In einer vom Bundesministerium für Bildung und Forschung geförderten Studie konnten die Forschenden erstmals eine Störung des sogenannten Brutpflegesystems im Gehirn als möglichen Erklärungsansatz identifizieren. Ihre Erkenntnisse veröffentlichten sie jüngst in der Fachzeitschrift Frontiers in Human Neuroscience.
Zahlreiche Vorgängerstudien beschäftigten sich bei der Suche nach Erklärungen für pädophile Störungen vor allem mit dem Paarungssystem, also den Reaktionen des Gehirns auf sexuelle Reize, den damit verbundenen Mechanismen der Impulskontrolle und möglichen hirnanatomischen Veränderungen. Im Gegensatz dazu konzentrierte sich das Kieler Forschungsteam nun auf Gehirnaktivitäten, die das sogenannte Brutpflegeverhalten steuern. Männer sind anders als die meisten männlichen Säugetiere zu ungewöhnlich ausgeprägten Brutpflegetätigkeiten in der Lage. Sie verfügen also über ein breites Spektrum an sozialen Fertigkeiten, mit denen sie sich um ihren Nachwuchs kümmern können. Dieses Verhalten steht bei Säugetieren einschließlich des Menschen mit einer bestimmten hormonellen Regulation in Verbindung.
Das Forschungsteam der CAU vermutete aufgrund ihrer vorgegangenen Arbeiten eine mögliche Überaktivität des Brutpflegesystems bei pädophilen Männern. „In unserer Untersuchung haben wir uns erstmals mit Mechanismen im Gehirn der Betroffenen befasst, die nicht mit der Sexualität in Verbindung stehen. Die Ursachen für Pädophilie sind vielschichtiger als bisher angenommen und hängen möglicherweise auch mit einer Sexualisierung der Brutpflege zusammen“, betont Psychologe Dr. Jorge Ponseti, Leiter der Kieler Studie.
Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler untersuchten, welche Reaktionen pädophile Männer auf Bilder von jungen und ausgewachsenen Tieren zeigen und nahmen dabei magnetresonanztomographische Messungen (MRT) des Gehirns vor. Sie nutzten also eine Methode, die unabhängig von sexuellen Reizen über das sogenannte Kindchenschema der abgebildeten Jungtiere für eine Aktivierung des Brutpflegesystems sorgt.
Es zeigte sich, dass die subjektive Wahrnehmung dieser Bilder sich bei pädophilen Männern und einer gesunden Kontrollgruppe nicht unterschied. Allerdings ergaben die MRT-Messungen, dass sich die sogenannte Hirnantwort der Betroffenen beim Betrachten der Jungtiere deutlich verstärkte. Dabei handelt es sich um Aktivitäten in bestimmten Hirnarealen, etwa dem linken vorderen Inselkortex, die zum Beispiel auch aktiv sind, wenn Mütter ihr eigenes Kind anschauen. Die Kieler Forschenden schlossen daraus, dass Pädophilie auch mit einer Störung des männlichen Brutpflegesystems in Verbindung stehen kann. Diese neu entdeckten Zusammenhänge wollen die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler nun in nachfolgenden Studien überprüfen.
Ein Ansatz, dem sie dabei nachgehen wollen, liegt in der Konzentration bestimmter Hormone, die im weiblichen Organismus mit Beginn der Wechseljahre sinkt. Sie bewirkt bei Frauen, dass sich das Brutpflegesystem verändert und sie zum Beispiel weniger stark auf das Kindchenschema reagieren. Das Forschungsteam will prüfen, ob eine medikamentöse Hormon-Regulierung bei betroffenen Männern eine ähnliche Wirkung zeigt. „Dieser Therapieansatz böte die Chance, eine pädophile Neigung viel zielgerichteter zu behandeln als das heute möglich ist“, zeigt sich Ponseti optimistisch.
Originalarbeit:
Jorge Ponseti, Daniel Bruhn, Julia Nolting, Hannah Gerwinn, Alexander Pohl, Aglaja Stirn, Oliver Granert, Helmut Laufs, Günther Deuschl, Stephan Wolff, Olav Jansen, Hartwig Siebner, Peer Briken, Sebastian Mohnke, Till Amelung, Jonas Kneer, Boris Schiffer, Henrik Walter and Tillmann H. C. Kruger (2018): Decoding Pedophilia: Increased Anterior Insula Response to Infant Animal Pictures. Frontiers in Human Neuroscience http://dx.doi.org/10.3389/fnhum.2017.00645
Ein Bild steht zum Download bereit:
http://www.uni-kiel.de/download/pm/2018/2018-041-1.jpg
Bildunterschrift: Die Betrachtung von Jungtieren im Vergleich zu ausgewachsenen Tieren löst bei pädophilen Männern verstärkte Aktivität in verschiedenen Hirnarealen aus (gelbe Flächen), während die Aktivität bei Kontrollpersonen vergleichsweise schwächer ist. Der gelbe Pfeil zeigt auf die Aktivitätsverhältnisse im linken vorderen Inselkortex. Dieses Hirnareal ist üblicherweise aktiviert, wenn Mütter ihr eigenes Kind sehen.
Abbildung: Dr. Jorge Ponseti
Kontakt:
PD Dr. Jorge Ponseti
Universitätsklinikum Schleswig-Holstein, Campus Kiel
Sektion für Sexualmedizin
Tel.: 0431-500 98612
E-Mail: jorge.ponseti@uksh.de
Weitere Informationen:
Institut für Sexualmedizin und Forensische Psychiatrie und Psychotherapie:
http://www.zip-kiel.de/sexualmedizin
NeMUP Forschungsverbund,
Neurobiologische Grundlagen von Pädophilie
und sexuellem Missbrauchsverhalten gegen Kinder:
http://www.nemup.de
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