Liegt eine Prävalenz von weniger als 1:2000 vor, so wird in Europa von einer seltenen Erkrankung bzw. Störung gesprochen. Mediziner und Wissenschaftler sind sich einig, dass es aktuell mehr als 6000 seltene Krankheiten gibt. Alleine in der europäischen Gemeinschaft sind mehr als 30 Millionen Bürger von seltenen Erkrankungen betroffen. Eine dieser seltenen Krankheiten ist dabei die Duchenne-Muskeldystrophie (DMD), die die häufigste erbliche Muskelerkrankung im Kindesalter ist.
Bei der Duchenne-Muskeldystrophie (DMD) handelt es sich um eine seltene progrediente, genetische Erkrankung, von der meist Jungen betroffen sind. Die Inzidenz beträgt dabei etwa 1:3.600-1:6.000 männliche Neugeborene. Die Erkrankung ist tödlich verlaufend, führt bereits ab der frühen Kindheit zu einem fortschreitenden Muskelabbau, der zunächst den Bewegungsapparat betrifft, sich später aber auch auf die Atem- und Herzmuskulatur auswirkt. Meist versterben die männlichen Patienten vorzeitig; oft bereits im dritten Lebensjahrzehnt. Es kommt zu Komplikationen an Lunge oder Herz.
Neben der Behandlung spielt insbesondere die Diagnostik der DMD eine entscheidende Rolle. Denn durch eine frühzeitige Diagnose der DMD kann die Prognose der Betroffenen erheblich verbessert werden. Hierüber sind sich die Experten einig, die sich während eines Treffens des Biopharmaunternehmens PTC Therapeutics miteinander austauschten, diskutierten und berichteten. Dabei ist die Einleitung gezielter Maßnahmen für das rechtzeitige Erkennen unspezifisch früher Zeichen obligat.
Daten und Fakten über die Duchenne-Muskeldystrophie (DMD)
- Es handelt sich um eine seltene Erkrankung, die X-chromosomal-rezessiv vererbt wird. Nahezu alle Betroffenen sind männlichen Geschlechts
- Es kommt zu einer frühzeitigen Verzögerung der kognitiven, sprachlichen und motorischen Entwicklung von Betroffenen
- Im Durchschnitt wird in Deutschland die Diagnose im Alter von 3,8 +/- 2,4 Jahren gestellt
- Patienten mit der Erkrankung, die progredient über definierte Krankheitsstadien verläuft, versterben durchschnittlich in ihrem dritten Lebensjahrzehnt
- Die Mutter gibt das geschädigte Dystrophie-Gen in etwa zwei Drittel der Fälle weiter. Meist weist sie selbst keine Symptome auf
- Das Strukturprotein „Dystrophin“ spielt für die Aufrechterhaltung und Funktionalität von Muskelzellen eine entscheidende physiologische Rolle. Mutationen im Dystrophin-Gen rufen einen vorzeitigen Abbruch der Proteinbiosynthese hervor, wodurch ein funktionsloses Protein entsteht
- Das Krankheitsbild äußert sich durch das Fehlen funktionsfähigen Dystrophins. Es ist das Muskelprotein Dystrophin, das die Muskelmembranen stabilisiert und Muskeln gesunder Personen so vor einer Schädigung schützt
Professor Dr. med. Andreas Hahn aus Gießen wies während des Expertenaustausches darauf hin, dass die Schwierigkeit in der Erkennung der seltenen Erkrankung liegt. Er sagt: „Viele Ärzte haben noch nie einen Patienten mit DMD gesehen.“ Das rechtzeitige Erkennen einer vorliegenden DMD kann jedoch für die Therapie entscheidend sein. Mit dem Fortschreiten der Erkrankung werden die Muskelfasern zunehmend durch fibrotisches Gewebe und Fett ersetzt, das zur unaufhaltsamen Muskeldegeneration und schließlich zu Lungen- und Herzversagen sowie frühem Tod führt. Die Krankheitsprogression kann hinausgezögert werden, wenn der Erhalt der Gehfähigkeit möglichst lange gewährleistet werden kann. Es handelt sich hierbei um einen prognostischen Faktor. Die ersten Zeichen einer vorliegenden DMD müssen hierfür jedoch frühstmöglich erkannt werden.
