Gedächtnisstörungen im Alter – Depressionen können sich hier verstecken

Gedächtnisprobleme können im Alter Anzeichen ganz unterschiedlicher Krankheitsbilder sein. So sind beispielsweise Demenzerkrankungen und Depressionen in ihrer Symptomatik bei Senioren häufig sehr ähnlich. Eine gute medizinische Abklärung und Differentialdiagnose ist daher im Hinblick auf eine mögliche Therapie sowie auf den gesamten Krankheitsverlauf und die Prognose entscheidend. Werden depressive ältere Menschen fälschlicherweise für dement gehalten, bekommen sie nicht die Behandlung, die möglicherweise schnell zu einer erheblichen Besserung ihres Gesundheitszustandes führen kann.

Selbst für Spezialisten ist es nicht immer einfach, eine Demenz von einer Depression zu unterscheiden. Bei der Diagnose reicht die Sachkenntnis eines einzelnen Facharztes allein daher oft nicht aus. In der Memory-Clinic in Essen, einer Gedächtnisambulanz der Contilia Gruppe, testen und untersuchen mehrere Experten aus den Fachbereichen Psychologie, Geriatrie, Psychiatrie und Pädagogik die Ratsuchenden. Statt Apparatemedizin steht hier das Gespräch mit den Menschen im Vordergrund. Patienten werden über ihr Leben, ihre Zukunftsentwürfe und über ihr soziales Umfeld befragt. Ein Neurologe prüft, ob eine organische Erkrankung des Gehirns vorliegt. Eine Computer- oder Magnetresonanztomographie wird nur dann durchgeführt, wenn ein begründeter Verdacht besteht. In psychologischen Tests werden Schweregrad und Art der Denkstörung und die Gedächtnisleistung bestimmt. Die Einzelergebnisse werden von den verschiedenen Spezialisten in einer Diagnosekonferenz zusammengefasst und bewertet. So ergibt sich ein umfassendes Bild vom gesundheitlichen Zustand des Patienten. Möglichen Fehlentscheidungen wird durch gegenseitige Ergänzung und Kontrolle vorgebeugt.

Demenz oder Depression?

Auch wenn die Symptome für Depressionen und Demenzerkrankungen ähnlich sein können, gibt es doch einige Anzeichen, die mehr für die eine oder andere Erkrankung sprechen. „Ein rascher Beginn der Gedächtnisprobleme und auffällige Leistungsschwankungen bei vergleichbaren Aufgaben deuten auf eine Depression hin“, erläutert Dr. Johannes Haseke, Facharzt für Nervenheilkunde und Klinische Geriatrie in der Memory-Clinic. „Depressionen im Alter werden häufig durch belastende Lebensereignisse und -umstände angestoßen – beispielsweise durch den Tod des Partners, eine körperliche Erkrankung oder den Verlust der Mobilität. Trauerreaktionen gehen dann häufig in Depressionen über. Die Betroffenen klagen über allgemeine Leistungsschwäche sowie Antriebslosigkeit. Sie grübeln viel, leiden unter Versagensängsten oder Schulgefühlen. Dazu kommen häufig Schlafstörung, Gewichtsverlust und Suizidgedanken. Depressive Personen können ihre Gedächtnisstörungen in der Regel detailliert beschreiben und sprechen beispielsweise davon, dass sie Angst haben, ‚zu verblöden‘. Orientierungsstörungen wie bei einer Demenz treten bei ihnen normalerweise nicht auf.“

