Mann oder Frau? Das ist nicht immer so eindeutig, wie die Gesellschaft es fordert. So hat das Bundeskabinett kürzlich beschlossen, dass es im Geburtenregister neben dem weiblichen und männlichen Geschlecht demnächst auch eine dritte Option „divers“ geben wird. „Der Gesetzesentwurf ist ein wichtiger Schritt, um die Pathologisierung und Diskriminierung von intersexuellen Menschen zu beenden, die sich nicht in der Zweiteilung der Geschlechter wiederfinden“, betont Prof. Ilka Quindeau, Professorin für klinische Psychologie an der Frankfurt University of Applied Sciences. Die Psychoanalytikerin wird auf der 69. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Psychoanalyse, Psychotherapie, Psychosomatik und Tiefenpsychologie (DGPT) e.V. über die Möglichkeiten der Psychoanalyse berichten, vielfältigen geschlechtlichen Identifizierungen gerecht zu werden. „Geschlechterspannungen“ lautet denn auch das Motto des größten Psychoanalytiker-Kongresses in Deutschland.
Prof. Quindeau nimmt dabei Bezug auf das Konzept der konstitutionellen Bisexualität, das Sigmund Freud schon 1905 beschrieb: Freud ging davon aus, „dass weder im psychologischen noch im biologischen Sinn eine reine Männlichkeit oder Weiblichkeit gefunden wird“. Jede Einzelperson weise vielmehr „eine Vermengung ihres biologischen Geschlechtscharakters mit biologischen Zügen des anderen Geschlechts … auf“. Freud setzt also eine körperliche Mehrgeschlechtlichkeit voraus, die in jedem Menschen angelegt ist, und nicht nur intersexuelle Menschen betrifft, die mit uneindeutigen Geschlechtsorganen auf die Welt kommen. Quindeau fordert dazu auf, das Freudsche Konzept der Bisexualität aufzugreifen und auszuarbeiten. „Schließlich wissen wir heute aus der Embryonalforschung, dass Kinder im Mutterleib in den ersten Schwangerschaftswochen kein eindeutiges Geschlecht haben“, so die Psychoanalytikerin.
Das Geschlecht setze sich aus vielen biologischen und psychosozialen Komponenten zusammen, erläutert Quindeau. Schon allein auf körperlicher Ebene gelte es, die Geschlechtsidentität differenzierter zu betrachten. „Das Körpergeschlecht besteht ja nicht nur aus den Genitalien, sondern umfasst auch die Chromosomen, Keimdrüsen und Hormone, Muskelmasse und Körperfettverteilung.“ Nicht nur bei intersexuellen Menschen, auch bei unauffälligen Männern und Frauen sei die Zuordnung bei den vielen Komponenten nicht immer eindeutig. „Untersuchungen haben zum Beispiel gezeigt, dass Väter, die sich um ihr Baby kümmern, weniger von dem männlichen Hormon Testosteron aufweisen als etwa Soldaten“, führt Quindeau aus. Sie folgert daraus, dass es sich bei Männlichkeit und Weiblichkeit nicht um scharf abgegrenzte Einheiten handelt, sondern um ein Kontinuum mit individuellen Mischungsverhältnissen. Deshalb plädiert die Psychoanalytikerin dafür, die Geschlechterdichotomie ein Stück weit aufzulösen. „Es ist so viel Leid mit der Normierung der Geschlechterrollen verbunden, das ist völlig unnötig.“
Bei der 69. Jahrestagung der DGPT geht es jedoch nicht nur um die Geschlechterspannungen innerhalb eines Menschen, sondern auch um das spannungsreiche Verhältnis zwischen den Geschlechtern. So werden zum Beispiel unter dem Titel „Alpha-Girls“ die Bindungsprobleme moderner Karrierefrauen analysiert oder das gespannte Frau-Mann-Verhältnis zwischen Frida Kahlo und Diego Rivera untersucht.
Prof. Ilka Quindeau: (Un-)Doing Gender in der Psychotherapie? Was sich von Trans- und Intersex-Personen über das Geschlecht lernen lässt, Freitag, 21.9.2018, 9.30-10.30 Uhr, Inselhalle Saal 1 Europa, Zwanzigerstr. 10, 88131 Lindau am Bodensee
Das gesamte Programm auf http://jahrestagung2018.dgpt.de/programm.php
Weitere Informationen:
Dr. Felix Hoffmann, Geschäftsführer DGPT, Tel. 030 887163934 oder Tel. 030 887163930, Felix.Hoffmann@dgpt.de