Unser Immunsystem ist im Kampf gegen den Krebs nicht immer erfolgreich. Manchen Krebszellen gelingt es, sich zu „tarnen“ und so der körpereigenen Immunabwehr zu entkommen. Dazu manipulieren sie bestimmte Schaltstellen – sogenannte Checkpoints – unseres Immunsystems und setzen so die Abwehrreaktion des Körpers außer Kraft. So produzieren beispielsweise verschiedene Tumorarten das Protein „Programmed Death-Ligand 1″, kurz PD-L1. Interagiert dieses Protein mit den Rezeptoren PD-1 und B7.1 auf den T-Zellen, werden diese deaktiviert. Das bedeutet: PD-L1 wirkt wie eine Art Stoppschild für unser Immunsystem und die Krebszellen können sich ungehindert vermehren.
Krebszellen nutzen über PD-L1 hinaus zahlreiche weitere Mechanismen, um sich der Abwehrreaktion des Immunsystems zu entziehen. Entsprechend werden aktuell verschiedene immuntherapeutische Ansätze erforscht und entwickelt. Vor diesem Hintergrund könnte es besonders erfolgversprechend sein, mithilfe von Kombinationstherapien direkt an mehreren Stellen des Krebsimmunzellzyklus regulierend einzugreifen.
Atezolizumab – Checkpoint-Inhibitor stützt Körper im Kampf gegen den Krebs (1-14)
Tecentriq (Atezolizumab) ist ein Checkpoint-Inhibitor, der die Abwehrmechanismen des Immunsystems gegen Krebszellen wiederherstellt und so den Körper im Kampf gegen den Krebs unterstützt. Der humanisierte monoklonale Antikörper richtet sich gezielt gegen das Protein PD-L1, das sowohl von Krebszellen als auch von tumorinfiltrierenden Immunzellen produziert werden kann. Interagiert dieses Protein mit den beiden auf den T-Zellen befindlichen Rezeptoren B7.1 oder PD-1, werden die T-Zellen bzw. die körpereigene Immunreaktion gegen den Tumor deaktiviert. Durch die Bindung an PD-L1 hemmt Tecentriq die Interaktion mit B7.1 und PD-1. Die duale Signal-Blockade, die Tecentriq von anderen Substanzen unterscheidet, die nur einen der beiden Signalwege blockieren, verstärkt sowohl im Tumormikromilieu als auch im Lymphknoten die Immunantwort und schont gleichzeitig nicht-tumorales Gewebe.
Ziel der Kombination aus Tecentriq, Avastin und Chemotherapie ist es, ein immunogenes Umfeld im Tumor zu schaffen, um das Potential der Immuntherapie optimal auszuschöpfen. So inhibiert die Therapie mit Avastin die VEGF-bedingte Immunsuppression. Hierdurch wird u. a. die Infiltration von Immunzellen in das Tumorgewebe gefördert und der Tumor immunologisch „heiß“ gemacht. Parallel dazu unterstützt Tecentriq die T-Zell-Aktivierung und stellt die Anti-Tumor-Immunität des Organismus wieder her. Die Chemotherapie fördert darüber hinaus die Freigabe von Tumorantigenen und intensiviert die Immunantwort.
Quelle der Grafiken: Roche Pharma AG (22)
IMpassion130: Metastasiertes triple-negatives Mammakarzinom – Erfolge mit Atezolizumab
Auf dem wohl größten amerikanischen Krebskongress 2919 waren auch neue Daten zur Krebsimmuntherapie mit dem PD-L1-Inhibitor Atezolizumab von besonderem Interesse. Im Fokus standen hierbei Patienten mit fortgeschrittenem oder metastasiertem triple-negativem Mammakarzinom (mTNBC) sowie nicht-kleinzelligem Bronchialkarzinom (NSCLC) mit Lebermetastasen. Die Daten der zweiten Interimsanalyse der Studie IMpassion130 zeigten, dass Frauen mit PD-L1 IC-positivem mTNBC im Median sieben Monate länger überlebten, wenn sie eine Kombination aus Tecentriq und Chemotherapie erhielten im Vergleich zu Patientinnen, die nur mit Chemotherapie behandelt wurden – das Mortalitätsrisiko sank um 29 %.(15) Bei den als Hochrisikogruppe eingestuften NSCLC-Patienten mit Lebermetastasen ergab eine Subgruppenanalyse der zulassungsrelevanten Phase-III-Studie IMpower150 durch die Hinzunahme von Tecentriq zum bewährten Sandler-Schema eine Reduktion der Gesamtmortalität um 48 %.(16)
Chemotherapiefreies Regime
Für Patienten mit CLL zeigte das chemotherapiefreie Regime des glykomodifizierten anti-CD20-Antikörpers Obinutuzumab in Kombination mit dem gezielt wirksamen BCL-2-Hemmer Venetoclax eine bislang unerreichte Rate MRD-Negativität. Die Autoren der CLL14- Studie rechnen daher mit einer noch längerfristig wirksamen Therapie.
