Diese kleinen Teilchen erinnern an Papierblumen oder Sandrosen. Mit ihnen können Ärztinnen und Ärzte Medikamente im Körper punktgenau ans Ziel bringen. Der grosse Vorteil: Weil die Partikel Schallwellen streuen, lassen sie sich gut mit Ultraschall nachverfolgen.
Wie bringt man ein Medikament im Körper genau dorthin, wo es wirken soll? An dieser Frage forschen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler schon länger. Es geht beispielsweise darum, Krebsmedikamente zu einem Tumor zu transportieren, damit sie nur dort wirken und im Rest des Körpers keine Nebenwirkungen verursachen. Die Forschung sucht nach Trägerpartikeln, an die ein Wirkstoff gebunden werden kann. Solche Partikel müssen eine ganze Reihe von Bedingungen erfüllen, darunter folgende drei: Sie müssen erstens möglichst viele Wirkstoffmoleküle aufnehmen, zweitens mit einem einfachen Verfahren wie Ultraschall durch die Blutbahnen gelenkt und ihr Weg durch den Körper muss drittens mit einem bildgebenden Verfahren verfolgt werden können. Nur wenn dieser letzte Punkt erfüllt ist, lässt sich überprüfen, ob der Medikamententransport funktioniert hat.
Alle diese Anforderungen unter einen Hut zu bringen, war für die Wissenschaft eine Knacknuss. Forschende unter der Leitung der ETH Zürich haben nun für eine spezielle Klasse von Partikeln gezeigt, dass sie die Bedingungen hervorragend erfüllen. Diese Teilchen sind nicht nur leistungsfähig, sie sehen unter dem Mikroskop auch hübsch aus: Sie ähneln winzigen Papierblumen oder Sandrosen. Aufgebaut sind sie aus hauchdünnen Blättchen, die sich selbstorganisierend zu Blüten zusammenfügen. Diese Blütenteilchen haben einen Durchmesser von einem bis fünf Mikrometern, was kleiner ist als ein rotes Blutkörperchen.
Ihre Form begünstigt zwei Eigenschaften: Zum einen haben die Blütenpartikel im Verhältnis zu ihrer Grösse eine riesige Oberfläche. Die Zwischenräume zwischen den vielen dicht gepackten Blütenblättern sind nur wenige Nanometer breit und wirken wie Poren. Dadurch können sie sehr grosse Wirkstoffmengen aufnehmen. Zum anderen streuen die Blütenblätter Schallwellen oder sie lassen sich mit Molekülen beschichten, die Licht absorbieren. Mit Ultraschall oder der sogenannten optoaktustischen Bildgebung sind sie deshalb sehr gut sichtbar.
Diese Ergebnisse veröffentlichten die Gruppen von Daniel Razansky und Metin Sitti jüngst im Fachmagazin externe SeiteAdvanced Materials. Razansky ist Professor für biomedizinische Bildgebung an der ETH Zürich und an der Universität Zürich. Sitti ist Experte für Mikrorobotik und war bis vor kurzem Professor an der ETH Zürich und am Max-Planck-Institut für Intelligente Systeme in Stuttgart. Jetzt arbeitet er an der Koç Üniversitesi in Istanbul.
Besser als Gasbläschen
«Bisher haben Forschende für den Transport durch die Blutbahn mit Ultraschall oder anderen akustischen Methoden vor allem winzige Gasbläschen untersucht», sagt Paul Wrede, Mitautor der Studie und Doktorand in Razanskys Gruppe. «Wir zeigen nun, dass man auch feste Mikropartikel akustisch steuern kann.» Der Vorteil der Blumenpartikel gegenüber den Bläschen: Man kann sie mit einer grösseren Menge an Wirkstoffmolekülen beladen.
In Experimenten in der Petrischale zeigten die Forschenden, dass sich die Blütenpartikel mit einem Krebsmedikament beladen lassen. Ausserdem injizierten sie die Partikel in die Blutbahn von Mäusen. Mit fokussiertem Ultraschall hielten sie die Teilchen an einer vorher festgelegten Stelle im Blutkreislauf fest. Dies funktionierte, obschon das Blut weiter zirkulierte und an den Partikeln vorbeifloss. Fokussierter Ultraschall ist eine Technik, bei der Schallwellen auf einen Punkt gebündelt werden. «Wir injizieren die Partikel also nicht einfach und hoffen auf das Beste, sondern wir können sie kontrollieren», sagt Wrede. Mit dieser Technik wollen die Forscher eines Tages Medikamente zu Tumoren transportieren oder zu Thromben, welche Blutgefässe verstopfen.
Je nach Anwendung und je nach Bildgebungsverfahren, mit dem die Forschenden die Position der Partikel kontrollieren möchten, stellen sie sie aus verschiedenen Materialien her und beschichten sie unterschiedlich. «Das grundlegende Funktionsprinzip beruht auf ihrer Form, nicht auf dem Material, aus dem sie bestehen», sagt Wrede. In ihrer Studie untersuchten die Forschenden eingehend Blütenpartikel aus Zinkoxid. Zudem testeten sie Partikel aus dem Kunststoff Polyimid und aus einem Verbundmaterial, das aus Nickel und organischen Verbindungen zusammengesetzt ist.
Nun möchten die Forschenden den Ansatz weiterentwickeln. Zunächst planen sie weitere Untersuchungen in Tieren, bevor die Technik allenfalls auch Menschen mit Kreislauferkrankungen oder Krebs zugutekommen kann.
Weitere Informationen
Wissenschaftliche Ansprechpartner
Paul Wrede, paul.wrede@inf.ethz.ch
Originalpublikation
https://onlinelibrary.wiley.com/doi/10.1002/adma.202404514
https://medizin-aspekte.de/helminthen-wie-parasiten-die-immunabwehr-umgehen-152801/