Hämophilie – Blutungen in Gelenke, Muskeln und innere Organe – Gefahren einer gestörten Blutgerinnung durch fehlende Gerinnungsfaktoren 

Fettwegspritze, Spritze

Hämophilie. Das Zusammenspiel mehrer Faktoren der Gerinungskaskade unseres Körpers führt dazu, dass bei kleineren Verletzungen Gerinnsel entstehen. Sie verhindern, dass  wir verbluten. Bei Hämophilie ist die Gerinnung defekt, die Gerinnungskaskade kann nicht wie gewohnt ablaufen. Ursache ist ein Mangel an funktionsfähigen Gerinnungsfaktoren: Bei Betroffenen mit Hämophilie A fehlt der Gerinnungsfaktor VIII, bei Hämophilie B ist es der Gerinnungsfaktor IX.1,2 

Faktormangel bei Hämophilie durch Veränderungen im Erbgut

Der Faktormangel bei Hämophilie beruht auf Veränderungen im Erbgut.1,2 Die Anlagen für beide Gerinnungsfaktoren liegen auf dem X-Chromosom.1 Durch das rezessive Vererbungsmuster sind vor allem Jungen und Männer betroffen.2 Bei Mädchen und Frauen kommt es nur selten zur vollen Ausprägung der Erkrankung.2 Als Überträgerinnen können sie den Blutgerinnungsdefekt aber weitergeben.2 In etwa einem Drittel der Fälle gibt es keine Hinweise aus der Familiengeschichte und die Erkrankung tritt durch eine spontane Erbgutveränderung erstmals auf.1 

Als Folge des Gerinnungsdefekts kann es zu Blutungen in Gelenke, Muskeln und innere Organe kommen, die lebensgefährlich sein können und umgehend behandelt werden müssen.1 Anlass können Unfälle beziehungsweise Verletzungen oder Operationen sein.1 Je ausgeprägter der Faktormangel ist, desto häufiger treten auch Spontanblutungen auf, insbesondere in Muskeln und Gelenke.1 In Deutschland leben zurzeit rund 6000 Menschen mit Hämophilie A, davon haben etwa 60 % eine schwere oder mittelschwere Verlaufsform. Hämophilie B ist mit etwa 1.500 Patienten deutlich seltener, rund 70 % sind mittelschwer bis schwer erkrankt.3 

Welche Folgen haben Gelenkblutungen?

Dr. med. Axel Seuser, Bonn
Dr. med. Axel Seuser, Facharzt für Orthopädie, Orthopädische Praxis Bonn (Foto: MEDIZIN ASPEKTE, J. Wolff)

Nach Dr. med. Axel Seuser, Facharzt für Orthopädie, Orthopädische Praxis Bonn, sind erste Anzeichen von Funktionsstörungen der Gelenke häufig Muskelschwächen, die zu einer Überlastung der gelenkumgebenden Bänder  führen. Da es sich um stille Symptome handelt, nehmen wir sie kaum wahr. Ihre Folgen sind minimal und subklinisch. Werden diese übersehen oder nicht richtig behandelt, kommt es auch zu strukturellen Störungen, die dann die Gelenkschleimhaut im Sinne einer Entzündung und den Gelenkknorpel im Sinne eines Knorpelabbaus belasten. Während des gesamten Prozesses nimmt die muskuläre Führung des betroffenen Gelenkes immer weiter ab, weil meistens die Streckmuskulatur abschwächt und die Beugemuskulatur verkürzt. Dies belastet dann auch die Nachbargelenke. Damit sind wegen einer Gelenkblutung immer direkt mindestens drei Gelenke und all ihre gelenkumgebenden Strukturen sowie die Funktion des einen Gelenkes und die Funktionen der Gelenkkette betroffen.

