Forscher identifizieren Angst-Erinnerungen im Hypothalamus

Ein internationales, interdisziplinär besetztes Forscherteam hat nachgewiesen, dass Erinnerungen auch im Hypothalamus, einer evolutionär alten Hirnregion, abgebildet werden können. Bisher war man davon ausgegangen, dass Erinnerungen ausschließlich im Hippocampus entstehen und später im Cortex gespeichert werden. Die Arbeit kann als wichtige Grundlage angesehen werden, um neue Therapieansätze für Menschen mit allgemeinen Angstzuständen und insbesondere mit post-traumatischen Belastungsstörungen zu entwickeln. Veröffentlicht wurde die Forschungsstudie, an der auch Prof. Dr. Valery Grinevich, Leiter der Abteilung Neuropeptidforschung in der Psychiatrie am Zentralinstitut für Seelische Gesundheit (ZI) in Mannheim, beteiligt war, in der Fachzeitschrift Neuron.

Im Gehirn werden Erinnerungen durch selektiv aktivierte „Zell-Ensembles“ organisiert, sogenannte Engramme. Es handelt sich also um ganz bestimmte Konstellationen interagierender Zellen. Die Wissenschaftler zielten nun im Hypothalamus auf ganz bestimmte Zelltypen ab, nämlich auf Neuronen, die das Hormon Oxytocin produzieren. Oxytocin ist ein Botenstoff (Neuropeptid), der verschiedene emotionale Gehirnfunktionen, einschließlich der Angst, steuert. Das internationale Forscherteam entwickelte eine neuartige genetische Methode zur selektiven Markierung der Oxytocin-Neuronen, die während des Lernens, der Gedächtnisbildung und des Gedächtnisabrufes beteiligt sind. Mit Hilfe dieser Technik entdeckten sie, dass tatsächlich in den hypothalamischen Schaltkreisen des Gehirns kontextspezifische Engramme gebildet und erhalten werden können und dass die Störung dieser Engrammkreise die Angsterinnerungen drastisch beeinflusst.

Den Forschern ist es gelungen, genetische Schalter in die Zellen im Hypothalamus einzuschleusen, um die bei einem Angstempfinden aktivierten Oxytocin-Neuronen selektiv zu markieren. Diese markierten Zellen konnten in Versuchen mit Ratten dann durch die Stimulation mit Blaulicht (Optogenetik) aktiviert oder durch Zugabe einer synthetischen Chemikalie (Chemogenetik) stummgeschaltet werden. Als die Forscher diese markierten Zellen aktivierten, bewegten sich die Tiere, die gelernt hatten, sich in einer gefährlichen Umgebung nicht zu bewegen. Sobald das blaue Licht wieder ausgeschaltet wurde, kehrte die Angst zurück und die Tiere verharrten wieder regunglos. „Auf diese Weise konnten wir zeigen, dass die markierten Zellen das Wissen über die Angst enthalten“, sagt ZI-Forscher Prof. Dr. Valery Grinevich. Die Forscher führten zudem das umgekehrte Experiment durch Stummschalten der Engramm-Oxytocin-Neuronen durch. Sie fanden heraus, dass derselbe Schaltkreis auch erforderlich ist, um die Angstgedächtnisse wieder zu löschen. Bemerkenswerterweise erfahren diese Zellen eine enorme Formbarkeit (Plastizität), indem sie von einer langsamen Übertragung, die durch das Neuropeptid Oxytocin vermittelt wird, zu einer schnellen Reaktion durch die schnell aktivierende Glutamatübertragung wechseln.

Diese Entdeckung kann als sehr vielversprechend gelten und ermöglicht neue Studien, um die Engramme des Gedächtnisses in den verschiedenen Hirnregionen zu untersuchen, sowohl in den unteren als auch in den höheren Hirnstrukturen. Durch das Verständnis der anatomischen und funktionellen Angstschaltungen sollte es möglich sein, innovative Strategien zur Behandlung von psychischen Erkrankungen des Menschen zu entwickeln. Ein pathologisches Angstgedächtnis liegt zum Beispiel bei allgemeinen Angstzuständen und insbesondere bei posttraumatischen Belastungsstörungen vor.

Originalpublikation:
“A Fear Memory Engram and Its Plasticity in the Hypothalamic Oxytocin System”, Neuron. 2019, doi:10.1016/j.neuron.2019.04.029.

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