Verlängertes Gesamtüberleben (OS) bestätigt
Die auf dem diesjährigen ASCO vorgestellten Daten der zweiten Interimsanalyse bestätigen den bereits zuvor beobachteten klinisch relevanten Trend für ein verlängertes Gesamtüberleben (OS) bei Patienten mit positiver PD-L1 Expression auf ≥ 1 % der tumorinfiltrierenden Immunzellen (IC).(15) Insgesamt lebten diese Studienteilnehmer unter Hinzunahme von Tecentriq zur Chemotherapie sieben Monate länger (OS: 25,0 vs. 18,0 Monate im Vergleichsarm). Das entspricht einer klinisch relevanten Reduktion des Sterberisikos um 29 % (HR: 0,71; 95 %-KI: 0,54 – 0,93). Über die Hälfte der mit Tecentriq behandelten PD-L1 IC-positiven Patienten waren nach zwei Jahren noch am Leben (51 % vs. 37 % im Vergleichsarm).
Bereits die erste Interimsanalyse der Studie hatte für Aufsehen gesorgt, da sie für Patienten in der Intention-to-Treat-Population einen signifikanten Vorteil hinsichtlich des progressionsfreien Überlebens ergab (PFS: 7,16 vs. 5,49 Monate; HR: 0,80; 95 %-KI: 0,69 – 0,92; p = 0,0025).(17) Bei Patienten mit positivem PD-L1 IC-Status reduzierte sich das Progressionsrisiko signifikant um 38 % (PFS: 7,46 vs. 4,96 Monate im Placebo-Arm; HR: 0,62: 95 %-KI: 0,49 – 0,78; p < 0,0001). Die First-Line-Kombination erwies sich als sicher und gut verträglich. Die beobachteten unerwünschten Ereignisse (Grad 3-4) waren konsistent mit den bereits bekannten Sicherheitsprofilen der Monopräparate.
Diese Ergebnisse sind umso bemerkenswerter, als dass triple-negativer Brustkrebs in metastasierten oder lokal fortgeschrittenen Stadien als aggressive Tumorform mit schlechter Prognose gilt und schwer zu behandeln ist. Bisher ließ sich mit keiner zielgerichteten Therapie ein Vorteil des Gesamtüberlebens zeigen. Die Studie IMpassion130 liefert die ersten positiven Phase-III-Daten zur Krebsimmuntherapie beim mTNBC und kündigt damit einen bedeutenden Therapiefortschritt für die betroffenen Patienten an. Im März 2019 erfolgte die Zulassung von Tecentriq in Kombination mit nab-Paclitaxel in den USA als erste Immuntherapie für das triple-negative Mammakarzinom.
NSCLC mit Lebermetastasen: Mortalitätsrisiko fast halbiert
Tecentriq ist in der EU bereits seit März 2019 für die First-Line-Therapie des lokal fortgeschrittenen und metastasierten NSCLC mit nicht-plattenepithelialer Histologie zugelassen.(18) Grundlage dafür waren die Ergebnisse der randomisierten Open-label-Phase-III-Studie IMpower150. Eine Besonderheit war, dass die Studie prospektiv auf die Patientengruppe mit Lebermetastasen stratifizierte, die als ein Marker für eine schlechte Prognose gelten. Erstmals konnte für dieses Patientenkollektiv ein OS-Vorteil unter der Kombination mit einem Krebsimmuntherapeutikum gezeigt werden: (19,20) Das Mortalitätsrisiko reduzierte sich unter der Therapie mit Tecentriq, Avastin® (Bevacizumab) und Chemotherapie um 48 % (OS: 13,3 vs. 9,4 Monate; HR = 0,52; 95 % KI: 0,33 – 0,82).
