Seit mehreren Jahren wurden im Raum Berlin junge Rote Eichhörnchen mit schweren Entzündungen an Händen, Füßen und Ohren gefunden, ohne dass die Ursache bekannt war. „Die Kleinen können sich nicht mehr festhalten, weil ihre Fingerchen zusammen kleben. Die Wunden sind so schmerzhaft, dass die Tiere oftmals unter Schock versterben“, sagt Tanya Lenn von der Eichhörnchenhilfe Berlin/Brandenburg, die schon viele Eichhörnchen durch intensive Pflege wieder gesund werden sah. „Wenn sie zu spät entdeckt werden, schaffen es jedoch trotz größter Bemühungen nicht alle Tiere“. Einige der verstorbenen Tiere wurden dem Leibniz-Institut für Zoo- und Wildtierforschung (IZW) zur pathologischen Untersuchung übergeben. Die verantwortliche Wildtierpathologin, Gudrun Wibbelt, fand bei allen Tieren tiefgreifende Hautentzündungen, die durch Besiedlung von Bakterien und Hefen verkompliziert wurden. „Das wichtigste Merkmal der erkrankten Haut waren die rundlichen Einschlüsse in den Hautzellen, die in der mikroskopischen Untersuchung sichtbar wurden“, erklärt Wibbelt. Mit Hilfe des Elektronenmikroskops konnten in diesen Einschlüssen Viruspartikel nachgewiesen werden. Bei allen untersuchten Eichhörnchen waren die gleichen Viren im Elektronenmikroskop sichtbar. Wibbelt erzählt, dass „Form und Größe dieser Viren sehr stark an Kuhpockenviren erinnern“. Zur Abklärung des Verdachts wurden Proben an das Konsiliarlabor für Pockenviren im Robert Koch-Institut (RKI) geschickt. Zur großen Überraschung aller lieferten molekularbiologische Routineuntersuchungen kein positives Ergebnis. Daraufhin isolierten Livia Schrick und Andreas Nitsche vom RKI das Virus. Aus den angezüchteten Viren entschlüsselten die RKI-Kollegen Simon Tausch und Piotr Dabrowski das vollständige Genom des Virus. Die ForscherInnen verglichen die Erbinformation des Virus mit allen bekannten Pockenviren. „Dabei entdeckten wir, dass das „Berliner Eichhörnchenvirus“ eine neue Pockenvirusart sein muss, da es nur sehr weit entfernt mit den anderen Pockenviren verwandt ist“, erklärt Nitsche. „Das Virus scheint spezifisch Eichhörnchen zu befallen, so dass Infektionen bei Menschen oder Haustieren nicht zu erwarten sind“, kommentiert Wibbelt.
Hauterkrankungen durch ein anderes Eichhörnchen-Pockenvirus sind seit langer Zeit bei Roten Eichhörnchen in Großbritannien bekannt. Die Erreger sind dort mitverantwortlich für die regionale Ausrottung dieser Wildtierart. Überträger dieser anderen Virusart sind die großen Grauen Eichhörnchen, die im späten 19. Jahrhundert von Nordamerika nach England eingeführt wurden. Sie erkranken selber nicht an der Infektion, geben aber die Viren in die Umwelt ab, von wo sie auf die Roten Eichhörnchen übertragen werden können. In Deutschland kommen keine Grauen Eichhörnchen in der freien Wildbahn vor, wohl aber hellgraue bis schwarze Farbvarianten des roten Eichhörnchens – unverkennbar mit Haarbüschelchen an den Ohrenspitzen.
„Die Entdeckung eines neuartigen Pockenvirus gilt unter Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die sich mit Pockenviren befassen, als kleine Sensation und ist umso bemerkenswerter, wenn so etwas vor der eigenen Haustür geschieht“, erläutert Wibbelt.
Publikation:
Wibbelt G, Tausch SM, Dabrowski PW, Kershaw O, Nitsche A, Schrick L (Epub ahead of print): Berlin Squirrelpox Virus, a new poxvirus in red squirrels, Berlin, Germany. https://wwwnc.cdc.gov/eid/article/23/10/17-1008_article
Kontakt:
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Tel.: +49 30 5168-125
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