Leberzellkarzinom. Das hepatozelluläre Karzinom (HCC) ist eine der Hauptursachen krebsbedingter Todesfälle in Europa. Der Therapiealgorithmus unterscheidet nach frühem, intermediärem und fortgeschrittenem Stadium. Sowohl die deutschen S3-Leitlinien als auch die Leitlinien der European Association for the Study of the Liver (EASL) empfehlen den Multi-Kinase-Inhibitor Sorafenib (Nexavar®) mit der höchsten Evidenz (1A) bei HCC-Patienten mit erhaltener Leberfunktion (Child-Pugh-Stadium A) im fortgeschrittenen Stadium (Barcelona Clinic Liver Cancer Stadium C, BCLC-C) oder einer intermediären Tumormanifestation (BCLC-B), die lokoregionär nicht kontrolliert werden kann.(1,2) Im intermediären Stadium BCLC-B (multinodulärer Tumor ohne makrovaskuläre Invasion und Lymphknotenbefall) ist laut S3-Leitlinien die TACE (transarterielle Chemoembolisation) angezeigt.(1) Darüber hinaus kann im intermediären Krankheitsstadium auch die SIRT (Selektive Interne Radiotherapie) eingesetzt werden. Es gibt jedoch keine Leitlinien-Empfehlung und keine klinische Evidenz für einen Überlebensvorteil der SIRT im Vergleich zu Sorafenib – in den Studien wurde der primäre Endpunkt nicht erreicht.(3,4)
Das intermediäre HCC-Stadium umfasst mit größeren, multinodulären Tumoren ohne extrahepatische Ausbreitung und einer guten Leberfunktion (Child-Pugh-Stadium A) eine sehr heterogene Patientengruppe.(5) Damit ein optimales Therapiekonzept realisiert werden kann, ist es erfolgskritisch, dass jeder Patient individuell durch ein interdisziplinäres Tumorboard beurteilt wird, das sich unter anderem aus den Fachbereichen Onkologie, Gastroenterologie/Hepatologie und Strahlentherapie zusammensetzt. Im Vordergrund jeder Therapie stehen dabei die onkologische Wirksamkeit und der Erhalt der Leberfunktion.
Erstlinientherapie beim Leberzellkarzinom
Der Multi-Kinase-Inhibitor Sorafenib (Nexavar®) ist bis heute das einzige zugelassene Medikament in der Erstlinientherapie des Leberzellkarzinoms und Standard im fortgeschrittenen Stadium. Grundlage für die hochrangigen Leitlinienempfehlungen (1,2) von Sorafenib als Erstlinien-Systemtherapie bei Patienten mit inoperablem fortgeschrittenem (Barcelona Clinic Liver Cancer Stadium C, BCLC- C) Leberzellkarzinom (HCC) bildete die Phase-III-Studie SHARP.(6)
Die zweite Phase-III-Studie, ASIA-PACIFIC, mit 226 randomisierten asiatischen Patienten, die häufiger eine weiter fortgeschrittene Erkrankung aufwiesen, bestätigte das Ergebnis von SHARP mit einer signifikanten Verlängerung des medianen OS im Vergleich zu Placebo. (16) Die nicht-interventionellen Studien GIDEON (n=3.202) und INSIGHT (n=782) zeigten, dass sich der OS-Vorteil unter Sorafenib auch in die alltägliche Praxis auf eine breite Patientenpopulation übertragen ließ.(7,8,9).
Trotz zahlreicher Studien konnten bisher keine neuen Substanzen beim HCC das Therapiefeld in der Erstlinientherapie erweitern. Sie haben sich entweder als nicht effektiv oder zu toxisch erwiesen. Der Wirkstoff Lenvatinib hat in der REFLECT- Studie (14) die Nichtunterlegenheit zu Sorafenib gezeigt, ist jedoch noch nicht zugelassen. Nivolumab befindet sich noch in der klinischen Entwicklung.
