Die chronische inflammatorische demyelinisierende Polyneuropathie (CIDP) ist eine seltene Erkrankung des peripheren Nervensystems (PNS) mit einer Progredienz von mindestens zwei Monaten. Der Verlauf kann stetig oder auch in Schüben erfolgen und führt zu motorischen und sensiblen Dysfunktionen in Armen und Beinen. Hintergrund ist eine immunvermittelte degenerative Zerstörung der Myelinscheiden, die die Nervenfasern (Axone) schützend umhüllen. Durch die Demyelinisierung wird die Nervenleitungsgeschwindigkeit verlangsamt.
Da die Myelinscheiden im PNS von Schwann-Zellen gebildet werden, bezeichnete Prof. Dr. Patrick Küry, Klinik für Neurologie, Universität Düsseldorf, im Rahmen des DGN-Kongresses 2015 diese als Schlüsselkomponente der peripheren Nervenregeneration. Mit seinem Team konnte er experimentell zeigen, dass IVIG an Schwann-Zellen binden und diese stimulieren.(2) Dadurch werden vermehrt Myelinproteine gebildet, die sich als Myelinscheide erneut um die Axone legen. Das Resultat ist eine beschleunigte Reizweiterleitung mit normalisierter Nervenfunktion.
Intravenöse polyvalente Immunglobuline (IVIG) nicht nur bei primären und sekundären Immundefekten
Intravenöse polyvalente Immunglobuline (IVIG) wie Privigen® haben sich vielfach bewährt. Nicht nur bei primären und sekundären Immundefekten. Auch in der Immunmodulation bei der chronischen inflammatorischen demyelinisierenden Polyneuropathie (CIDP) spielen IVIG eine zentrale Rolle.(1) Trotz positiver Erfahrungen in der Praxis sind bisher jedoch weder Wirkansatz noch Pathomechanismus der Autoimmunerkrankung vollständig verstanden.
Einen auf aktuellen Forschungsergebnissen basierenden Erklärungsansatz präsentierte Prof. Dr. Patrick Küry: (2,3) In Zellkulturstudien konnte gezeigt werden, dass IVIG die Schwann-Zellen zur Ausbildung neuer Myelinscheiden anregen können und somit zu einer normalisierten Nervenfunktion führen könnten. Laut Prof. Dr. Stefan Braune, Facharzt für Neurologie aus Prien, komme dem Therapiemanagement bei CIDP ein besonderer Stellenwert zu: Viele Patienten sprächen gut auf Immunglobuline an. Manche von ihnen, bei denen zum Beispiel zuvor Kortikosteroide wirkungslos blieben, benötigten allerdings eine Langzeittherapie.
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IVIG-Therapie: Gerade bei CIDP oft langfristig nötig
Grundsätzlich, erläuterte Braune, sprächen CIDP-Patienten gut auf IVIG an – in Studien bis zu 87 % gemessen am INCAT-Score (Inflammatory Neuropathy Cause and Treatment).(4) Bei manchen Betroffenen halte der Erfolg jedoch nicht vor. So hatten in einer Studie 28 über sechs Monate mit IVIG behandelte Personen mit CIDP eine Verbesserung erzielt. Die Werte verschlechterten sich allerdings median 4,5 Monate nach Behandlungsende bei rund 86 % der Teilnehmer wieder.(5) Braune schließt daraus, dass für einige Patienten eine langfristige Therapie sinnvoll sein könne. Die Frage ist, für wen. Die DGN-Leitlinie sagt zum Therapiemanagement, dass die Erhaltungsdosis „individuell bestimmt und im Verlauf überprüft werden“ muss.(6) Prognose- oder Risikofaktoren, anhand derer sich Therapielänge und Intensität abschätzen ließen, bleiben offen. Studiendaten und Braunes Erfahrungen zufolge sei bei folgenden Faktoren eine dauerhafte IVIG-Therapie in Erwägung zu ziehen: Multifokales Defizit, fehlendes Ansprechen auf Kortikosteroide und längere Dauer bis zum Ansprechen auf IVIG.(7)
Orientierungshilfen für das Therapiemanagement leitete Braune aus einer retrospektiven Datenauswertung8 ab: „Ob CIDP-Patienten auf IVIG ansprechen und sich INCAT-Score oder Griffstärke klinisch verbessern, zeigt sich in den ersten neun Wochen.“ Die jeweils maximal mögliche Besserung werde in der Regel innerhalb von 21 Wochen erreicht. Für Braune sind das die relevanten Zeitpunkte, um den Therapieerfolg zu analysieren und die Behandlung gegebenenfalls zu modifizieren.
