Multiple Sklerose – MS ist eine Infektion des ZNS (Zentrales Nervensystem). Ist die Multiple Sklerose erst einmal sicher diagnostiziert, steht bei der MS-Therapie die Inhibition der Entzündung und die Erhaltung der Lebensqualität bei den betroffenen MS-Patienten im Vordergrund jeder MS-Therapie, denn eine Heilung gibt es noch nicht. Dabei sind die Chancen einer fast uneingeschränkten Lebensführung in den letzten Jahren stetig gestiegen. Auch bei der Lebenserwartung konnten Verbesserungen erzielt werden, die derzeitig zirka 5 – 10 % unter den Durchschnittswerten der übrigen Bevölkerung liegen.
Multiple Sklerose – chronische Krankheit des zentralen Nervensystems
MS ist eine chronische, fortschreitende Krankheit des zentralen Nervensystems. Je länger ein Mensch eine MS hat, desto größer die Wahrscheinlichkeit, Behinderungen zu entwickeln.
Typisch für die Multiple Sklerose sind Schädigungen von Hirnarealen, die mittels der Magnetresonanztomographie (MRT) als schwarze Löcher sichtbar werden. Die Entwicklung von MS-bedingten entzündlichen Läsionen im Zentralnervensystem zu chronischen „schwarzen Löchern“ gilt heute als ein Messwert (Surrogat-Marker) für neuroprotektiv wirkende Substanzen. Die chronischen schwarzen Löcher werden bei Menschen mit MS als Anzeichen einer irreversiblen MS-bedingten Gehirnschädigung angesehen.
MS führt im Hirn zur irreversiblen Degeneration von Neuronen
Bisher wird MS als entzündliche Erkrankung des ZNS bezeichnet, in deren Folge es zur irreversiblen Degeneration von Neuronen kommt. Als eine mögliche Ursache, die die Degeneration fördert, wird oxidativer Stress diskutiert, der bei MS-Patienten mit der Schädigung des Nervengewebes einhergeht. Oxidativer Stress entsteht, wenn sich während des Entzündungsprozesses im Hirngewebe reaktive Sauerstoffmoleküle bilden, die antioxidative Schutzmechanismen überwinden und so die Schädigung des Nervengewebes hervorrufen und fördern. Derzeit mehren sich die Erkenntnisse, dass oxidativer Stress ein wichtiger Begleitfaktor in der Pathogenese der MS ist.
Multiple Sklerose: Erstellung der Erstdiagnose erschwert frühzeitige MS-Behandlung
Unter der Behandlung der MS mit modernen Medikamenten ist es möglich, Entzündungen zu verhindern und die Weiterentwicklung entzündlicher MS-Läsionen zu chronischen schwarzen Löchern zu vermeiden. Problematisch ist, das die neurodegenerativen Prozesse im Hirn schon beginnen, bevor es zu ersten feststellbaren Symptomen kommt. In Abhängigkeit vom betroffenem Areal können unterschiedliche Symptome auftreten: Erschöpfung oder Müdigkeit, Sehstörungen, Schwäche in den Beinen, Taubheit und Kribbeln im Gesicht, in den Armen, Beinen und am Rumpf, Spastizität (Muskelsteifigkeit), Schwindel, Doppelsehen, verwaschene Sprache und Verlust der Blasenkontrolle. Hinzu kommen kognitive Probleme, neurologische Defizite, unerklärliche Müdigkeit und Abgeschlagenheit, die in vielen Fällen auch zu Depressionen führen. Da diese Symptome nicht ausschließlich MS-spezifisch sind, stellt die Erstellung der Erstdiagnose eine erhöhte Anforderung an den behandelnden Arzt.
BECOME-Studie: Wirksamkeit von Betaferon und Copaxone bei MS
Die BECOME-Studie (BEtaseron vs. COpaxone in MS with triple-dose gadolinium and 3-T MRI Endpoints) ist die erste direkte, prospektive, randomisierte Vergleichsstudie bezüglich der Wirksamkeit von Glatirameracetat (Copaxone) und Betaferon (Beta-1b-Interferon/ Interferon-beta 1b) über zwei Jahre. Die Patienten hatten entweder die schubförmig verlaufende MS oder ein sogenanntes klinisch isoliertes Syndrom (CIS) mit Verdacht auf MS. Die Wirksamkeit der Behandlung wurde anhand von im ersten Jahr monatlich erhobenen MRT-Parametern untersucht. 75 Patienten erhielten randomisiert entweder subkutane Injektionen von Interferon beta-1b (250 µg alle zwei Tage) oder Glatirameracetat (20 mg täglich) ab dem ersten Studientag. Über serielle 3T-Magnetresonanz-Tomographien des Gehirns wurde die Entwicklung von chronischen schwarzen Löchern direkt verfolgt und dokumentiert.
Die Ergebnisse belegen, dass sich unter Behandlung die meisten neu aufgetretenen MS-Läsionen nicht zu chronischen schwarzen Löchern weiterentwickeln. Außerdem entwickelten sich im Vergleich zu Glatirameracetat signifikant weniger chronische schwarze Löcher aus den entzündlichen Läsionen.
