Rheuma: Laut einer Allenbachumfrage sind in Deutschland 42 Prozent der Bevölkerung (35 Millionen) von einem Schlafdefizit betroffen (2003). 15 Prozent von ihnen leiden an behandlungsbedürftigen Schlafstörungen. Inzwischen ist bekannt: Wer zu wenig schläft, ist gereizter und unaufmerksamer. Leistungsfähigkeit, Reaktionsgeschwin- digkeit, Konzentration und Merkfähigkeit sinken. Bereits 2006 wurde von Professor Perlis, Rochester, eine Untersuchung an 147 Probanden veröffentlicht, die zeigte, dass durch mangelnden Schlaf das Risiko für die Entwicklung von Depressionen aber auch Herzerkrankungen ansteigt. Dauerhafte Schlafstörungen bewirken Veränderungen im Stoffwechsel- und Hormonsystem, insbesondere werden eine Glucosetoleranz sowie zunehmende Kortison-, Ghrelin- und abnehmende Leptinspiegel beobachtet, die zu ansteigendem Hungergefühl und Appetit führen (Leproult 2010).
Schlafdefizite beeinflussen das Immunsystem
In einer Untersuchung an 1.488 Patienten mit rheumatischen Erkrankungen war auf einer visuellen Analogskala das Symptom Müdigkeit (Fatigue) zwischen 88 und 98 Prozent vertreten. 41 Prozent der Patienten mit rheumatoider Arthritis oder Osteoarthritis und 76 Prozent der Fibromyalgie-Patienten beschrieben ein klinisch bedeutsames Level (≥ 2.0) (Wolfe 2004). Einige Studien zeigen einen Zusammen- hang von Schlafstörungen mit chronischen Erkrankungen und ansteigender Mortalität.
Das Spektrum der Krankheitsbilder reicht von Diabetes, Herz-Kreislauferkrankungen, Adipositas, bestimmten Krebsarten und Funktionsstörungen bis zu Arthritiden. Die Koexistenz von Schlafstörungen, Schmerzen und Entzündungen ist schon sehr lange bekannt. Ihr grundlegender Zusammenhang wurde zwar bisher wenig untersucht. Dennoch konnte an gesunden Probanden gezeigt werden, dass eine unzureichende Schlafmenge Schmerzen fördern und verstärken kann, was mit einer Erhöhung des Interleukin-6-Levels einhergeht (Haack 2007). Aufgrund des mangelnden Schlafes werden offenbar zelluläre Signale aktiviert, durch die wiederum entzündungsfördernde Botenstoffe (Zytokine) produziert werden. An diesen Prozessen sind Interleukin-6 (IL-6) sowie der Tumornekrosefaktor alpha (TNFα) vermutlich als Schlüsselmediatoren beteiligt. Denn nach einer schlaflosen Nacht sind IL-6 und TNFα deutlich erhöht und beeinflussen das Immunsystem (Irwin 2006). Des Weiteren wurde nachgewiesen, dass das verstärkte Auftreten spontaner Schmerzen nach Schlafdefiziten, zum Beispiel Kopf- oder Muskelschmerzen, mit der Erhöhung von Prostaglandinmediatoren (PG), insbesondere PGE2, einhergeht (Haack 2009).
Rheumatoide Arthritis: Die Müdigkeit bleibt
Die rheumatoide Arthritis (RA) ist eine systemische, chronisch-entzündliche Erkrankung, die etwa 350.000 bis 550.000 Erwachsene in Deutschland betrifft. Primär sind Gelenke beeinträchtigt, aber auch innere Organe können beeinflusst werden. Neben einer typischen Morgensteifigkeit und Gelenkschmerzen geben die Patienten sehr häufig Müdigkeit als Symptom an, welches das allgemeine physische Befinden und die Lebensqualität deutlich reduziert. In den letzten Jahren wird daher zunehmend die Fatigue-Symptomatik als neues Outcome-Kriterium – beispielsweise in der Untersuchung der Wirksamkeit von Medikamenten – diskutiert und evaluiert. Interessanterweise zeigte eine Analyse der klinischen Veränderungen über sechs Monate bei 21.016 RA-Patienten, dass die Fatigue-Symptomatik unabhängig vom erreichten Gesundheitszustand ist. Im Gegensatz dazu ließen die Symptome Schmerz und Funktionsverlust mit dem erreichten Gesundheitszustand nach (Wolfe 2004).
