Essstörungen

Kinder, die nur noch aus Haut und Knochen bestehen, aber sich für zu dick halten. Erwachsene, denen es zur Gewohnheit geworden ist, sich regelmäßig nach der üppigen Nahrungsaufnahme den Finger in den Hals zu stecken. Nur zwei Beispiele der scheinbar unendlichen Schattierungen einer Erkrankungsgruppe, die inzwischen ein erhebliches öknonomisches und soziales Ausmass erreicht hat: die Essstörungen. Wir informieren über Hintergründe und geben Tipps.

Anorexie und Bulimie: 10 Fragen und 10 kurze Antworten

  1. Gibt es den typischen Esskranken?
  2. Wer ist betroffen?
  3. Wodurch zeichnen sich Anorektiker aus?
  4. Was versteht man unter Bulimie?
  5. Gibt es eine klare Trennung zwischen Bulimie und Anorexie?
  6. Ist eine Essstörung eine isolierte psychische Erkrankung?
  7. Wie kann man Essstörungen therapieren?Wie kann man Essstörungen verhindern?
  8. Werden in der Therapie der Essstörungen Medikamente eingesetzt?
  9. Wohin kann ich mich wenden, wenn ich Hilfe benötige?
  10. Essstörungen – zwischen Anorexie und Bulimie

1. Gibt es den typischen Esskranken?
Trauen Sie sich zu, eine Person mit Essstörungen in Ihrer Umgebung zu identifizieren? Sicher, werden Sie sagen, das sind doch die Dürren, die, die nie etwas essen. Teilweise mögen Sie mit Ihrer Einschätzung richtig liegen. Was Sie vielleicht noch nicht wissen: es gibt eine nicht kleine Gruppe von Patienten mit Essstörungen, die ein scheinbar normales Gewicht haben. Überwiegend sind dies Patienten mit Bulimie, also der Ess-Brech-Sucht. Grosse Nahrungsmengen werden aufgenommen, aber durch das beispielsweise absichtlich herbeigeführte Erbrechen schlagen sich diese nicht im Gewicht nieder, die Bilanz kann ausgeglichen sein. Die oben angesprochenen Patienten, denen man ihre Erkrankung scheinbar ansehen kann, gehören eher in die Gruppe der Anorektiker, die sich der Nahrungsaufnahme als „Sieg des Geistes über den Körper“ verweigern. Gemeinsam ist den beiden Gruppen die Überbewerung des eigenen Körpergewichts bzw. der körperlichen Proportionen.

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2. Wer ist betroffen?
Waren Essstörungen noch bis vor kurzem eine relativ exklusive Domäne der Weiblichkeit, so ist inzwischen festzustellen, dass mehr und mehr männliche Jugendliche, die beispielsweise eine Modelkarriere anstreben, an einer Essstörung erkranken. Weiterhin ist ein Trend zu einem immer jüngeren Erkrankungsalter zu erkennen. Junge Sportlerinnen, die dadurch bedingt schon primär eher schlank sind, bleiben in ihrer Krankheit und der zugrundeliegenden Problematik oft unerkannt. Auch finden sich unter den Patienten mit Essstörungen immer häufiger Angehörige von Altersgruppen, die weit über dem beobachteten Durchschnittsalter einzuordnen sind. Generell kann aber gesagt werden, dass Patienten mit Anorexie bei Feststellung der Erkrankung eher etwas jünger sind als diejenigen mit Ess-Brech-Sucht (12-19 Jahre im Vergleich zu 17-20 Jahren).

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3. Wodurch zeichnen sich Anorektiker aus?
Anorektikerinnen sind meist an einem sehr niedrigen Gewicht erkennbar. Sie erreichen dies durch eine bewußte Nahrungsverweigerung. Oft stehen neben Gründen der Gewichtsreduktion bei subjektiv wahrgenommenem Übergewicht noch asketische Motive oder die Patientinnen haben einen Drang, sich selbst zu bestrafen. Durch die extrem geringe Nahrungsaufnahme sind körperliche Symptome hier sehr häufig: die Menstruationsblutung bleibt aus, es droht durch die pathologische Hormonsituation eine Osteoporose (bereits 6 Monate nach Krankheitsbeginn möglich); geistige Defizite können durch eine Pseudoatrophie bestimmter Hirnstrukturen entstehen. Diese erschweren unter Umständen auch die Auseinandersetzung mit der Erkrankung. Mit erhöhter Nahrungszufuhr sind diese schwerwiegenden Folgen reversibel.