Sekundäranalyse zur BEYOND-Studie: Betaferon kann Neuroprotektion fördern
In dieser post-hoc Studie, vorgestellt zur Jahrestagung der AAN (American Academy of Neurology), wurden Patienten-Scans aus den Datenmengen der BEYOND-Studie erneut analysiert (Sekundäranalyse). Ziel dieser post-hoc Studie war es, in den bereits vorliegenden MRT-Scans die Entwicklung der permanenten schwarze Löcher im zweiten Jahr im Vergleich zu den Läsionen des ersten Jahres zu bewerten. Die MRT-Scans stammten einerseits von Patienten (n = 797), die mit 250 mcg Betaferon behandelt wurden und andererseits von Patienten (n = 393), die Copaxone erhielten.
Die Daten der Sekundäranalyse zur BEYOND-Studie zeigen, dass im Vergleich zu Glatirameracetat die MS-Patienten unter Beta-Interferon im Durchschnitt 30% weniger (p <0,05) neue aktive Hirnläsionen hatten, die in permanente schwarze Löcher übergingen. Permanent schwarze Löcher sind als Gebiete definiert, in denen es zum axonalen Verlust und Gewebezerstörung kommt. Daraus leiten beteiligte Wissenschaftler der Studie ab, dass Beta-Interferon vor einem Fortschreiten der Demyelinisierung in entzündeten Hirnarealen schützt.
Beta-Interferon unterstützt die körpereigenen Mechanismen zum Abbau von oxidativem Stress. Der postulierte Verlust von Axonen, Neuronen und Myelin lässt sich somit eindämmen. Nach Prof. Dr. David Bates, Universitiy of Newcastle, England lassen die Auswertungen der Daten den Schluß zu, dass Betaferon neuroprotektive Eigenschaften entfalten kann, wenn es frühzeitig zur MS-Therapie eingesetzt wird.
BEYOND Studie zur Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit von Betaferon und Copaxone
BEYOND ist eine große, prospektive Phase-III-Studie, an der 2.244 Patienten mit schubförmiger MS an 198 Standorten in 26 Ländern teilnahmen. Untersucht wurden die Wirksamkeit, Verträglichkeit und Sicherheit einer 500 mcg Betaferon-Dosis im Vergleich zu den Standards 250 mcg-Dosis Betaferon und Copaxone. Der primäre Endpunkt der Studie, das Risiko für Rückfälle, zeigte in den drei Behandlungsgruppen keine Unterschiede. Auffällig war in dieser Studie – und damit anders als bei früheren Studien – eine sehr geringe Rezidivrate in der gesamten Studienpopulation.
Multiple Sklerose – Therapie so früh wie möglich
Auch wenn die Erkenntnisse über die Multiple Sklerose in vielen Bereichen noch lückenhaft sind, so erlauben die derzeitigen therapeutischen Möglichkeiten den MS-Patienten in vielen Fällen ein fast uneingeschränktes, normales Leben. Je früher MS erkannt und diagnostiziert und anschließend unverzüglich mit den MS-spezifischen Medikamenten therapiert wird, desto besser sind die Chancen. Darin sind sich alle MS-Experten, Wissenschaftler und Ärzte einig.
BETAPAEDIC untersucht Stellenwert von Interferon beta-1b in der Therapie jugendlicher MS-Patienten
Aus Studien bei erwachsenen MS-Patienten ist bekannt, dass bei einer frühzeitigen Diagnosestellung und einer Frühtherapie mit krankheitsmodulierenden Substanzen die Chancen besonders gut stehen, die weitere Krankheitsprogression zu verzögern und motorischen wie auch kognitiven Beeinträchtigungen entgegen zu wirken.
Die Gabe von Interferon beta-1b ist Standard bei der Behandlung von Erwachsenen mit Multipler Sklerose. Nun wird der Stellenwert dieser Therapieform im Rahmen einer internationalen prospektiven Multicenterstudie auch bei Kindern und Jugendlichen untersucht. An der Studie, die die Bezeichnung BETAPAEDIC trägt, beteiligen sich Zentren aus verschiedenen Ländern Europas.
Aufgenommen in die Untersuchung werden 100 Kinder und Jugendliche im Alter zwischen 12 und 16 Jahren, die an einer schubförmig verlaufenden Multiplen Sklerose (RRMS, Relapsing/Remitting Multiple Sclerosis) entsprechend der McDonald oder Poser Kriterien leiden. „Diese Kinder bedürfen einer besonders guten Behandlung, da die MS sich bei ihnen schon früh manifestiert hat und damit das Risiko für die Entwicklung bleibender Behinderungen besonders groß ist“, betont Studienleiterin Professor Dr. Jutta Gärtner, Direktorin der Abteilung Pädiatrie II der Universitätskinderklinik in Göttingen. (MEDIZIN ASPEKTE 06/2010)
Quelle
Benefiting from Time: The Importance of Early Treatment
Bayer Schering Pharma Media Event
Berlin 21. Juni 2010
Referenten
- Protecting Brain Functions The Importance of Early Treatment
Prof. David Bates
University of Newcastle Newcastle, United Kingdom - MS in Adolescents
Prof. Dr. med. Jutta Gärtner
Zentrum Kinderheilkunde und Jugendmedizin
Direktorin der Abteilung Pädiatrie II mit Schwerpunkt Neuropädiatrie
Georg-August-Universität Göttingen