Substitutionstherapie mit Faktor VIII bei Hämophilie und bei Hämophilie B mit Faktor IX

Eine prophylaktische Behandlung von Patienten mit schwerer Hämophilie gilt heute als Therapiestandard: Die regelmäßige Gabe des fehlenden Gerinnungsfaktors soll Blutungen möglichst weitgehend vorbeugen, bei Hämophilie A durch Faktor VIII und bei Hämophilie B durch Faktor IX (Substitutionstherapie).1,2 Da die Faktoren im Blut immer wieder abgebaut werden, müssen die Injektionen in der Regel mehrfach pro Woche erfolgen.4 

Gelenkblutungen – die Herausforderung bei der Hämophilie-Therapie 

Einblutungen in die Gelenke treten bei schwerer Hämophilie besonders häufig auf: Etwa 70 bis 80 % aller Blutungen sind Gelenkblutungen,1 wobei zu 80 % die Sprung-, Knie- und Ellenbogengelenke betroffen sind.1,5 Von den über zwanzigjährigen Patienten mit schwerer Hämophilie leiden mehr als 90 % darunter.6 

Dabei kann schon eine einzige Blutung zu bleibenden Schäden führen.7,8 Abbauprodukte des Blutes, insbesondere Eisen aus den roten Blutkörperchen, bewirken zunächst eine akute Gelenkentzündung (Synovitis).8 Die Entzündungsreaktion im Gelenk regt eine Gefäßneubildung an, die ihrerseits das Risiko für weitere Blutungen erhöht. Hinzu kommen Schmerzen, die zu Bewegungseinschränkungen und damit zu einer Abnahme der Gelenk-stabilisierenden Muskeln führen, wodurch die Blutungsgefahr weiter steigt. So besteht schon bei der ersten Blutung die Gefahr der Ausbildung eines sogenannten Zielgelenks, in dem innerhalb von sechs Monaten mehr als drei Spontanblutungen auftreten.2 Durch diesen Teufelskreis wiederholter Gelenkblutungen (Hämarthrosen) kann es schließlich zu einer chronischen Gelenkentzündung mit Schädigung des Knorpels und Knochens kommen.8 Die Folge ist eine Gelenkzerstörung (hämophile Arthropathie), die mit einer massiv beeinträchtigten Lebensqualität und Invalidität einhergehen kann.9 

Je früher mit der Blutungsprophylaxe begonnen wird, desto besser kann Gelenkblutungen vorgebeugt werden.7,10 Trotz regelmäßiger Gabe können Gelenkblutungen bei der konventionellen Prophylaxe weiterhin auftreten.10 Werden diese nicht diagnostiziert und adäquat behandelt, können diese auch unter der derzeitigen Prophylaxe weiter fortschreiten und sich innerhalb von nur 10 Jahren zu bleibenden Gelenkschäden entwickeln.7 

Moderne Therapien können die Gelenkgesundheit erhalten 

Bis zum Anfang der 90er Jahre wurden die Gerinnungsfaktoren ausschließlich aus menschlichem Blutplasma gewonnen (Plasma-Derivat). Seit Anfang der 90er Jahre werden der Faktor VIII (Hämophilie A) und seit Ende der 90er Jahre der Faktor IX (Hämophilie B) auch gentechnisch hergestellt (rekombinant), wodurch das Risiko einer Virusübertragung gesunken ist.11 

Seit 2015 stehen zudem moderne Therapien zur Verfügung. Die Gerinnungsfaktoren sind so modifiziert, dass ihr Abbau verzögert erfolgt. Dadurch können diese länger wirken, man spricht daher auch von sogenannten Halbwertszeit-verlängerten Präparaten (extended half-life), EHL). Durch die längere Wirkdauer bieten die modernen Präparate neue Behandlungsmöglichkeiten. Der Blutungsschutz kann im Vergleich zu konventionellen Präparaten bei gleichem Dosierungsintervall weiter erhöht werden. Dadurch können Gelenkblutungen verhindert und selbst bereits bestehende Zielgelenke wieder aufgehoben werden. Oft kann zusätzlich auch das Dosierungsintervall verlängert werden, was mehr Flexibilität im Alltag und eine bessere Therapietreue ermöglichen kann. Mit den neuen Therapien scheint es erstmals realistisch, das Ziel der heutigen Hämophilie-Behandlung zu erreichen: „Zero Joint Bleedings“, das vollständige Verhindern von Gelenkblutungen.9 

