Integrierte Sekundarschule, Gemeinschaftsschule, jahrgangsübergreifendes Lernen: Die Bedingungen in den Schulen haben sich in den vergangenen Jahren drastisch geändert. Es gibt wohl kaum einen Bereich der Gesellschaft mit einer derart großen Zahl von Reformen wie das Bildungswesen. Wurden früher Kinder mit sechs oder gar sieben Jahren eingeschult, drücken heute oft schon Fünfjährige die Schulbank. Das Abitur ist in zwölf Jahren abzulegen und Computer sind im Unterricht ein alltägliches Hilfsmittel. Und nicht zuletzt scheint es, als wäre die Kultur des Umgangs der Schüler untereinander rauer und unsozialer geworden.
Dramatische Fälle von Mobbing finden sich immer wieder in den Schlagzeilen. Laut einer aktuellen Forsa-Umfrage im Auftrag der Techniker Krankenkasse (TK) hat jeder dritte Schüler bereits schlechte Erfahrungen wie Drohungen, Beleidigungen und das Verbreiten von Gerüchten im Internet oder via Handy gemacht.
Hinzu kommen die hohen Erwartungen, die die Eltern an ihr (häufig einziges) Kind stellen. Schließlich soll der Sprössling die besten Chancen auf einen guten Start ins Berufsleben haben. Entsprechend groß kann der Druck sein, unter dem die Schüler leiden. Aber auch die Freizeitaktivitäten der Kinder haben sich verändert. Eine Forsa-Umfrage im Auftrag der TK ergab, dass jedes dritte Kinder zwischen sechs und 18 Jahren mehr als eine Stunde vor dem Fernseher verbringt. Dazu kommen noch Zeiten vor Computer und Spielkonsole.
Therapiebedarf für Kinder steigt
Mit Sorge beobachtet die TK den Trend, dass Kinder immer häufiger zum Therapeuten müssen. Eine Auswertung der TK ergab, dass im vergangenen Jahr jedes dritte Kind unter 15 Jahren ein Heilmittel wie eine Physiotherapie, Ergotherapie oder Sprachtherapie verordnet bekommen hat. Gegenüber dem Jahr 2007 ist das ein Plus von zehn Prozent. Den größten Zuwachs an Therapien gab es bei den Sprachtherapien: Hier betrug die Steigerung innerhalb der letzten vier Jahre 30 Prozent.
York Scheller, Psychologe bei der TK zu den Zahlen: „Erfreulicherweise gibt es inzwischen sehr gute Möglichkeiten, Kinder mit Entwicklungsproblemen therapeutisch zu unterstützen. Dass mittlerweile aber fast jedes zweite Schulkind therapieerfahren ist und diese Tendenz sogar zunimmt, ist bemerkenswert. Es wirft die Frage auf, ob wir den Kindern in ihrem Alltag ausreichend Anreize und Raum geben, sich zu entwickeln.“
Scheller: „Gegen den steigenden Therapiebedarf gibt es zwar kein Patentrezept, aber Eltern können ihren Nachwuchs in seiner Entwicklung unterstützen und die eine oder andere Therapie überflüssig machen. Das gemeinsame Singen von Kinderliedern und Abzählreime üben die Sprache.“ Kinder sollten ihrer Fantasie beim Spielen, Basteln oder Toben auf dem Spielplatz freien Lauf lassen können. Solche Aktivitäten fördern das Sozialverhalten, die Kreativität und die koordinativen Fähigkeiten, womit das Risiko von Entwicklungsrückständen gemindert werden kann. All das kann seinen Beitrag dazu leisten, dass die Kinder gesund aufwachsen.