Zweitlinientherapie beim HCC nach Progress
Eine Ausnahme bildet der Wirkstoff Regorafenib (Stivarga®), der seit August 2017 für die Zweitlinientherapie beim HCC nach Progress unter Sorafenib zugelassen ist und damit nach fast zehn Jahren einen Durchbruch in der HCC-Therapie darstellt. Der Multi-Kinase-Inhibitor erzielte in der internationalen, multizentrischen, placebo-kontrollierten Phase-III-Zulassungsstudie RESORCE (REgorafenib after SORafenib in patients with hepatoCEllular carcinoma) eine signifikante Verlängerung des medianen Gesamtüberlebens (OS). (11) In der RESORCE-Studie wurde Regorafenib bei 573 randomisierten Patienten mit inoperablen HCC untersucht, die unter Sorafenib progredient geworden waren. Die Patienten erhielten neben Regorafenib bzw. Placebo zudem eine bestmögliche unterstützende Behandlung (best supportive care, BSC). Unter Regorafenib verbesserte sich das mediane OS um 2,8 Monate im Vergleich zum Placebo-Arm (10,6 versus 7,8 Monate), was eine Reduktion des Mortalitätsrisikos um 37% über den Studienzeitraum bedeutete (HR=0,63; 95% CI: 0,50-0,79; p<0,0001).(11) Die Nebenwirkungen entsprachen dem bekannten Sicherheitsprofil. Als häufigste behandlungsbedürftige Nebenwirkungen wurden Hand-Fuß-Hautreaktionen (HFSR), Diarrhoe, Fatigue sowie Bluthochdruck beobachtet.(11) Regorafenib ist bereits in den Leitlinien des National Comprehensive Cancer Network (NCCN) für die Zweitlinientherapie des HCC enthalten. (15)
OS-Ergebnisse der RESORCE-Studie
Die OS-Ergebnisse der RESORCE-Studie wurden durch eine aktualisierte OS- Analyse mit längerem Follow-up bestätigt. (12) Eine gepoolte Analyse zeigte außerdem, dass Patienten, die die Sequenztherapie Sorafenib-Regorafenib durchliefen, ein medianes OS von 26 Monaten erreichen konntenX, während das mediane OS unter der Sequenz Sorafenib-Placebo 19 Monate betrug. (13) Auf Basis der Ergebnisse der RESORCE-Studie wurde Regorafenib (Stivarga®) für die Zweitlinien-Therapie des inoperablen HCC für Patienten, die bereits mit Sorafenib behandelt wurden, innerhalb der EU zugelassen.
Da der Vertrieb von Regorafenib aufgrund der gesetzlichen Rahmenbedingungen vor mehr als einem Jahr in Deutschland eingestellt wurde, kann die Versorgung der Patienten in Deutschland nur mittels Einzelimport (nach §73 (1) AMG) aus dem Ausland erfolgen. Patienten erhalten von ihrem Arzt ein Rezept. Anschließend stellt der Patient, Arzt oder Apotheker einen Antrag auf Kostenerstattung bei der Krankenkasse des Patienten. Alles Weitere übernimmt in den meisten Fällen die importierende Apotheke. Die bisherigen Erfahrungen zeigen einen reibungslosen Ablauf.
(X) Das mediane Gesamtüberleben ab Beginn der Erstlinientherapie mit Sorafenib bis zum Tod innerhalb der Beobachtungszeit der RESORCE-Studie wurde kalkuliert aus der Behandlungsdauer der Erstlinientherapie mit Sorafenib, der Dauer der Screeningphase für die RESORCE-Studie (bis zu 10 Wochen) sowie dem medianen Gesamtüberleben innerhalb der RESORCE-Studie.
Fazit:
- Multi-Kinase-Inhibitor Sorafenib (Nexavar®) ist derzeitig einziges zugelassenes Medikament in der Erstlinientherapie des Leberzellkarzinoms (HCC) und Standard im fortgeschrittenen Stadium
- Multi-Kinase-Inhibitor Regorafenib (Stivarga®) ermöglicht erstmals HCC- Zweitlinientherapie für Patienten, die mit Sorafenib vorbehandelt wurden, und schließt eine Therapielücke
- Sorafenib kann auch im intermediären Stadium eingesetzt werden, wenn Patienten refraktär oder nicht geeignet sind für eine transarterielle Chemoembolisation (TACE)
- Aktuelle Analysen zeigen Korrelation zwischen typischen Nebenwirkungen und einem besseren Gesamtüberleben (OS) unter Sorafenib und Regorafenib
Literatur:
- http://leitlinienprogramm-onkologie.de/uploads/tx_sbdownloader/S3-HCC-OL-Langversion- V1.0.pdf (abgerufen 21.08.2017)
- http://www.easl.eu/research/our-contributions/clinical-practice-guidelines/detail/management-of- hepatocellular-carcinoma-easl-eortc-clinical-practice-guidelines/report/12 (abgerufen 21.08.2017)
- Vilgrain et al. EASL 2017
- Chow et al. ASCO 2017
- https://www.aerzteblatt.de/archiv/163365/Hepatozellulaeres-Karzinom-Individuelles-
Gesamtkonzept - Llovet JM et al. N Engl J Med 2008; 359:378-390
- Ivarone M et al. Hepatology 2011; 54:2055-2063
- Ganten TM et al. Ann Oncol 2014; 25(Suppl 4):#728P
- Marrero J et al. J Clin Oncol. 2013; 31(suppl). Abstract 4126
- Ganten TM et al. Clin Cancer Res 2017; DOI:10.1158/1078-0432.CCR-16-0919
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- Bruix J et al. ESMO 19th World Congress on Gastrointestinal Cancer, June 28-July 1, 2017, Barcelona, Spain
- Kudo M, Liver Cancer 2017; 6:177-184
- Cheng A.-L., ASCO 2017; J Clin Oncol 35, 2017 (suppl; abstr 4001)
- NCCN Clinical Practice Guidelines in Oncology, Hepatobiliary Cancers, Version 3.2017,
- Cheng AL et al. Lancet Oncol. 2009; 10:25-34
- Pressekonferenz Bayer Vital GmbH: Fortschritte in der Behandlung des Leberzellkarzinoms – von der Sequenztherapie bis zur personalisierten Medizin, 29. September 2017