4. Was versteht man unter Bulimie?
Der wesentliche Unterschied der Bulimie zur Anorexie besteht im „Versagen“, den eigentlichen Plan zur Gewichtsreduktion nicht durchhalten zu können. Episoden des sog. binge eating, also der Zufuhr grosser Nahrungsmengen, wechseln sich mit Phasen der Nahrungsverweigerung ab. Wurden grosse Nahrungsmengen zugeführt, wird, wie oben bereits angesprochen, ein Weg gesucht, dies ungeschehen zu machen. Dies kann durch Erbrechen geschehen, aber beispielsweise auch durch den Missbrauch abführender Substanzen.

5. Gibt es eine klare Trennung zwischen Bulimie und Anorexie?
Es ist wichtig, zu verstehen, dass eine klare Trennung der Essstörungen nicht zu allen Zeitpunkten existieren muss. Auf ihrem Leidensweg wechseln viele Patienten oft die „Fronten“. Bestehen bleibt stets die Fehleinschätzung des eigenen Körpergewichts.

Neben den grossen Gruppen Bulimie und Anorexie wird den Essstörungen noch die diagnostische Gruppe des „binge eating disorder“ zugeordnet. Hierbei handelt es sich in der Mehrzahl um ältere Patientinnen, die die anfallsweise Nahrungsaufnahme zur psychischen Stabilisierung benötigen. Folge ist ein Übergewicht.

Eine Neigung, Erbrechen herbeizuführen, besteht überwiegend nicht, genauso wenig ein Laxantienmissbrauch. Es steht weniger die sklavische Gewichtsreduzierung im Vordergrund, wohl aber besteht ein Zusammenhang zu häufigen diätetischen Maßnahmen. Alles in allem ist die Abgrenzung des binge eating disorder von Anorexie und Bulimie deutlich.

6. Ist eine Essstörung eine isolierte psychische Erkrankung?
Menschen, die an Essstörungen leiden, weisen überzufällig häufig auch andere Erkrankungen des psychiatrischen Formenkreises auf. Im Falle der Anorexie stehen Angst- und Zwangserkrankungen im Vordergrund. Oft wird auch ein reduziertes Selbstwertgefühl beobachtet. Bulimiker haben über das Gesagte hinaus eine Neigung zu selbstverletzendem Verhalten sowie zu Substanzmissbrauch. Auch finden sich in letzterer Gruppe häufig Persönlichkeitsstörungen. Es muss betont werden, dass diese „Nebenkriegsschauplätze“ auch durch die den Erkrankungen innewohnende Unregelmäßigkeit der Nahrungsaufnahme und die daraus folgenden Konsequenzen für den Organismus mit ausgelöst werden können und somit eine Gewichtsnormalisierung auch hier als erster Therapieversuch im Vordergrund stehen sollte.

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7. Wie kann man Essstörungen therapieren?
Die Möglichkeit zur studienkontrollierten Therapie variiert mit den unterschiedlichen Erkrankungen. Die meisten wissenschaftlichen Erkenntnisse liegen zur Bulimie vor. Generell wird vermutet, dass Essstörungen zwei psychologische Hauptprozesse zugrunde liegen: einmal der Wunsch, das Leben besser in den Griff zu bekommen, der auf das thematische Feld „Ernährung“ übertragen wird. Weiterhin finden sich bei Patienten mit Essstörungen überzufällig häufig in der Vergangenheit Ereignisse, bei denen sich diese Patienten hinsichtlich ihres Gewichtes sensibilisieren konnten (etwa ein übergewichtiges Elternteil).  In beiden Fällen ist eine Nahrungsverweigerung ein idealer Verstärker, der selbsterhaltend wird. Hinzu kommen noch weitere Aspekte, deren Erläuterung hier zu weit führen würde. Das psychotherapeutische Ziel besteht nun im wesentlichen darin, die oben beschriebenen Regelkreise zu durchbrechen.