Privigen®: Erfolgreich bei Autoimmunerkrankungen und Neuropathien
In der PRIMA-Studie (9) erhielten 28 CIDP-Patienten eine Startdosis von 2 g/kg Körpergewicht und alle drei Wochen bis zu sieben Erhaltungsdosen von 1 g/kg KG. Das Ergebnis: Die Erkrankung verbesserte sich klinisch relevant und signifikant, der INCAT-Score sank durchschnittlich von 3,7 auf 2,3. Griffstärke und motorische Funktion verbesserten sich ebenfalls und Privigen® wurde gut vertragen. Das intravenös zu applizierende polyvalente Immunglobulin ist bei CIDP zur Initial- und Dauertherapie zugelassen.
Außerdem ist Privigen® für die Behandlung weiterer Autoimmunerkrankungen zugelassen, etwa beim Guillain-Barré-Syndrom, bei Morbus Kawasaki und Immunthrombozytopenie.(1) Ebenfalls zur Immunsubstitution bei allogener Knochenmarktransplantation sowie zur Therapie primärer und sekundärer Immundefekte.(1) Die Anwendungsgebiete von IVIG wachsen kontinuierlich: So kann Privigen® – gemäß Beschlüssen des Gemeinsamen Bundesausschusses zur Erstattungsfähigkeit von IVIG(10,11) – auch bei Polymyositis und Dermatomyositis als Add-on-Behandlung verordnet und erstattet werden, wenn andere Optionen versagt haben, sowie in der myasthenen Krise. Eine Umstellung auf subkutane Immunglobuline (SCIG) kann Patienten den Alltag erleichtern und Krankenhausaufenthalte ersparen. Bei CIDP zum Beispiel werden SCIG wie Hizentra® aktuell in Studien erprobt.(6)
Referenzen
- Fachinformation Privigen® 100 mg/ml Infusionslösung, Stand Mai 2013
- Tzekova N et al. Immunoglobulins stimulate cultured Schwann cell maturation and promote their potential to induce axonal outgrowth. Journal of Neuroinflammation. 2015; 12:107
- „Neues zur Neuroimmunologie: Von der Forschung zur Praxis”, Symposium von CSL Behring anlässlich des 88. Kongresses der Deutschen Gesellschaft für Neurologie, Donnerstag, 24. September 2015, Düsseldorf
- Nobile-Orazio E et al. Intravenous immunoglobulin versus intravenous methylprednisolone for chronic inflammatory demyelinating polyradiculoneuropathy: a randomised controlled trial. Lancet Neurol. 2012 Jun;11(6):493-502
- Nobile-Orazio E et al. Frequency and time to relapse after discontinuing 6-month therapy with IVIg or pulsed methylprednisolone in CIDP. J Neurol Neurosurg Psychiatry. 2015; 86:729-734
- Kommission Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie (Hrsg.): Therapie akuter und chronischer immunvermittelter Neuropathien und Neuritiden, Entwicklungsstufe S2e, AWMF-Registernummer 030/130,
- Rabin M et al. Chronic inflammatory demyelinating polyradiculoneuropathy: search for factors associated with treatment dependence or successful withdrawal. J Neurol Neurosurg Psychiatry. 2014; 85:901-906
- Latov N et al. Timing and Course of Clinical Response to Intravenous Immunoglobulin in Chronic Inflammatory Demyelinating Polyradiculoneuropathy. Arch Neurol. 2010; 67(7):802-807
- Léger JM et al. Efficacy and safety of Privigen® in patients with chronic inflammatory demyelinating polyneuropathy: results of a prospective, single-arm, open-label Phase III study (the PRIMA study). J Peripher Nerv Syst. 2013 Jun;18(2):130-40
- Gemeinsamer Bundesausschuss. Arzneimittel-Richtlinie/Anlage VI: Off-Label-Use Intravenöse Immunglobuline (IVIG) bei Polymyositis und bei Dermatomyositis. www.g-ba.de/informationen/beschluesse/1701/ (abgerufen am 30.9.2015)
- Gemeinsamer Bundesausschuss. Arzneimittel-Richtlinie/Anlage VI: Intravenöse Immunglobuline (IVIG) bei Myasthenia gravis.
www.g-ba.de/informationen/beschluesse/1954/ (abgerufen am 30.9.2015)