Frühgeburten, Fehlgeburten, Neuralrohrdefekte und Herzfehler haben verschiedene Ursachen. Zum einen können es genetische Gründe sein, zum anderen steht im gemeinsamen Fokus der aufgefühten Indikationen eine mangelhafte Ernährung mit einer deutlichen Folatunterversorgung. Auf dem 25. Deutschen Kongress für Perinatale Medizin in Berlin wurden Möglichkeiten zur Vorsorge durch Substitution mit Folsäure diskutiert.
Bedarf an Folsäure bei Schwangeren im Durchschnitt 600 µg pro Tag
Die Möglichkeiten, embryonale Fehlbildungen präventiv zu verhindern, sind sehr begrenzt. Allgemein sollten Frauen mit Kinderwunsch auf eine gesunde Lebensweise und Ernährung achten. Eine bedeutende Rolle gegen Neuralrohrdefekte (NRD) spielt die optimale Versorgung mit Folsäure bzw. Folat. Der Bedarf an Folsäure liegt bei Schwangeren im Durchschnitt bei 600 µg (Mikrogramm) pro Tag. Erreicht werden aber im allgemeinen nur 250 µg. Selbst bei einer Steigerung der Vitaminzufuhr durch Gemüse und Obst um das Fünffache zu Beginn einer Schwangerschaft, kann der benötigte Blutspiegel nach den Erfahrungen von Prof. Klaus Pietrzik, Institut für Ernährungs- und Lebensmittelwissenschaften und Pathophysiologie der Ernährung, Universität Bonn, aber nicht in kurzer Zeit aufgebaut werden. Daraus resultiert, dass häufig selbst bei Frauen mit dem Willen zu einem ausreichenden Folatspiegel die Anpassung der benötigten Tages-Folatmenge zumeist erst mit Beginn der Schwangerschaft und damit zu spät erfolgt.
Folatreiche Ernährung plus Supplement mit Folsäure/Methylfolat empfohlen
Was führende Experten raten, hat die neue Broschüre des Netzwerks „Gesund ins Leben – Netzwerk Junge Familie“ (herausgegeben vom aid) zusammengefasst (7): „Frauen, die eine Schwangerschaft planen, sollten zusätzlich zu einer folatreichen Ernährung ein Supplement mit Folsäure/Methylfolat (mindestens 400 µg/Tag) einnehmen.“ Um jedoch einen präventiv wirksamen Erythrozyten-Folatspiegel zu erreichen, wäre eine zwei- bis dreimonatige Substitution erforderlich. Es sei denn, man würde die Tagesdosis auf 800 µg anheben, dann ließe sich bereits im Durchschnitt innerhalb von vier Wochen dieser präventive Spiegel erreichen. Die Kombination aus Folsäure und Methylfolat bietet nur Femibion®, in dem das Methylfolat als Metafolin neben der Folsäure enthalten ist. Die Einnahme wird ab Kinderwunsch bis zum Ende der Stillzeit empfohlen.
In der Praxis beginnt die Supplementation oft zu spät. So haben z. B. nur 33,7 Prozent aller Mütter in einer 2011 veröffentlichten Untersuchung im Raum München schon mindestens vier Wochen vor der Schwangerschaft Folsäure eingenommen (6). Die optimale Folatversorgung spiele eine entscheidende Rolle für den frühen Schluss des Neuralrohres zwischen dem 22. und 28. Tag nach Konzeption, erklärte Prof. Dr. Wolfgang Henrich, Berlin.
Prävention von Schwangerschaftskomplikationen mit Folat ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel
Ab dem zweiten Schwangerschaftsdrittel rückt die Prävention von Schwangerschaftskomplikationen wie Abruptio placentae und Aborten in den Fokus. Folatmangel, erhöhte Homocysteinspiegel und der häufige Enzympolymorphismus im Folatstoffwechsel gelten als Risikofaktoren. Aber nicht nur für Schwangere, sondern auch für stillende Mütter ist eine adäquate Folatversorgung wichtig. Denn der Säugling benötigt über die Muttermilch genügend Folat für eine optimale Zellvermehrung und sein Wachstum.
Zusätzlich sollte während der Schwangerschaft und Stillzeit auf die Zufuhr der Omega-3 Fettsäure Docosahexaensäure (DHA) geachtet werden. DHA wird ab der 2. Schwangerschaftshälfte sowie in den ersten Monaten nach der Geburt in der kindlichen Netzhaut und im Gehirn vermehrt angereichert. Die Aufnahme von DHA durch die Mutter trägt zur normalen Entwicklung des Gehirns und der Augen beim Fötus und beim gestillten Säugling bei*. Deshalb empfiehlt die Deutsche Gesellschaft für Ernährung Schwangeren und Stillenden, mindestens 200 mg DHA pro Tag aufzunehmen. „Femibion Schwangerschaft 2“ bietet Frauen ab der 13. Schwangerschaftswoche und in der Stillzeit 400 µg Folat (200 µg Folsäure kombiniert mit der entsprechenden Menge an Metafolin), weitere wichtige Vitamine, 150 µg Jod sowie 200 mg DHA.