Die auf dem ASCO vorgestellten Daten charakterisieren das 162 Patienten umfassende Kollektiv mit Lebermetastasen genauer (Follow-up von mind. 20 Monaten).(16) Diese Patienten hatten im Median eine Filialisierung an drei verschiedenen Lokalisationen und zur Baseline eine mediane Summe des längsten Durchmessers (SLD) der Target-Läsionen von 109 mm (Range: 10-249 mm). Die Ergebnisse zeigen: Die Vierfachkombination aus Tecentriq in Kombination mit Avastin und Carboplatin/Paclitaxel zeigte bei diesen Hochrisikopatienten eine sehr hohe Ansprechrate von 60,8 % und verlängerte neben dem OS auch das mediane progressionsfreie Überleben signifikant (mPFS: 8,2 vs. 5,4 Monate; HR 0,41; 95 %-KI: 0,26 – 0,62). Der supraadditive Effekt von Tecentriq und Avastin mit Chemotherapie erzielte bei hoher Ansprechrate auch ein langes medianes Ansprechen von 10,7 Monaten (mDOR: 10,7 vs. 4,6 Monate; HR 0,39; 95 %-KI: 0,21 – 0,73), sodass die meisten Patienten lange von der Therapie profitieren konnten.(16) Die Patienten erhielten darüber hinaus eine Chemotherapie-freie Erhaltungstherapie aus Tecentriq und Avastin. Die First-Line-Kombination mit Tecentriq war sicher und verträglich, es traten keine neuen Sicherheitssignale auf.
CLL: Chemotherapiefreies Schema begrenzter Dauer verspricht langfristige Wirksamkeit
Patienten mit chronisch lymphatischer Leukämie sind typischerweise höheren Alters und leiden entsprechend häufig an Begleiterkrankungen. Daher streben moderne Therapien möglichst schonende Schemata an. Die CLL14-Studie untersuchte die Kombination des glykomodifizierten anti-CD20-Antikörpers Gazyvaro (Obinutuzumab, G) mit dem gezielt wirksamen BCL-2-Inhibitor Venclyxto (Venetoclax, Ven) in der Erstlinientherapie bei dieser Patientengruppe. Verglichen wurde gegen die Kombination von Gazyvaro mit Chlorambucil (G-Clb).
G-Ven erreichte sowohl beim Gesamtansprechen (OR), als auch beim kompletten Ansprechen (CR) deutlich bessere Ergebnisse als G-Clb (OR: 85 vs. 71 %, p = 0,0007; CR: 50 vs 23 %, p < 0,001). Weiterhin zeigt G-Ven nach einer medianen Beobachtungsdauer von 28 Monaten ein signifikant verlängertes progressionsfreies Überleben/PFS (HR: 0,35, CI: 0,23; 0,53; p < 0,0001), wenngleich das mediane PFS noch in keinem Arm erreicht war. Wie die Autoren der Deutschen CLL Studiengruppe betonten, deutete zusätzlich die sehr viel höhere Rate an Patienten ohne molekularem Nachweis einer Resterkrankung (MRD-negativ)** auf eine längerfristig wirksame Therapie mit G-Ven hin (76 vs. 35 % im peripheren Blut, 57 vs. 17 % im Knochenmark). Diese Therapie erreichte damit die höchste Rate an MRD-Negativität aller bisheriger, prospektiver, randomisierter Studien. Ausprägung und Häufigkeit der Nebenwirkungen waren in beiden Studienarmen vergleichbar.(21)
*Venclyxto ist eine eingetragene Marke von Abbvie
**Messung 3 Monate nach Ende der Therapie mittels ASO-PCR, Sensitivität < 10-4
Quellen:
- Pardoll DM, Nat Rev Cancer 2012; 12: 252–64
- Quezada AS et al., Cancer 2013; 108: 1560–5
- Keir ME et al., Annu Rev Immunol 2008; 26: 677–704
- Herbst RS et al., Nature 2014; 515: 563–7
- Yang J et al., J Immunol 2011; 187: 1113–9
- Herbst RS, ASCO 2013; Abstract 3000
- Murphy K et al., Janeway ́s Immunobiology. 8th ed. New York; Garland Science; 2012
- Butte MJ et al., Immunity 2007; 27: 111–22
- Chen DS et al., Clin Cancer Res 2012; 18: 6580–7
- Schmid P et al., ASCO 2016; Abstract 11506
- Latchman Y et al., Nature Immunol 2001; 2: 261–8
- Akbari O et al., Mucosal Immunol 2010; 3: 81–91
- Fachinformation Tecentriq®, Stand: Juli 2018
- Reck M et al., Ann Oncol 2017; 28 (Suppl 11): Abstact LB1_PR
- Schmid P et al., ASCO 2019; J Clin Oncol 2019; 37: Abstract 1003
- Socinski MA et al., J Clin Oncol 2019; 37 (Suppl; Abstr 9012)
- Schmid P et al., N Engl J Med 2018; 379: 2108-2121
- Fachinformation Tecentriq®, Stand Mai 2019
- Socinski MA et al., J Clin Oncol 2018; 36 (Suppl; Abstract 9002)
- Socinski MA et al., N Engl J Med 2018; 378: 2288–230
- Fischer K et al., J Clin Oncol 2019; 37 (Suppl; Abstr 7502)
- Aktuelles vom Amerikanischen Krebskongress 2019, Pressekonferenz, Veranstalter Roche, Düsseldorf, 12. Juni 2019