Speziell bei der Bulimie hat sich hierfür die kognitive Verhaltenstherapie als am wirksamsten herausgestellt. Sie ist somit Therapie der Wahl. Die Therapie der Anorektiker orientiert sich weitestgehend an Empfehlungen aus Expertenkreisen. Hauptsäule der Therapie ist das Bewußtmachen einer Notwendigkeit zur Therapie sowie die Gewichtsreduzierung, die alleine schon in der Lage ist, zusätzliche psychiatrische Erkrankungen auszulösen. Schliesslich müssen auch hier die Gründe für die Überbewertung gewichtsbezogener Faktoren erarbeitet werden. Bei jüngeren Patienten hat sich ein familientherapeutisches Herangehen bewährt. Neben den genannten Faktoren kann es natürlich erforderlich werden, therapeutisch einzuschreiten, wo rein körperliche Beschwerden (schwerste Abmagerung, Flüssigkeitsverlust, Komplikationen des Herz-/Kreislaufsystems) im Vordergrund stehen. Die genannten Psychotherapien können ambulant oder im Krankenhaus durchgeführt werden.

Weitere Informationen Therapie-Centrum für Essstörungen München (TCE)

8. Wie kann man Essstörungen verhindern?
Es wird inzwischen vermutet, dass auch für die Essstörungen genetische Bedingungen existieren, die eine Enstehung der Krankheit wahrscheinlicher machen. Somit ist wie bei den meisten psychiatrischen Erkrankungen als Entstehungsbedingung ein Konflikt zu fordern, der hier im Wesentlichen im Zusammenhang mit der notwendigen Übernahme von Verantwortung im Zuge des Heranwachsens zu sehen ist. Dieser wird vor einer genetischen Neigung wirksam. Oft wird bei der Prävention und Aufarbeitung im Nachhinein die Familie als Keimzelle der Erkrankung ausgemacht. Ihr gebührt aber sicherlich nicht alle Schuld, wohl aber eine wichtige Vorbeugungsfunktion. Je weniger die Familie ihre Aufgabe als strukturierendes Element im Leben eines Jugendlichen erfüllen kann, um so größer ist die Gefahr, dass ein Umfeld geschaffen wird, das den Heranwachsenden destabilisiert.

Weitere Informationen Netzwerk Essstörungen Schweiz

9. Werden in der Therapie der Essstörungen Medikamente eingesetzt?
Im Allgemeinen ist eine medikamentöse Therapie zur Behandlung von Essstörungen nicht indiziert. Die beste Methode auch zur Behandlung der enstandenen Komplikationen (ausbleibende Regelblutung, Osteoporose) ist und bleibt die Gewichtsnormalisierung. Es ist damit zu rechnen, dass auch die eventuellen psychiatrischen Zusatzsymptome mit der Normalisierung des Gewichtes zurückgehen. Ist dies nicht der Fall, so wird manchmal ein SRI-Antidepressivum verordnet. Diese Gruppe scheint auch bei Bulimikern die Ess-Brech-Frequenz reduzieren zu können. Insgesamt ist bei anorektischen sowie bulimischen Patienten eine sehr lange Behandlungsdauer zu erwarten. Dies hat unter Umständen neben den hohen Kosten auch im Falle der stationären Behandlung einen Ausschluss von Aktivitäten Gleichaltriger (peer group) zur Folge.

Weitere Informationen Frankfurter Zentrum für Essstörungen

10. Wohin kann ich mich wenden, wenn ich Hilfe benötige?
Das Portal Hungrig Online bietet einen guten Startpunkt für die Suche nach weiterer Hilfestellung. Links zu Selbsthilfegruppen finden sich hier ebenso wie ausführliche Informationen zur Thematik. Kommunikationsmöglichkeiten bestehen mittels Mailinglisten, Chats und Foren. Träger ist ein gemeinnütziger Verein unter dem Vorsitz eines Arztes.

Weitere Informationen Hungrig Online

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