Folsäure ist nicht gleich Folat
„Folsäure ist nicht gleich Folat“, darauf wies Prof. Pietrzik hin. Während Folsäure die natürliche Form des Vitamins ist, das in Lebensmitteln und im menschlichen Organismus vorkommt, ist die Folsäure die synthetische Form des Vitamins Folat. Sie erlaubt uns, bei Mangel an Folsäure die Ergänzung der Ernährung, um in angemessener Zeit einen ausreichenden Wirkstoffspiegel im Blut und damit in den Zellen, aufzubauen.
Prof. Dr. Klaus Pietrzik: „Folsäure besitzt keine Vitaminfunktion, wird aber nach Aufnahme in den Körper enzymatisch (u.a. mittels MTHFR = Methylentetrahydrofolat-Reduktase) in die quantitativ wichtigste Folatform 5-MTHF (5-Methyltetrahydrofolat) überführt.“ Bei Frauen mit einem Enzympolymorphismus geschehe dies aber nicht optimal. Neue Publikationen von 2011 haben den Vorteil der Supplementation mit der bereits bioaktiven Folatform 5-MTHF (Metafolin®) aufgegriffen (3-5). „5-MTHF in Form von Metafolin ist zunächst enzymunabhängig bei allen Frauen direkt wirksam“, so Pietrzik. Auch habe 5-MTHF eine bessere Bioverfügbarkeit und führe zu einem signifikant höheren Erythrozyten-Folatspiegel als Folsäure.
Supplementation: Mit 800 µg Folsäure/Folat beginnen
Die Veröffentlichungen von Czeizel (3,4) und Berti (5) haben sich auch mit der Frage befasst, wie hoch die optimale Tagesdosis zum Start der Supplementation ab Kinderwunsch sein sollte. Als präventiv wirksam gilt ein Erythrozyten-Folatspiegel von >906 nmol/L zu Beginn der Schwangerschaft, der mit einer Tagesdosis von 800 µg bereits im Durchschnitt innerhalb von 4 Wochen erreicht werden kann. Im weiteren Schwangerschaftsverlauf sei eine ausreichende Folatversorgung wichtig, um Plazentaablösungen (8) Fehl- und Frühgeburten (9) sowie einem niedrigen Geburtsgewicht (10) vorzubeugen.
Enzympolymorphismus und Folatkonzentration
Crider et al. bestätigen in einer Studie (1) den Einfluss des Enzympolymorphismus auf die Erythrozyten-Folatkonzentration: Unabhängig von der jeweils über sechs Monate eingenommenen Menge an Folsäure (100, 400 oder 4.000 µg/Tag bzw. 4.000 µg/Woche) weisen homozygote und heterozygote Merkmalsträger stets eine niedrigere Erythrozyten-Folatkonzentration auf als Frauen ohne eingeschränkte Enzymaktivität. Selbst bei einer sehr hohen Folsäure-Gabe von 4 mg/Tag änderte sich an diesem Trend nichts. Eine frühere Studie von Prinz-Langenohl hatte gezeigt, dass durch die Gabe von 5-MTHF unabhängig vom Enzympolymorphismus bei allen Frauen die Plasmafolatspiegel signifikant schneller anstiegen und durchgängig auf einem höheren Niveau blieben als mit Folsäure. (11)
weitere Informationen
Literatur
- Crider et al., Am J Clin Nutr (2011), 93: 1365-72
- 25. Deutscher Kongress für Perinatale Medizin: Lunch-Symposium „Primäre Prävention mit Folat und Fortschritte in der embryonalen Diagnostik – immer früher, immer besser?“, unterstützt von Merck Selbstmedikation, 1. Dezember 2011, Berlin
- Czeizel AE et al.: Ann Nutr Metab 2011;58:263-271
- Czeizel AE et al.: Curr Opin Clin Nutr Metab Care 2011;14:291-296
- Berti C et al.: Clinical Nutrition 2011; doi:10.1016/j.clnu.2011.08.004
- Becker S, Schmid D: Ernährungs Umschau 58 (2011) S. 36–41
- Broschüre „Ernährung in der Schwangerschaft“, aid infodienst Ernährung, Landwirtschaft, Verbraucherschutz e.V. (Hrsg.); im Auftrag des bundesweiten Netzwerks „Gesund ins Leben – Netzwerk Junge Familie. 3389/2011
- Van der Molen EF et al.; Am J Obstet Gynecol 2000; 182 (5): 1258-63
- Bukowski R et al.: PLOS Medicine 2009; 6: 1-11
- Timmermans S et al.: Br J Nutr 2009; 102: 777-785
- Prinz-Langenohl R et al.: Br J Pharmacol 2009; 158: 2014-21
Quelle
Satellitensymposium
Anlass: 25. Deutschen Kongresses für Perinatale Medizin 2011
Berlin, 01.12.2011
Thema:
Primäre Prävention mit Folat und Fortschritte in der embryonalen
Diagnostik – immer früher, immer besser? Interaktives Seminar mit Live-Sonographie
Veranstalter: Merck Selbstmedikation
Vorsitz: Prof. Dr. med. Wolfgang Henrich, Berlin
- Die Bedeutung der Folatversorgung ab Kinderwunsch bis zum Ende der Stillzeit
Prof. Dr. med. vet. Klaus Pietrzik, Bonn - Innovationen in der pränatalen Diagnostik – Live-Sonographie
Prof. Dr. med. Wolfgang Henrich, Berlin