Diagnose DMD: rechtzeitig die seltene Erkrankung erkennen
Frühstmöglich müssen erste Zeichen richtig gedeutet werden, um die DMD zu erkennen. Wichtige Werte können hierbei bereits ab der Geburt ein erhöhter CK- und Transaminase-Wert sein. Sie zählen zu den unspezifischen frühen Zeichen einer DMD. Im zweiten Lebensjahr ist es auch möglich, die DMD anhand von Lern- und Verhaltensauffälligkeiten diagnostizieren zu können. So kann es zu sprachlichen und motorischen Entwicklungsverzögerungen kommen. Sie sind es, die erste Hinweise auf die Erkrankung liefern können. Ab dem dritten bis vierten Lebensjahr sind muskuläre Zeichen der DMD schließlich nicht mehr übersehbar. Sie äußern sich durch
- Watschelnder Gang
- Wadenhypertrophie
- Gowers-Zeichen
- Häufiges Hinfallen
- Schwierigkeiten beim Rennen, Springen und Treppensteigen
- Reduzierte Ausdauer im Vergleich zu Gleichaltrigen
Besteht anhand der unspezifischen frühen Symptome der Erkrankung der Anfangsverdacht auf das Vorliegen einer DMD, so wird die Bestimmung der Kreatinkinase in der Primärversorgung durch den Pädiater oder Hausarzt empfohlen. Der Verdacht kann dadurch erhärtet werden, wenn deutlich erhöhte CK-Werte über 1000 U/l feststellbar sind. Die Überweisung des jungen Patienten durch den Haus- bzw. Kinderarzt an einen Neuropädiater in ein auf Muskelerkrankungen spezialisiertes Zentrum ist hierbei von besonderer Bedeutung. Weiter kann in darauffolgenden Untersuchungen gegebenenfalls eine DNA-Analyse sowie eine Mutationdiagnostik erfolgen, um die DMD-Diagnose zu bestätigen und den Mutationstyp letztlich zu bestimmen. „Das Ziel der Therapie ist die Verzögerung der Krankheitsprogression und der weitest mögliche Erhalt der Lebensqualität.“
Die Fachärztin für Neurologie und Ernährungsmedizinerin (DAEM/DGEM) Prof. Dr. med. Maggie Walter erläuterte bei dem Expertentreffen weiter, dass eine frühzeitige Diagnose der DMD gleichzeitig auch weniger Stigmatisierung, weniger Belastung und weniger Komplikationen bedeutet. Die betroffenen Patienten können somit frühzeitig behandelt werden und profitieren auch durch die Aufnahme in das Patientenregister. Bei weiterem Kinderwunsch können die Eltern hierdurch ggf. bewusster planen. Die Therapie verfolgt dabei immer das Ziel, die Gehfähigkeit so lange wie möglich zu erhalten. Ein früher Verlust der Gehfähigkeit ist mit einer schnelleren Verschlechterung wichtige Funktionen assoziiert (vgl. Abnahme der mot. Funktionen, orthopädische Komplikationen, Ateminsuffizienz).
Die Diagnosestellung erfolgt in Deutschland häufig erst nach den ersten Symptomen – und damit sehr spät. Pädiater oder Hausärzte können im Rahmen der U7-Untersuchung (Deutschland) in drei einfachen Schritten die DMD rechtzeitig erkennen und so der Verzögerung der Diagnosestellung vorbeugen:
- Erkennen unspezifischer früher Zeichen
- Veranlassung eines CK-Tests
- Überweisung an ein Muskelzentrum zur gendiagnostischen Abklärung
Steigerung der Lebenserwartung und mehr Lebensqualität für DMD-Patienten
Betrachtet man Daten über die Lebenserwartung von DMD-Patienten der vergangenen Jahre und vergleicht diese miteinander, so lässt sich feststellen, dass sich diese im Allgemeinen durchaus verbessert hat. Prof. Dr. med. Günther Bernert aus Wien unterstreicht dies. Zurückzuführen ist dies unter anderem auch auf den Einsatz von Kortikosteroiden. Obwohl diese oft mit Nebenwirkungen verbunden sind, bilden Sie eine der entscheidenden Säulen der DMD-Therapie.
Gehfähige DMD-Patienten mit zugrunde liegender Nonsense-Mutation (nmDMD) können ab einem Alter von zwei Jahren erstmals auch von einer kausale mutationsspezifische Therapie mit Ataluren (Translarna) profitieren. In einer Phase Gib und einer Phase III Studie konnte Ataluren konsistent einen Vorteil vs. Placebo hinsichtlich des primären Endpunktes, de 6-Minuten-Gehtest (6MWD) und der 3 Sekunden Endpunkte 4 Treppenstufen steigen / absteigen und dem 10m gehen / laufen (Timed-Function-Tests) aufzeigen. Ataluren verringerte in der Phase III Studie zudem bei Kindern ab fünf Jahren das Risiko eines motorischen Funktionsverlusts signifikant um 31% (p = 0,010). Eine prospektiv geplante Metaanalyse für Ataluren zeigte statistisch signifikante Unterschiede sowohl für die 6MWD als auch für alle 3 Timed-Function-Tests. Bei mehr als 1.800 nmDMD-Patienten mit Behandlungszeiten von bis zu fünf Jahren war das Sicherheitsprofil für Ataluren sehr günstig.
Zusätzlich gab eine weitere Studie über die Sicherheit, Pharmakokinetik und Wirksamkeit von Ataluren auf die proximale Muskelfunktion bei Kindern zwischen zwei und fünf Jahren auskunft. Es konnte gezeigt werden, dass das Sicherheits- und Verträglichkeitsprofil von Ataluren bei Patienten in dieser Altersklasse mit dem der Patienten über fünf Jahren vergleichbar ist. Die Ergebnisse zur Muskelfunktion unterstreichen einen zusätzlichen klinischen Nutzen von Ataluren bei Kindern im Alter von zwei bis fünf Jahren.
Lesen Sie nach – weitere Informationen und Quellen:
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