Helfen Gentests im Kampf gegen Volkskrankheiten?

Herz-Kreislauf-Leiden, Krebs, Darmerkrankungen, psychiatrische Erkrankungen und Stoffwechselkrankheiten gehören zu den weitverbreiteten Krankheiten in unserer Gesellschaft. Viele verschiedene genetische und umweltbedingte Faktoren bestimmen ihren Ausbruch und Verlauf. Die aus der Sequenzierung des menschlichen Genoms resultierenden Fortschritte in der molekulargenetischen Forschung decken zunehmend Zusammenhänge zwischen diesen Krankheiten und bestimmten genetischen Variationen auf.

Doch inwieweit können genetische Analysen in der klinischen Praxis für die Ermittlung der Wahrscheinlichkeit einer Erkrankung eingesetzt werden?

Bei der Beantwortung dieser Frage waren sich die sieben Experten aus verschiedenen medizinischen Fachgebieten sowie aus dem Bereich der Bioinformatik im Grundsatz einig. Trotz rasant anwachsender Informationen über die Beteiligung vieler Genvarianten an Krankheitsrisiken sei der medizinische Nutzen dieser Erkenntnisse bislang fraglich. Der Hauptgrund für diese Zweifel sei der Umstand, dass die meisten beteiligten Genvarianten in der Regel nur einen jeweils sehr geringen Einfluss auf das Erkrankungsrisiko haben, das Gesamtrisiko, an einem Leiden zu erkranken, von vielen Varianten gleichzeitig beeinflusst wird und die Varianten sich zudem gegenseitig beeinflussen. Hinzu kommen vielschichtige Wechselwirkungen der Genvarianten mit umweltbedingten Faktoren. Den breiten Einsatz von Gentests für die Vorhersage und Früherkennung häufiger Volkskrankheiten halten alle Beitragenden deshalb auch in Zukunft für wenig sinnvoll. Dies gelte umso mehr, als die Feststellung eines erhöhten Risikos keine neuen Behandlungsoptionen, sondern lediglich allgemeine Empfehlungen für einen gesunden Lebenswandel nach sich ziehe, die der Gesamtbevölkerung jedoch auch unabhängig von einem erhöhten Risiko ans Herz gelegt werden.

Erfolge bei der Krankeitsvorhersage durch Gentests gebe es bisher lediglich in den vergleichsweise seltenen Fällen, in denen nur einzelne oder wenige Genvarianten das Krankheitsrisiko beeinflussen. Hierzu gehören etwa drei an der früh einsetzenden Alzheimer-Demenz beteiligte Genvarianten, Mutationen des Insulinrezeptor-Gens bei Diabetes oder Mutationen in bestimmten Enzymgenen beim Herzinfarkt.

Fortschritte im Bereich der Krankheitsprädiktion seien zudem mithilfe epigenetischer Untersuchungen und dem Nachweis neuer Biomarker zu erwarten, die nicht nur die genetische Grundausstattung in den Blick nehmen, sondern vor allem die jeweilige Genaktivität.

Aussichtsreich sei der Einsatz des genetischen Wissens zudem in der Pharmakogenetik. Hier analysiert man den Einfluss von Genvarianten auf die Wirkung von Arzneimitteln mit dem Ziel, die Auswahl und Dosierung von Medikamenten für individuelle Patienten anzupassen.

Als unerlässlich erachteten alle Experten eine hoch qualifizierte, der Komplexität angemessene ärztliche Beratung rund um den Einsatz von Gentests. Bei Gentests, die im Internet angeboten werden, könne dies nicht gewährleistet werden. Aber auch beim Einsatz von Gentests im Rahmen einer ärztlichen Behandlung stellten sich hier neue Herausforderungen, die eine interdisziplinäre Zusammenarbeit verschiedener Fachleute künftig noch wichtiger mache.

In der Diskussion wurde darüber hinaus thematisiert, inwiefern Gene überhaupt als Ursachen für Krankheiten angesehen werden können, welche Auswirkungen das zunehmende genetische Wissen auf die Gestaltung unserer Gesundheitsversorgung haben könnte und sollte, und inwiefern ein neues grundsätzliches Nachdenken über das derzeit vorherrschende organorientierte Krankheitsverständnis erforderlich ist.

Das Programm der Anhörung sowie die Vorträge und Diskussionbeiträge können unter http://www.ethikrat.org/veranstaltungen/anhoerungen/praediktive-genetische-diagnostik-multifaktorieller-erkrankungen abgerufen werden.

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