Inklusion wird in der UN-Konvention als Menschrecht verstanden und bedeutet, dass die Umwelt von vorneherein so ausgestattet sein soll, dass alles Menschen darin gleichberechtigt leben und an der Gesellschaft teilhaben können, bis letztlich die Unterscheidung in behindert und nicht-behindert unbedeutend wird. Basisvoraussetzungen hierfür sind vor allem Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsgesetze sowie eine barrierefreie Umweltgestaltung. In der UN-Behindertenrechtskonvention verpflichten sich die Mitgliedsstaaten behinderten Menschen „in einem offenen, integrativen und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen“ Arbeitsmarkt eine Erwerbstätigkeit zu ermöglichen, mit der der eigene Lebensunterhalt gesichert werden kann.
In der neuen Ausgabe des Informationsdienst Soziale Indikatoren ISI 53 veröffentlicht Catrin Berger vom Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften GESIS eine Studie, die untersucht, inwiefern die UN-Konvention von den Mitgliedstaaten bereits umgesetzt wird und welche Modelle am besten geeignet scheinen, die von der Konvention geforderten Ziele zu erreichen.
Berger zeigt, dass sich die Beschäftigungssituation behinderter Menschen deutlich zwischen den einzelnen europäischen Ländern unterscheidet. Innerhalb der EU ist die Erwerbstätigenquote von Menschen mit Einschränkungen in alltäglichen Aktivitäten in Schweden am höchsten (66%), der EU-Durchschnitt liegt bei 47%. In Deutschland sind 51% der behinderten Menschen erwerbstätig. Berger stellt fest, dass in den meisten Ländern die berufliche Integration von behinderten Menschen besser gelingt, wenn die allgemeine Lage am Arbeitsmarkt gut ist. Allerdings gibt es auch Länder, in denen behinderte Menschen nicht von der guten allgemeinen Lage am Arbeitsmarkt profitieren, z.B. die Niederlande.
Elementar für die Erwerbstätigkeit von Menschen mit Behinderung oder Einschränkungen ist die Behindertenpolitik eines Landes. Diese ist in der EU von Land zu Land sehr unterschiedlich. Um politische Wege aufzuzeigen, anhand derer die EU-Konvention bestmöglich umgesetzt werden kann, zeigt Berger in Anlehnung an Maschke (2008) drei typische politische Ansätze auf, in die man die Behindertenpolitiken der EU-Länder einordnen kann: kompensationsorientierte, rehabilitationsorientierte und partizipationsorientierte Länder.
In kompensationsorientierten Ländern, die auf einem medizinischen Behinderungsmodell basieren – dazu gehören beispielsweise Rumänien, Griechenland aber auch die Niederlande – werden behinderte Menschen im Allgemeinen nicht beruflich gefördert und erhalten stattdessen monetäre Transferleistungen und Sachleistungen. Die wenigen erwerbstätigen behinderten Menschen sind meist in segregierten Einrichtungen beschäftigt.
In rehabilitationsorientierten Ländern wie beispielsweise Deutschland und Frankreich basieren die Maßnahmen zur beruflichen Integration auf einem ökonomischen Modell von Behinderung, wonach der behinderte Mensch als Arbeitnehmer mit eingeschränkter Produktivität gilt. Im Vordergrund stehen Rehabilitationsleistungen, staatliche Beschäftigungsprogramme, Arbeitsmarktschutzrechte sowie Präventionsleistungen.
Die Behindertenpolitik in partizipationsorientierten Ländern basiert auf einem sozialpolitischen Modell von Behinderung, das den behinderten Menschen als diskriminierten Bürger und gleichwertigen Arbeitnehmer sieht und auf eine inklusive Gesellschaft abzielt. Hier wird vor allem auf zivilrechtliche Antidiskriminierungs- und Gleichstellungsgesetze, Bauvorschriften sowie Richtlinien im öffentlichen Verkehr und in der Kommunikation geachtet.
In solchen partizipationsorientierten Ländern wie bspw. Schweden gelingt die berufliche Integration behinderter Menschen besonders gut. In kompensationsorientierten Ländern sind erwartungsgemäß sehr wenige behinderte Menschen erwerbstätig. Bei den untersuchten rehabilitationsorientierten Ländern (darunter auch Deutschland) fällt die hohe Erwerbslosenquote behinderter Menschen auf. In Deutschland beträgt die Quote bei den im Alltag eingeschränkten Menschen 13%, bei den im Arbeitsleben eingeschränkten sogar 23%. Hier suchen also besonders viele behinderte Menschen aktiv eine Stelle, erhalten de facto aber nicht die Chance auf Arbeit. In Deutschland erhalten auch sehr wenige erwerbstätige behinderte Menschen (14%) eine Hilfe zur Arbeit in Form einer persönlichen Assistenz, einer technischen Arbeitsplatzanpassung oder besonderer Arbeitsvereinbarungen. Der Bedarf ist dagegen sehr hoch – so sagen über die Hälfte der nicht erwerbstätigen behinderten Menschen, dass sie eine solche Hilfe benötigen würden, um eine Erwerbstätigkeit aufzunehmen.
Die ganze Studie finden Sie im Informationsdienst Soziale Indikatoren ISI 53, den sie entweder in gedruckter Form bestellen können oder hier zum Download finden:
Ansprechpartner bei GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften:
Dr. Stefan Weick
stefan.weick@gesis.org
Dr. Sophie Zervos
GESIS – Leibniz-Institut für Sozialwissenschaften
Abteilung Kommunikation
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