"Lange Zeit hat man angenommen, dass Strahlungsschäden der
DNA durch Hochenergiestrahlung wie etwa Röntgen- oder
Partikelstrahlung besonders durch das Auftreten von
sogenannten OH-Radikalen (O steht für Sauerstoff und H für
Wasserstoff) hervorgerufen werden. Nun sieht es so aus, als
ob ein weiteres Teilchen aus der Spaltung des Wassers durch
Hochenergiestrahlen – das teilweise von Wassermolekülen
umgebene Elektron an Grenzflächen – ein noch viel
gefährlicheres Teilchen für das Erbgut von Lebewesen ist.",
sagt Prof. Dr. Bernd Abel vom Wilhelm-Ostwald-Institut für
Physikalische und Theoretische Chemie der Universität
Leipzig und Seniorautor des Papers.
"Wenn Hochenergiestrahlung auf die DNA einer Zelle trifft,
dann kann sie damit gespalten und zerstört werden, ein
Mechanismus der bei der Radiotherapie von Krebs ausgenutzt
wird.", erklärt Prof. Abel. "Aber auch gesunde Zellen
können durch Hochenergiestrahlung geschädigt werden."
Zunächst schädigt die Primärstrahlung das Erbgut durch
Ionisation und Spaltung. Die Primärstrahlung erzeugt
außerdem eine Reihe von weiteren Teilchen – so zum Beispiel
das teilweise in Wasser gelöste Elektron, das komplett
abgebremste hydratisierte Elektron in Wasser und freie
Radikale wie das OH-Radikal, die ebenfalls erbgutschädigend
sind. "Und das OH-Radikal galt eben bisher als das
gefährlichste Teilchen in diesem Teilchenzoo" so Prof. Abel
weiter.
Neu entdeckt: Teilweise gelöstes Elektron an Grenzflächen
Durch die neuen Ergebnisse der Leipziger Arbeitsgruppe in
Kooperation mit Wissenschaftlern aus Göttingen und Berlin
konnte gezeigt werden, dass die Elektronen in Wasser an
Grenzflächen – wie z. B. an Membranen oder Grenzflächen von
Biomolekülen eine besonders schädigende Wirkung haben
können. Dies liegt an der Bindungsenergie, die energetisch
sehr günstig für eine Spaltung von DNA-Strängen ist. Wie
die Forscher zeigen konnten, leben diese Teilchen auch
besonders lange, so dass sich ihre schädigende Wirkung
besonders gut entfalten kann.
So wurde nun 45 Jahre nach der Entdeckung des freien
gelösten Elektrons in Wasser seine bisher unbekannte
Bindungsenergie gemessen. Prof. Abel: "Dass es dabei auch
noch eine bisher unbekannte Spezies gibt – das teilweise
gelöste Elektron an einer Grenzfläche – ist neu. Seine
Existenz und seine Lebensdauer wurden mit einer neuen
Ultrakurzzeitapparatur (einer schnellen Kamera auf der
Basis von Lasern für kurzlebige reaktive Teilchen)
erstmalig aufgenommen."
Strahlungsdosen müssen in Zukunft neu bewertet werden
"Die nun erstmalig bestimmten Bindungsenergien und
Lebensdauern von vollständig und teilweise hydratisierten
Elektronen in Wasser und an Wassergrenzflächen werden dazu
führen, dass Strahlungsdosen in der Zukunft möglicherweise
neu bewertet werden müssen und der neue
DNA-Spaltungsmechanismus mit niederenergetischen Elektronen
in Wasser könnte möglicherweise Auswirkungen für die
Strahlentherapie von Krebs haben.", schlussfolgert Prof.
Abel.
Die neuesten Forschungsergebnisse der Leipziger wurden in
der neuesten Ausgabe der Zeitschrift Nature Chemisty (7.
März 2010) veröffentlicht: K. R. Siefermann, Y. Liu, E.
Lugovoy, O. Link, M. Faubel, U. Buck, B. Winter and B.
Abel. Binding energies, lifetimes and implications of bulk
and interface solvated electrons in water. Nature
Chemistry. DOI: 10.1038/NCHEM.580.
Diskutiert und viel gelobt wurde der Beitrag im gleichen
Heft von Daniel M. Neumark von der University of California
in Berkeley,USA.
Zur Person:
Prof. Dr. Bernd Abel aus dem Ostwald-Institut für
Physikalische und Theoretische Chemie der Universität
Leipzig ist Mitglied der Graduiertenschule BuildMoNa, die
im Rahmen der Exzellenzinitiative des Bundes und der Länder
gefördert wird sowie im Profilbildenden Forschungsbereich 1
der Universität. Seit 2008 ist er Professor für
Physikalische Chemie und Reaktionsdynamik an der
Universität Leipzig.
Dr. Oliver Link, Katrin Siefermann und Yaxing Liu sind
Mitarbeiter der AG Abel am Institut für Physikalische
Chemie in Göttingen. Katrin Siefermann ist außerdem
Mitglied des Graduiertenkollegs 782 am Institut für
Physikalische Chemie der Universität Göttingen.
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Weitere Informationen:
Prof. Dr. Bernd Abel
Telefon: +49 341 235-2715
E-Mail: bernd.abel@uni-leipzig.de
www.pc-uni-leipzig.de
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Onlineansicht mit Abbildungen:
http://www.zv.uni-leipzig.de/?id=674&ifab_modus=pmanzeige&ifab_id=3669
(idw, 03/2010)