Gehen oder Stehen? Ost-Ampelmännchen macht im Vergleich zum West-Ampelmännchen eine bessere Figur

In den mehr als zwanzig Jahren seit dem Ende der deutschen Teilung ist Vieles zusammengewachsen, aber noch immer gibt es auffällige Unterschiede zwischen Ost und West – zum Beispiel bei Verkehrszeichen für Fußgänger. 1961 erfand der Verkehrspsychologe Karl Peglau das Ost-Ampelmännchen. Die Markenzeichen: Breiter Hut, große Nase und korpulenter Körperbau. Das West-Ampelmännchen dagegen kommt deutlich abstrakter daher. Effektive Verkehrszeichen sind wichtig für die Verkehrssicherheit: 3.606 Tote und 384.100 Verletzte im Straßenverkehr im Jahr 2012 zeigen, dass es hier noch Verbesserungsbedarf gibt. Aber macht die Form eines Ampelmännchens einen Unterschied im Straßenverkehr? Die Jacobs-Wissenschaftler Claudia Peschke, Postdoctoral Fellow of Psychology/Neuroscience, Bettina Olk, Professor of Psychology und Claus C. Hilgetag, Professor of Neuroscience, sind jetzt in einer Studie zur visuellen Wirksamkeit den Unterschieden von Ost- und West-Ampelmännchen auf die Spur gegangen (Peschke et al., PLoS ONE 2013, doi: 10.1371/journal.pone.0064712).

Um herauszufinden, wie Studienteilnehmer auf die unterschiedlichen Ampelmännchen reagieren, nutzten die Wissenschaftler einen bekannten psychologischen Effekt – den sogenannten „Stroop-Effekt“. Versuchspersonen reagieren typischerweise langsamer auf ein Objekt, wenn dieses verschiedene Attribute besitzt, die miteinander in Konflikt stehen, zum Beispiel wenn das geschriebene Wort „Rot“ eine grüne Farbe besitzt. Dementsprechend wurden Ost- und West-Ampelmännchen in ihrer normalen, übereinstimmenden Form (grüner „Geher“, roter „Steher“) oder in einer nicht übereinstimmenden Version (roter „Geher“, grüner „Steher“) präsentiert. Die Probanden mussten entweder auf die Farbe oder die Gestalt der Zeichen reagieren und mittels Knopfdruck so schnell wie möglich die jeweilige Bedeutung „gehen“ oder „stehen“ signalisieren.

Das Ergebnis zeigte zum einen, dass die Versuchspersonen in der Farb-Aufgabe stärker durch die nicht übereinstimmende Gestalt der Ost-Ampelmännchen als die der West-Ampelmännchen abgelenkt waren. Zum anderen waren die Probanden weniger bei Ost-Ampelmännchen abgelenkt, wenn sie auf die Gestalt der Zeichen reagieren und deren „falsche“ Farbe ignorieren sollten. Außerdem reagierten die Versuchspersonen generell schneller auf Ost- als auf West-Ampelmännchen. Diese Ergebnisse legen nahe, dass die Gestalt der Ost-Ampelmännchen visuell prägnanter und damit in der Funktion wirksamer ist als die ihrer westdeutschen Verwandten: Seitwärts ausgestreckte Arme und der dynamische Gang des Ost-Ampelmännchens signalisieren anscheinend stärker „stehen“, bzw. „gehen“ als das West-Ampelmännchen.

Claudia Peschke würde sich freuen, noch mehr Ost-Ampelmännchen auf deutschen Straßen zu sehen: „Unsere Ergebnisse zeigen, dass die Ost-Ampelmännchen nicht nur eine Ikone der „Ostalgie“ sind, sondern bei der Signalwahrnehmung tatsächlich einen leichten Vorsprung gegenüber den West-Ampelmännchen haben. Unsere Studie könnte zukünftig auch für andere Situationen wertvolle Hinweise liefern. So kann die Methodik zur besseren Beurteilung von Schildern dienen, die auf Gefahrensituationen oder deren Vermeidung hindeuten, wie zum Beispiel Piktogramme für Notausgänge, oder auch, um die Effektivität des mittlerweile eingeführten Euro-Ampelmännchens zu prüfen.“

Fragen zur Studie beantwortet:
Claudia Peschke | Postdoctoral Fellow of Psychology/Neuroscience
E-mail: c.peschke@jacobs-university.de | Tel.: +49 421 200-3408

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