Dieses Ergebnis verdeutlicht, dass die Müdigkeit bei RA-Patienten anhält, auch wenn die Erkrankung gut behandelt ist. Sollte die Müdigkeit also nicht von der Krankheitsaktivität abhängig sein, so nehmen scheinbar andere Faktoren Einfluss auf dieses Symptom bei RA-Betroffenen. Eine Klärung der grundlegenden Ursachen für Schlafstörungen und damit verbundener Müdigkeit könnte zukünftig neue therapeutische Herangehensweisen ermöglichen und helfen, das multifaktoriell bedingte Krankheitsbild der RA besser zu verstehen.
Hormone – ein Eldorado für Müdigkeitsforscher
Neben dem Zusammenhang des Fatigue-Symptoms mit entzündungsfördernden Zytokinen (IL 6 und TNFα, s.o.) scheint auch eine Beziehung zum Hormonhaushalt in der Hypothalamus-Hypophysen-Nebennierenachse zu bestehen. Er kann nachweis- lich durch erniedrigte Hormonlevel von Thyroxin, Cortisol und Dehydroepiandrosteron beeinträchtigt werden (Bijlsma 2005). Diese Vermutung stützt sich auf eine Unter- suchung an Fibromyalgie-Patientinnen, die keine signifikanten Unterschiede der Sexualhormone Prolaktin oder Progesteron, aber deutlich niedrigere Cortisolspiegel im Vergleich mit Gesunden aufwiesen. Die geringen Cortisolspiegel gingen einher mit einem häufigen Auftreten von Depressionen, Müdigkeit und Schlafstörungen (Gur 2004). Da rheumatische Erkrankungen häufig von einer sekundären Fibromyalgie- Symptomatik begleitet werden, sind diese Erkenntnisse ein Schwerpunkt für die weitere Erforschung des Müdigkeits-Symptoms bei RA-Patienten.
Das Schlaf-Wach-Verhalten reagiert außerdem sehr empfindlich auf bakterielle Endotoxine (Zerfallsprodukte von Bakterien), die infolge von bakteriellen Entzündungen gebildet werden. Je nach Immunität entwickeln die Betroffenen Fieber und eine Aktivierung des Hormon- und Nervensystem (neuroendokrine Aktivierung). In einem Experiment wurde eine Unterbrechung der Schlafkontinuität beobachtet, wenn Endotoxine injiziert und durch Fieber sowie eine neuroendokrine Aktivierung begleitet werden. Umgekehrt ist der meist traumlose Tiefschlafanteil wieder erhöht, wenn die Produktion entzündungsfördernder Zytokine durch geringere Endotoxinmengen nur leicht erhöht ist und weder Fieber noch eine neuroendokrine Aktivität auftreten. Die biologischen Änderungen im TNFα-System werden als Hauptursache vermutet (Schuld 2005).
Forscherteam untersucht, wie TNFα den Schlaf beeinflusst
Inzwischen haben Schlafforscher viele Botenstoffe und Hormone identifiziert, die den Schlaf-Wach-Rhythmus regulieren. Auch Gene werden zunehmend betrachtet. So gelang kürzlich die Entdeckung eines „Kurzschlafgenes“ (DEC2), das mit der sogenannten inneren Uhr zu tun hat und bewirkt, dass die Betroffenen nach wenigen Stunden Schlaf erholt sind. Dennoch gibt es zahlreiche offene Fragen, die bis heute ungeklärt sind. Mitglieder einer interdisziplinären Arbeitsgruppe – Professor F. Buttgereit und Dr. J. Detert von der Rheumatologie und Privat-Dozent Dr. I. Fietze von der Somnologie der Charité Berlin Mitte sowie Professor R. Straub von der Neuroendokrinoimmunologie der Universität Regensburg – untersuchen derzeit in einer klinischen Studie den Einfluss von TNFα auf Müdigkeit und Schlaf. Diese Untersuchung wird laborexperimentell ausführlich begleitet. Es zeigt sich bereits jetzt, dass die interdisziplinäre Betrachtung der RA-Erkrankung in all ihren unterschiedlichen Facetten künftig weiter Schwerpunkt der Forschungsaktivitäten sein sollte, um damit eine optimale individuelle therapeutische Herangehensweise für die Patienten zu erzielen. Insbesondere rücken Möglichkeiten für Patienten, durch Handlungsstrategien selbst Einfluss auf ihren Gesundheitszustand zu nehmen, immer mehr in den Vordergrund des Behandlungsplanes. (Jacqueline Detert und Frank Buttgereit DGRh / Newsletter QI 2010 05/2010)
Dr. med. Jacqueline Detert
Charité Universitätsmedizin
Centrum 12 für Innere Medizin und Dermatologie
Klinik mit Schwerpunkt Rheumatologie und klinische Immunologie
Berlin Mitte
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