Immundefekte rechtzeitig erkennen: Neues MHH-Zentrum nimmt seine Arbeit auf

SCID (severe combined immunodeficiency) ist eine Gruppe schwerer, seltener Immundefekte. Zwar erkrankt nur jeder 50.000 Säugling daran – in Niedersachsen betrifft die Erkrankung etwa zwei Kinder pro Jahr –, aber der jeweilige Immundefekt führt meist zu einer schweren Störung der Bildung weißer Blutkörperchen. Die betroffenen Kinder können keine funktionierende Immunabwehr entwickeln, Krankheitserreger wie Bakterien, Pilze oder Viren führen zu schweren Infektionen. Unbehandelt sterben die an SCID erkrankten Kinder in den ersten Lebensmonaten.

Ayleen Sophie erkrankte im Alter von zwei Monaten an einer schmerzhaften Entzündung im Mund, die sie am Trinken hinderte und dazu führte, dass sie nicht mehr zunahm. „Unsere Tochter wurde in drei verschiedenen Krankenhäusern behandelt, ohne dass eine Ursache gefunden werden konnte. Ihr erstes Weihnachtsfest verbrachte sie im Krankenhaus“, erinnern sich die Eltern. Erst im Alter von fünf Monaten entdeckte eine Kinderärztin, dass das Kind zu wenige Abwehrzellen im Blut hatte. Die Ärztin bat Professor Dr. Ulrich Baumann, Oberarzt in der Klinik für Pädiatrische Pneumologie und Neonatologie der Medizinischen Hochschule Hannover (MHH), um eine Bewertung der Laborergebnisse.

Knochenmarktransplantation rettete Ayleen Sophie

Dann ging alles schnell: Professor Baumann konnte die Diagnose eines SCID bestätigen, zwei Monate später erfolgte in der Klinik für Pädiatrische Hämatologie und Onkologie unter der Leitung von Professor Dr. Martin Sauer die Knochenmarktransplantation. Heute ist Ayleen Sophie neun Jahre alt und gesund.

„Bei sehr schweren Formen eines angeborenen Immundefektes kann es deshalb lebenswichtig sein, dass die Diagnose bereits kurz nach der Geburt des Kindes gestellt wird, um eine adäquate Therapie so schnell wie möglich zu beginnen“, betont Professor Baumann. Und Professor Sauer ergänzt: „Bei SCID müssen die Kinder möglichst schnell mit einer Knochenmarktransplantation behandelt werden. Das Neugeborenen-Screening gibt den betroffenen Kindern eine bessere Chance auf Heilung, bevor sie lebensbedrohliche Infektionen erleiden.“

Neues Neugeborenen-Screening entdeckt SCID

Zum Einsatz kommt dabei in Zusammenarbeit mit dem Screening-Labor Hannover ein neu entwickeltes Neugeborenen-Screening, das bereits bei Neugeborenen feststellen kann, ob sie von einem SCID betroffen sind. Die Bestimmung erfolgt über Trockenblutproben, dazu werden den Kindern im Rahmen des bereits bestehenden Neugeborenen-Screenings am dritten Lebenstag einige Tropfen Blut aus der Ferse entnommen und auf eine Filterpapierkarte getröpfelt.

„Die Besonderheit der hinzukommenden SCID-Untersuchung ist die Einführung eines molekulargenetischen Tests für alle Neugeborenen, bei dem, einfach gesagt, DNA extrahiert wird. Der Verdacht auf SCID ergibt sich aus dem Nicht-Vorhandensein bestimmter DNA-Abschnitte, die bei gesunden Kindern vorhanden wären. Bisher basierten die Tests auf immunologischen, enzymatischen und analytischen Methoden von Stoffwechselparametern und Hormonen“, erläutert Dr. Dr. Nils Janzen, der das Screening-Labor Hannover leitet.

In der MHH-Klinik für Immunologie und Rheumatologie unter der Leitung von Professor Dr. Reinhild E. Schmidt schließlich wird die Analyse der Zellen vorgenommen, die erforderlich ist, um einen Verdacht auf SCID zu sichern oder auszuschließen. „Unsere Klinik spielt insbesondere mit der Labordiagnostik für die Neugeborenen eine wichtige Rolle. Zur weiteren Einordnung der Screening-Ergebnisse sowie der möglicherweise unklaren Befunde leistet die immunologische Spezialdiagnostik einen wichtigen Beitrag“, betont Professor Schmidt.

Neues Zentrum für Immundefekte bei Kindern und Erwachsenen

Die MHH hat zudem ein neues Zentrum für zelluläre Immundefekte gegründet, das sich sowohl um Kinder wie auch Erwachsene kümmert. Darin haben sich Expertinnen und Experten der Kliniken für Pädiatrische Pneumologie, Allergologie und Neonatologie und Pädiatrische Hämatologie und Onkologie, der Klinik für klinische Immunologie und Rheumatologie und des Instituts für Humangenetik zusammengeschlossen, um betroffene Kinder künftig schneller untersuchen und behandeln können. Darüber hinaus soll jugendlichen Patientinnen und Patienten der Übergang der Betreuung von der Kinderklinik in die Kliniken für Erwachsenenmedizin erleichtert werden. Die MHH gehört zu einem von einer Handvoll Zentren in Deutschland, die sich auf Immundefekte spezialisiert haben.

Weitere Informationen erhalten Sie bei Professor Dr. Ulrich Baumann, baumann.ulrich@mh-hannover.de, Telefon (0511) 532-3280.

Ein Foto ist angefügt. Es zeigt Ayleen Sophie mit Ihren Eltern Anna und Johann H. (Bildmitte) sowie den Professoren Schmidt und Baumann (von links) und Professor Sauer und Dr. Dr. Janzen (von rechts). Sie können das Foto im Zusammenhang mit dieser Presseinformation kostenfrei verwenden, wenn Sie als Quelle „MHH/Kaiser“ angeben.

wissenschaftliche Ansprechpartner:
Weitere Informationen erhalten Sie bei Professor Dr. Ulrich Baumann, baumann.ulrich@mh-hannover.de, Telefon (0511) 532-3280.

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