Quellen 

  1. Srivastava A, Brewer AK, Mauser-Bunschoten EP, et al. Guidelines for the management of hemophilia. Haemophilia 2013;19(1):e7.
  2. Oldenburg J, Hertfelder HJ. Hämophilie A und B. In: Bruhn HD, Schambeck CM, Hach-Wunderle V, editors. Hämostaseologie für die Praxis. Stuttgart: Schattauer Verlag; 2007. p. 261–72.
  3. World Federation of Hemophilia (WFH). Annual Global Survey 2016. Verfügbar unter: https://www1.wfh.org/publication/files/pdf-1690.pdf. Aufgerufen am 21.02.2019.
  4. Oldenburg J, Barthels M. Angeborene Koagulopathien am Beispiel der Hämophilie A und B, Hemmkörperhämophilie. Hämostaseologie 2008;28(05):335–47.
  5. Pergantou H, Matsinos G, Papadopoulos A, et al. Comparative study of validity of clinical, X-ray and magnetic resonance imaging scores in evaluation and management of haemophilic arthropathy in children. Haemophilia 2006;12(3):241–7.
  6. Den Uijl IEM, Mauser Bunschoten EP, Roosendaal G, et al. Clinical severity of haemophilia A: does the classification of the 1950s still stand? Haemophilia 2011;17(6):849–53.
  7. Oldenburg J. Optimal treatment strategies for hemophilia: achievements and limitations of current prophylactic regimens. Blood 2015;125(13):2038–44.
  8. Gringeri A, Ewenstein B, Reininger A. The burden of bleeding in haemophilia: is one bleed too many? Haemophilia 2014;20(4):459–63.
  9. Oldenburg J, Kulkarni R, Srivastava A, et al. Improved joint health in subjects with severe haemophilia A treated prophylactically with recombinant factor VIII Fc fusion protein. Haemophilia 2018;24(1):77–84.
  10. Berntorp E, Dolan G, Hay C, et al. European retrospective study of real-life haemophilia treatment. Haemophilia 2017;23(1):105–14.
  11. World Federation of Hemophilia (WFH). Hemophilia – a timeline. Verfügbar unter: http://www1.wfh.org/2/1/1_1_3_Link1_Timeline.htm. Aufgerufen am: 18.02.2019.
  12. Fachinformation Elocta®; Stand: Dezember 2018.
  13. Fachinformation Alprolix®; Stand: Juli 2018., Swedish Orphan Biovitrum GmbH Telefon: 089 550 66 76-0 • mail.de@sobi.com 3
  1. Nolan B, Mahlangu J, Young G, et al. ASPIRE final results confirm established safety and sustained efficacy for up to 4 years of treatment with rFVIIIFc in previously treated subjects with severe hemophilia A. Blood 2018;132(suppl 1):abstr. 1192.
  2. Ragni M, Kulkarni R, Pasi KJ, et al. B-YOND final results confirm established safety, sustained efficacy, and extended dosing interval for up to 4 years of treatment with rFIXFc in previously treated subjects with severe hemophilia B. Blood 2018;132(suppl 1):1214.
  3. Pasi KJ, Pabinger I, Wang M, et al. Long-term impact of rFVIIIFc prophylaxis in paediatric, adolescent, and adult subjects with target joints and severe haemophilia A. Res Pract Thromb Haemost 2017;1(S1):PB 212 + Poster.
  4. Kulkarni R, Pasi KJ, Feng J, et al. Target joint outcomes with prophylaxis with rFIXFc in adults and adolescents with hemophilia B: updated results from B-YOND. Res Pract Thromb Haemost 2017;1(Suppl 1):PB 961.
  5. Quon DV, Klamroth R, Kulkarni R, et al. Low bleeding rates with increase or maintenance of physical activity in patients treated with recombinant factor VIII Fc fusion protein (rFVIIIFc) in the A-LONG and Kids A-LONG Studies. Haemophilia 2017;23(1):e39–42.
  6. Niu X, Poon JL, Riske B, et al. Physical activity and health outcomes in persons with haemophilia B. Haemophilia 2014;20(6):814–21.
  7. Su J, Feng J, Myren K-J, et al. Long-term quality-of-life outcomes with rFIXFc in adults with hemophilia B: results from B-LONG and B-YOND. Res Pract Thromb Haemost 2017;1:732:PB 968 + Poster.
  8. Su J, Tsao E, Feng J, et al. Long-term quality-of-life outcomes with rFVIIIFc prophylaxis in adult subjects with severe hemophilia A. Res Pract Thromb Haemost 2017;1(S1):788:PB 1783 + Poster. 
  9. Sobi bringt Bewegung in die Hämophilie, Presseveranstaltung, Veranstalter: Sobi, 28.02.2019
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