Antonie Haut, wissenschaftliche Mitarbeiterin der Universität Witten / Herdecke, könnte eigentlich nicht mehr arbeiten: Seit ihrem etwa zwölften Lebensjahr lebt sie mit einer Schädigung ihres Gehörs, heute ist sie zu 80 Prozent an Taubheit grenzend schwerhörig. "Andere Menschen bekämen mit meiner Hörkurve u. U. schon Rente", schildert sie die Situation. Für Antonie Haut keine Denkmöglichkeit, die gelernte Krankenschwester und studierte Pflegewissenschaftlerin arbeitet im Institut für Pflegewissenschaft. Sie untersucht die pflegewissenschaftlichen Fragen rund um die Fixierung von pflegebedürftigen Menschen. "Bisher haben meine Vorgesetzte und meine Kollegen die Mehrbelastung, die durch meine Behinderung entsteht, sehr tapfer und konstruktiv mitgetragen", beschreibt sie ihre Arbeitsumgebung. Denn bei Vorträgen oder am Telefon versteht sie die Worte nur lückenhaft, im direkten Gespräch liest sie von den Lippen ab.
Mit Heike Möller veränderte sich diese Einschränkung für sie. Heike Möller befindet sich in der Weiterbildung zur Arbeitsassistentin und macht bis zum 18. Februar ein Praktikum bei Antonie Haut. "Ich schreibe z.B. bei Besprechungen und Veranstaltungen die Inhalte über eine externe Tastatur in ein Laptop, auf dem Frau Haut dann mitlesen kann. Aufgabe von Kommunikationsassistenz ist es, Kommunikation zwischen Hörgeschädigtem und Dritten zu ermöglichen, die ohne Assistenzleistung akustisch nicht nachvollziehbar wäre. Dies ist insbesondere bei Telefonaten, Besprechungen oder Fortbildungen erforderlich", erläutert Heike Möller ihre Arbeit.
Seit 2001 haben Schwerbehinderte einen gesetzlichen Anspruch auf eine Arbeitsassistenz, die es ihnen ermöglicht, weiter berufstätig zu sein. Aber für die in Nordrhein-Westfalen rund 17.000 Hörgeschädigten gibt es bisher kaum solche Hilfen. 2009 begann der erste Jahrgang in Essen unter Leitung des Deutschen Schwerhörigenbundes eine Qualifizierung zur Arbeitsassistenz für Hörgeschädigten im Beruf, ein europaweit einmaliges Pilotprojekt. Die innovative Weiterbildung wurde von den Bochumer Arbeitswissenschaftlern der Ruhr-Universität entwickelt. Damit besteht nun auch für Hörgeschädigte wie Antonie Haut die Möglichkeit, ihrem Beruf weiter und mit mehr Handlungsmöglichkeiten nachgehen zu können. Für Arbeitgeber wichtig: Reha-Träger, Integrationsämter und die Agentur für Arbeit übernehmen nach Prüfung des individuellen Bedarfes die Kosten für die notwendige Assistenz am Arbeitsplatz. Dadurch können Mitarbeiter gehalten werden, die andernfalls mit ihrer Erfahrung vielleicht verloren gingen.
Hinweis an die Redaktionen:
Heike Möller arbeitet am Dienstag, 16.2. und Donnerstag, 18.2., jeweils von 9.00 bis 16.00 Uhr bei Frau Haut. In diesen Zeiten stehen beide für Gespräche und Reportagen zur Verfügung. Da Frau Haut nicht telefonieren kann, können sie mit ihr direkt nur per mail (Antonie.Haut@uni-wh.de) kommunizieren. Termine können Sie am besten absprechen mit Kay Gropp, 02302/926-805 (von 9-12 Uhr) und Felicitas Mai, 02302/926-849 (von 9-16.30 Uhr).
Weitere Informationen zur Ausbildung finden Sie auch unter www.iniKAB.de
(idw, 02/2010)