunktur, TENS/transkutane elektrische Nervenstimulation, physiotherapeutische Maßnahmen)?
2. Viel trinken! Grundsätzlich soll auf eine ausreichende Flüssigkeitszufuhr geachtet werden (1,5 l), um die Analgetikakonzentration, die die Nieren durchströmt, gering zu halten; bei verschiedenen Begleitumständen (wie fortgeschrittenen Niereninsuffizienz und Herzinsuffizienz) muss jedoch gegebenenfalls eine therapeutische Flüssigkeitsrestriktion erfolgen, dann sollte die Trinkmenge individuell vom Nephrologen festgelegt werden.
3. Besser Gels & Cremes statt Tabletten! Bei vielen Patienten kann die lokale Applikation von NSAR als Cremes, Gel oder Spray über die Kühlwirkung hinaus eine wirksame Alternative darstellen, die nicht vergessen werden sollte [9, 10, 11, 12]. Zwar werden auch bei topischer NSAR-Anwendung messbare Substanzspiegel im Blutplasma erreicht, sie liegen jedoch 50- bis 100fach unter denen bei systemischer Gabe. Die Konzentrationen, die im Gelenk bzw. im umgebenen Gewebe (Synovialflüssigkeit) erreicht werden, können bei geeigneten Präparaten dabei sehr wirksam sein.
Für Interviews/Hintergrundgespräche zum Thema stehen Ihnen Prof. Dr. Markus Ketteler und Prof. Dr. Jan Galle zur Verfügung. Kontakt über die DGfN-Pressestelle (Dr. Bettina Albers; presse@dgfn.eu , 0174/2165629).
Literatur
[1] www.bah-bonn.de
[2] Mihatsch MJ, Khanlari B, Brunner FP. Obituary to analgesic nephropathy–an autopsy study. Nephrol Dial Transplant 2006; 21 (11): 3139-45
[3] Michielsen P. In memoriam ‚analgesic nephropathy‘ (circa 1972-2006). Nephrol Dial Transplant 2007; 22 (4): 999-1001
[4] Naidoo S, Meyers AM. Drugs and the kidney. S Afr Med J 2015; 105 (4): 2683
[5] Pazhayattil GS, Shirali AC. Drug-induced impairment of renal function. Int J Nephrol Renovasc Dis 2014; 7: 457-68
[6] Moore N, Pollack C, Butkerait P. Adverse drug reactions and drug-drug interactions with over-the-counter NSAIDs. Ther Clin Risk Manag 2015 Jul; 11: 1061-75
[7] Lapi F, Azoulay L, Yin H et al. Concurrent use of diuretics, angiotensin converting enzyme inhibitors, and angiotensin receptor blockers with non-steroidal anti-inflammatory drugs and risk of acute kidney injury: nested case-control study. BMJ 2013;346:e8525
[8] DGR Deutsche Gesellschaft für Rheumatologie. Rheuma in Zahlen. http://dgrh.de/1726.html
[9] Sandholzer H, Kochen MM. Perkutane Rheumatherapie. Pharma-kritik 1991; 13 (4):13-16
[10] Heyneman CA, Lawless-Liddy C, Wall GC. Oral versus topical NSAIDs in rheumatic diseases. Drugs 2000; 60 (3): 555-74
[11] Zacher J, Burger KJ, Färber L et al. Topisches Diclofenac Emulgel versus orales Ibuprofen in der Therapie der aktivierten Arthrose der Fingergelenke. Doppelblinde, kontrollierte, randomisierte Studie. Akt Rheumatol 2001; 26: 7-14
[12] El-Hadidi T, El-Garf A. Double-blind study comparing the use of Voltaren Emulgel versus regular gel during ultrasonic sessions in the treatment of localized traumatic and rheumatic painful conditions. J Int Med Res 1991; 19: 219-27