Rund jeder hundertste Mensch in Deutschland leidet unter einer Epilepsie. Zu einem Krampfanfall kommt es, wenn viele Nervenzellen im Gehirn gleichzeitig feuern. Die Erkrankung ist mittlerweile gut behandelbar. Bei rund einem Drittel der Patienten wirken jedoch die gängigen Medikamente nicht. Wissenschaftler suchen deshalb fieberhaft nach Wirkstoffen, die auch bei chronischer Epilepsie ihre Wirkung behalten. Diesem Ziel ist nun ein Forscherteam der Klinik für Epilepsie des Universitätsklinikums Bonn mit dem Pharmaunternehmen „BIAL“ und der Universität Porto (beide Portugal) einen großen Schritt näher gekommen.
Carbamazepin gehört zu den gängigen Medikamenten, gegen das ein Teil der Epilepsiepatienten resistent ist. Die Wissenschaftler des Universitätsklinikums Bonn untersuchten bei ihrer Fahndung nach Alternativen auch Abkömmlinge des Carbamazepins, die chemisch leicht anders aufgebaut sind. So auch das zugelassene Antiepileptikum Eslicarbazepinacetat. „Im Körper wird es zu Acetat und Eslicarbazepin, den eigentlichen Wirkstoff, zersetzt“, berichtet Prof. Dr. Heinz Beck von der Bonner Uniklinik für Epileptologie. Die Forscher zeigten an menschlichen Gewebeproben und Ratten mit Epilepsiesymptomen, dass die Wirkung von Eslicarbazepin erhalten bleibt.
Wirkstoffe binden an Natriumkanäle der Nervenzellen
An den Gehirnzellen befinden sich Natriumkanäle, die zur Erregung der Nervenzellen beitragen und die Kommunikation zwischen ihnen ermöglichen. Das Wirkungsprinzip von vielen Epilepsiemedikamenten ist, dass die Wirkstoffe an die Natriumkanäle binden und dadurch insbesondere das krankhafte schnelle Feuern der Nervenzellen unterbinden. Die normale Aktivierung der Gehirnzellen wird durch die Substanzen jedoch nicht so stark beeinflusst. „Wir haben gezeigt, dass dieser Effekt bei klassischen Antiepileptika wie Carbamazepin im Tiermodell und Hirngewebe von Epilepsiepatienten verschwunden ist“, berichtet Prof. Beck. Eslicarbazepin jedoch entfaltete normale Wirkungen am Natriumkanal.
Bei Ratten und Mäusen kann sich nach einem heftigen Krampfanfall allmählich eine chronische Epilepsie entwickeln, indem sich bestimmte Strukturen im Gehirn umbilden. Die Forscher gaben den Nagern nach einem ersten großen epileptischen Anfall für nur einige Wochen Eslicarbazepinacetat. „Im Gegensatz zu unbehandelten Tieren zeigte sich, dass sich durch die frühe Behandlung in der Folge die Anfallsschwere und -häufigkeit dauerhaft reduzierte und auch weniger Nervenzellen verloren gingen“, fasst Prof. Beck die Ergebnisse zusammen. Diese Resultate zeigten insgesamt, dass Eslicarbazepinacetat ein interessanter Wirkstoff sei, der zumindest im Mausmodell und auch in Gewebeproben des Menschen unter Beweis gestellt habe, dass er die bei Patienten verbreiteten Medikamentenresistenzen überwinden und möglicherweise den Verlauf von Epilepsien günstig beeinflussen könne.
Eslicarbazepinacetat ist bereits auf dem Markt verfügbar
Der Vorteil von Eslicarbazepinacetat ist außerdem, dass es klinische Studien durchlaufen hat und bereits auf dem Markt als ergänzendes Medikament gegen Epilepsie verfügbar ist. „Die Herausforderung wird nun insbesondere sein zu zeigen, ob der Wirkstoff auch am Menschen die Schwere des Verlaufs und die Entstehung von Epilepsien reduzieren kann“, sagt der Wissenschaftler der Uniklinik für Epileptologie.
Publikation: Targeting pharmacoresistant epilepsy and epileptogenesis with a dual-purpose antiepileptic drug, Fachjournal “Brain”, DOI: 10.1093/brain/awu339
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Prof. Dr. Heinz Beck
Universitätsklinik für Epileptologie, Life & Brain Zentrum,
Deutsches Zentrum für Neurodegenerative Erkrankungen,
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