Die am häufigsten auftretenden Formen der Demenz sind die Alzheimer-Krankheit und die vaskuläre Demenz, die von Durchblutungsstörungen im Gehirn ausgelöst wird. Die Erkrankungen zeichnen sich durch zunehmende Störungen der Aufmerksamkeit, der Konzentration, des Gedächtnisses und des Intellekts aus. Dr. Haseke: „Charakteristisch für eine Demenz ist es, dass die Gedächtnisstörungen in der Regel langsam beginnen und die ersten Anzeichen häufig länger als ein Jahr zurückliegen, wenn die Patienten zu uns kommen. Probleme mit dem Kurzzeitgedächtnis sowie Desorientiertheit stehen oft im Vordergrund. Auch Wortfindungsstörungen, Rechenschwäche, visuell-räumliche Störungen oder Störungen des abstrakten Denkens treten bei den Betroffenen auf. Oft wissen Demenzkranke plötzlich nicht mehr, wie man beispielsweise die TV-Fernbedienungen benutzt oder die Waschmaschine richtig bedient. Weitere Symptome einer fortschreitenden Demenz sind zunehmende Ruhelosigkeit, Stimmungsschwankungen sowie Wesensveränderung und Veränderungen im Sozialverhalten. Typisch ist, dass Betroffene ihre kognitiven Leistungsverluste bagatellisieren und Situationen, denen sie sich nicht mehr gewachsen fühlen, ausweichen. So werden Aktivitäten – beispielsweise der regelmäßige Skatabend mit Freunden – plötzlich aus irgendwelchen vorgeschobenen Gründen abgebrochen. Wenn Demenzkranke Gegenstände suchen müssen, weil sie nicht mehr wissen, wo sie diese hingelegt haben, beschuldigen sie häufig andere, alles versteckt zu haben.“

Die Abgrenzung zwischen Demenz und Depression ist aber nicht nur wegen ähnlicher Symptome schwer, im Alter treten häufig beide Störungen zusammen auf und bedingen einander häufig sogar. So weiß man zum einen, dass eine Demenzerkrankung und die damit verbundenen Veränderungen bei den Betroffenen depressiver Verstimmungen auslösen können, zum anderen geht man heute auch davon aus, dass Depressionen ein Risikofaktor für die Entwicklung einer Alzheimer-Krankheit sind.

Stimmungsaufhellend

Nur wenn die genauen Ursachen für die Gedächtnisprobleme erkannt sind, kann entsprechend darauf reagiert werden. „Depressionen lassen sich auch im Alter recht gut behandeln“, so Dr. Haseke. „Einen möglichen Ausweg aus der Erkrankung bietet die Psychotherapie. In der Behandlung alter Menschen ist diese Therapieform lange völlig vernachlässigt worden. Es gibt aber gute Möglichkeiten, im Alter eine solche Behandlung durchzuführen – wenn auch in einer etwas modifizierten Form. Eine medikamentöse Therapie ist immer dann angezeigt, wenn die depressiven Störungen ausgeprägt sind und länger anhalten. Ältere Patienten sprechen in der Regel ebenso gut – aber möglicherweise etwas langsamer – auf eine antidepressive Medikation an wie jüngere. Da viele Senioren für andere Erkrankungen bereits Arzneimittel einnehmen, muss bei der Verschreibung darauf geachtet werden, dass Wechselwirkungen ausgeschlossen sind.“ Man geht davon aus, dass derzeit ungefähr zehn Prozent aller Menschen über 60 an behandlungsbedürftigen Depressionen leiden. Allerdings werden immer noch nur wenige dieser Erkrankungen tatsächlich therapiert. Das ist fatal, denn Depressionen im Alter gehen nicht nur mit einem Nachlassen der kognitiven Leistungen einher. Sie verschlechtern auch die Prognose körperlicher Erkrankungen, erhöhen das Sterblichkeitsrisiko und sind nicht selten der entscheidende Punkt, wenn es um den Verlust der Selbstständigkeit geht.

Im Gegensatz zu Depressionen sind Demenzerkrankungen nicht so gut therapierbar. Sie sind in den meisten Fällen fortschreitend und unheilbar. Der Verlauf der Alzheimer-Krankheit lässt sich durch Antidementiva nur verlangsamen. Bei einer vaskulären Demenz geht es vor allem darum, dass gefäßschädigende Grunderkrankungen wie Diabetes mellitus oder Bluthochdruck gut eingestellt sind. Dr. Haseke: „Wenn bei einem Patienten aber der Verdacht besteht, dass er sowohl unter depressiven Stimmungen als auch unter Demenz leidet, sollte eine Behandlung der Depression versucht werden. In vielen Fällen kommt es auch dann zu einer Verbesserung der kognitiven Leistungen. Und selbst wenn die Gedächtnisprobleme durch Antidepressiva nicht behoben werden, lässt bei vielen Betroffenen die Unruhe nach und es kommt zu einer deutlichen Verbesserung der Stimmung.“ (EKE, 03/2010)

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