Forscher untersuchen synthetische Genschalter

Wir sind unseren Genen nicht hilflos ausgeliefert. Denn auf ihnen sitzen Schalter, die darüber entscheiden, ob ein Gen abgelesen wird oder nicht. Diese Schalter lassen sich maßgeblich von äußeren Faktoren wie Ernährung oder Stress beeinflussen. Wie sie funktionieren, steht derzeit im Fokus der Genforschung. „Nach heutigem Verständnis ist die Epigenetik eine Art Feintuning der genetischen Information, sozusagen der Beipackzettel zu den Genen“, sagt Dr. Dirk Schwarzer vom FMP.

Die Genschalter sind kleine chemische Gruppen, die auf den DNA-Molekülen oder deren Verpackungsproteinen, den Histonen, sitzen. FMP-Forscher um Dirk Schwarzer und Philipp Selenko haben mit hochauflösender NMRSpektroskopie verfolgt, wie diese Gruppen angelagert oder abgespalten werden. Das Besondere ihrer Methode: Sie können mehrere Genschalter gleichzeitig in Echtzeit beobachten und brauchen die Probe nicht zu zerstören. Im Mittelpunkt ihrer Untersuchungen standen die Histone, um welche sich die DNA wickelt wie um eine Spule. Histone haben eine Verlängerung, bestehend aus 10 bis 35 Aminosäuren, welche wie ein Schwanz aus dem Spule- DNA-Komplex herausragt. Auf diesen sogenannten „histon tails“ sitzen viele Genschalter. Forscher sprechen auch vom „histon code“, welcher maßgeblich für die Aktivität der aufgewickelten Gene verantwortlich ist.

Die Forscher wollten wissen, wie Enzyme arbeiten, die Acetylgruppen an die Lysinbausteine der histon tails knüpfen oder entfernen. Dieser Prozess spielt eine wichtige Rolle in der Genregulation, denn die Acetylierung von Lysinen in den tails kann darauf Einfluss nehmen, ob ein benachbartes Gen abgelesen wird oder nicht.

Sie haben dazu den histon tail H4 chemisch nachgebaut. Er besteht aus 25 Aminosäuren, fünf davon sind Lysine. Lysin hat zwei Aminogruppen – über eine ist es mit der Nachbar-Aminosäure verknüpft, die andere ist frei für chemische Reaktionen. Die Aminogruppen des Lysins waren teilweise mit einem Stickstoffisotop N15 versehen. Da nur diese Isotope NMR-aktiv sind, erhielten die Forscher nur Signale von Lysin. Wird dessen freie Aminogruppe nun acetyliert, wirkt sich das auch auf die Stickstoffatome in der Kette aus, ihre Signale verschieben sich etwas. Die Forscher fanden so zum Beispiel heraus, dass das Enzym HAT1 (Histon Acetyl Transferase1) zuerst das Lysin an Position 12 acetyliert und erst wenn dies vollständig acetyliert ist auch Lysin 5 verändert.

Die Chemiker haben auch den acetylierten H4-tail im Labor nachgebaut, um die umgekehrte Reaktion zu untersuchen – die Deacetylierung. Die dafür verantwortlichen Enzyme, die Histon-Deacetylasen (HDACs), spielen eine wichtige Rolle beim Abschalten von Genen. So werden Inhibitoren der HDACs in den USA bereits als Antikrebsmittel eingesetzt. Überraschend fanden die Forscher, dass viele der eingesetzten Enzyme an einem Lysin aktiv waren, das zuvor nicht als Acetylierungsstelle bekannt war. „Die Stelle ist eigentlich einer anderen Art von Modifikation vorbehalten“, sagt Schwarzer. Eine Erklärung für diese Beobachtung könnte darin liegen, dass die chemisch hergestellten histon tails nicht die exakten physiologischen Bedingungen widerspiegeln und dass dieses Lysin in dem Zellkern für HATs und HDACs unzugänglich ist. „Es sind jedoch häufig die unerwarteten Entdeckungen, die einen auf die Spur neuer Phänomene bringen. Insofern lohnt es sich, dieses Lysin noch einmal genauer zu betrachten“, so der Chemiker.

ACS Chem. Biol., DOI: 10.1021/cb1003866

Kontakt:
Silke Oßwald
Presse- und Öffentlichkeitsarbeit
Leibniz-Instituts für Molekulare Pharmakologie
Tel: 030-94793104, osswald@fmp-berlin.de

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