Ein Drittel aller Menschen über 65 Jahre stürzt mindestens einmal im Jahr. Aufgrund des demografischen Wandels wird die Zahl der Stürze in den nächsten Jahren steigen. Es kann überall passieren: auf der Straße, im Geschäft oder im Garten. Etwa 20 Prozent der Betroffenen fallen so unglücklich, dass sie sich schwerwiegende Verletzungen zuziehen und auf Dauer pflegebedürftig werden. Die Folgekosten von Stürzen sind deshalb immens.
Anhaltender Geburtenrückgang und steigende Lebenserwartung führen bis zum Jahr 2020 zu einer erheblichen Zunahme der Altersgruppe der über 70-Jährigen. Gerade ältere Menschen stürzen häufiger: Die Sturzgefährdung nimmt ab dem 70. Lebensjahrzehnt rapide zu. Folglich werden künftig immer mehr Menschen sturzgefährdet sein und unter Umständen langwierige Folgebehandlungen in Kauf nehmen müssen. Die Folgekosten für Stürze nehmen im Gesundheitssystem einen vorderen Platz ein. Stürze ziehen jedoch nicht nur körperliche Schäden nach sich, sie können auch soziale und seelische Folgen haben. Denn aus Angst erneut zu fallen, bleiben viele ältere Menschen zu Hause. Dieser Rückzug führt dazu, dass die Betroffenen unter Einsamkeit leiden, depressiv werden und sich mehr und mehr isoliert fühlen.
„90 Prozent der Stürze sind lokomotorisch bedingt. Das heißt, sie ereignen sich in der Bewegung – meistens beim Aufstehen, aber auch beim Laufen. Nicht selten sind sie Folge einer Störung des Gleichgewichtssinns“, erklärt Privatdozent Dr. med. habil. Leif-Erik Walther, Hals-Nasen-Ohren-Facharzt aus Sulzbach im Taunus. „Dahinter können sich aber auch weitere Erkrankungen verbergen, die vom HNO-Arzt interdisziplinären Weitblick erfordern: zum Beispiel Muskel- und Gelenkerkrankungen, neurologische Störungen wie ein Morbus Parkinson oder Stoffwechselerkrankungen wie etwa ein Diabetes mellitus“, erläutert Dr. Walther im Vorfeld der Fortbildungsveranstaltung in Mannheim.
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Darüber hinaus führten altersbedingte Strukturveränderungen des Gleichgewichtsorgans dazu, dass sich kleine Kristalle im Gleichgewichtsorgan lösen – sogenannte Otokonien. Sie können einen sehr heftigen Drehschwindel auslösen. Dieser gutartige Lagerungsschwindel ist eine typische altersbedingte Störung des Gleichgewichtsorgans im Innenohr. „Bei den betroffenen Patienten muss schnell die richtige Diagnose gestellt und zügig eine effektive Therapie eingeleitet werden, da die Sturzgefahr bei Schwindelerkrankungen extrem erhöht ist“, sagt der HNO-Facharzt. Nach einem einmaligen Sturz fallen etwa 70 Prozent der Patienten erneut, wenn keine prophylaktischen oder therapeutischen Maßnahmen würden, so Dr. Walther. Um ein bestehendes Risiko für Stürze zu erfassen, eignet sich beispielsweise der sogenannte Tinetti-Test. Dabei prüft der Arzt Gleichgewicht und Fortbewegung des Patienten. Anhand dessen lässt sich das individuelle Sturzrisiko ausdrücken.
Unter dem Motto „Besser vermeiden als verarzten“ raten HNO-Experten ihren Patienten dazu, aktiv vorzubeugen: „Körperliches Training – in Form von Übungen für Kraft, Koordination und Balance – trägt entscheidend dazu bei, die Sturzgefahr zu vermindern“, erklärt Professor Dr. med. Karl-Friedrich Hamann, ehemaliger Extraordinarius an der HNO- Klinik der TU München. „Auf diese Weise ließen sich Folgekosten im Gesundheitswesen sparen, wenn bereits ambulant interdisziplinäre Vorsorgeprogramme von den Krankenkassen finanziert würden.“ Der Experte weist außerdem darauf hin, dass die Nachfrage nach interdisziplinär geschulten und kompetenten HNO-Ärzten aufgrund der demografischen Entwicklung in den kommenden Jahren erheblich zunehmen wird.