Durch Umwelteinflüsse, wie UV-Licht oder Tabakrauch, aber auch durch ganz gewöhnliche Stoffwechsel-Nebenprodukte entstehen tagtäglich etwa zehntausend Schäden an der Erbsubstanz – und zwar in jeder einzelnen Zelle des menschlichen Körpers. Glücklicherweise sind früh in der Evolutionsgeschichte zelleigene Reparatursysteme, wie die Nukleotid- Exzisionsreparatur (NER), entstanden, die Schäden entfernt, die beispielsweise die Doppelhelixstruktur der DNA verändern.
„Wenn solche Reparatursysteme jedoch durch bestimmte angeborene Gendefekte von Anfang an nicht richtig funktionieren, steigt nicht nur das Krebsrisiko der betroffenen Personen erheblich an,“ erläutert die renommierte Kinderendokrinologin Professor Dr. Annette Grüters-Kieslich, Vorstandsvorsitzende der Eva Luise und Horst Köhler Stiftung für Menschen mit Seltenen Erkrankungen und ergänzt: „Die Auswirkungen dieser bisher kaum erforschten Krankheitsbilder – wie Xeroderma pigmentosum (XP) oder das Cockayne Syndrom (CS) – sind für die zumeist sehr jungen Patienten in vielerlei Hinsicht absolut dramatisch.“
*Die betroffenen Kinder altern wie im Zeitraffer und sterben früh*
So reagiert die Haut der „Mondscheinkinder“ – wie XP-Betroffene früher häufig genannt wurden, weil sie ein Leben lang jegliche UV-Strahlung vermeiden müssen – tausendfach empfindlicher auf UV-Strahlung als die von gesunden Menschen. Ohne konsequenten Schutz entwickeln die Betroffenen oft schon nach kurzer Sonnenbestrahlung schwerste Verbrennungen und in den ersten Lebensjahren Hautkrebs.
Eine nur geringfügig andere Mutation in einem weiteren Gen, das Schäden in der DNA behebt, verursacht das ebenfalls sehr seltene Cockayne Syndrom (CS). Dieses lässt die betroffenen Kinder wie im Zeitraffer altern: Schon in den ersten Lebensjahren leiden die „jungen Greise“ an typischen Altersbeschwerden, wie Arterienverkalkung und einem rapide nachlassendem Hör- und Sehvermögen. Die Patienten bleiben kleinwüchsig und versterben noch bevor sie das Teenageralter erreichen, weil es derzeit keine Therapie gibt, die über die Behandlung der Begleitsymptome hinausgeht.
„Um die dramatischen Auswirkungen unserer fragilen DNA abzumildern, sind bereits früh in der Evolutionsgeschichte Reparatursysteme entstanden,“ so Professor Björn Schumacher. Daher habe die Untersuchung von Genen, die bei CS und XP angeborene Fehler haben, seiner Arbeitsgruppe schon viel Aufschluss über solche grundlegenden Funktionsweisen in der Zelle gebracht, erklärt der Preisträger: „Seltene Erkrankungen gewähren uns Einblicke in das Geheimnis des menschlichen Alterns.“
*Die Auswirkungen des Gendefekts stellen die Forscher im Fadenwurm-Modell nach*
Um die NER-Krankheitsmechanismen in vivo untersuchen zu können, entwickelte die Arbeitsgruppe von Professor Schumacher als Modellorganismus einen Fadenwurm (C. elegans), der die gleiche genetische Mutation trägt, die beim Menschen CS bedingt. Ein solch einfaches Tiermodell – schließlich hat ein 70 Kg schwerer Mensch etwa 30 Milliarden mal mehr Körperzellen als ein Fadenwurm – ist für die Erforschung insbesondere von hochkomplexen Krankheitsbildern von unschätzbarem Wert.
Am Modellorganismus zeigte sich, dass die Fehlfunktion des NER-Reparaturmechanismus nicht etwa zu Mutationen, die von Zellteilung zu Zellteilung weitergegeben werden, führen. Vielmehr behindern die in der Erbsubstanz verbleibenden Schäden das Ablesen von Genen, einem für die Zellfunktion essenziellen Prozess. Die Zelle reagiert auf die verbleibenden DNA- Schäden mit einer hochkomplexen Ereigniskaskade auf molekularer Ebene, an deren Ende sie ihre Aktivität einstellt und stirbt. Der Körper kann sich nicht entwickeln, Gewebe und Organe verlieren ihre Funktionsfähigkeit. „Anhand unseres Fadenwurm-Modells konnten wir zeigen, dass diese Schadensantwortmechanismen über bestimmte Signalwege laufen, die beispielsweise von insulinähnlichen Wachstumsfaktoren (engl. Insulin-like growth factors, IGF) gesteuert werden. Sie sind von zentraler Bedeutung für das Altern – egal, ob vorzeitig bei CS oder graduell im Verlauf des normalen Alterungsprozesses. Im Rahmen unseres von der Eva Luise und Horst Köhler Stiftung geförderten Projekts wollen wir uns nun genauer damit befassen, wie wir therapeutisch auf die Signalkette einwirken können,“ zeigt sich Björn Schumacher zuversichtlich. Denn im Unterschied zu den hochkomplexen Mechanismen der Nukleotid-Exzisionsreparatur (NER) seien die Signalwege durch bestimmte Arznei-Wirkstoffe therapeutisch angreifbar, erklärt der Preisträger. So konnten Wissenschaftler seiner Arbeitsgruppe am CECAD selbst bei Fadenwurm-Mutanten, denen die NER- Reparaturmechanismen vollkommen fehlten, die Gewebsfunktion wiederherstellen und das Altern verzögern.
*Erste therapeutische Ansätze*
Die Identifizierung dieser Schadensantwortmechanismen eröffne neue Perspektiven für die pharmakologische Behandlung progeroider Erbkrankheiten, für die derzeit keine Therapeutika zur Verfügung stehen, hofft der Preisträger: „Unsere Forschung könnte eine Grundlage realistischer und zukünftig umsetzbarer Therapien werden.“
Der Eva Luise Köhler Forschungspreis für Seltene Erkrankungen wird in Zusammenarbeit mit der Allianz Chronischer Seltener Erkrankungen (ACHSE) e. V. zum zwölften Mal vergeben.
*Der Preisträger*
Professor Dr. Björn Schumacher hat Biologie an der Universität Konstanz und der Stony Brook University in New York studiert und am Max-Planck-Institut für Biochemie in Martinsried bei München promoviert.
Der Molekularbiologe gilt als einer der profiliertesten Alternsforscher weltweit. Seine Arbeitsgruppe am CECAD Exzellenzcluster für Alternsforschung der Universität zu Köln beschäftigt sich insbesondere mit der Nukleotid-Exzisionsreparatur (NER), einem Mechanismus, der für das Erkennen und Reparieren von Schäden in der Erbinformation zuständig ist. CECAD wird seit Januar 2019 in der dritten Förderperiode der Exzellenzstrategie von Bund und Ländern gefördert und beschäftigt sich mit den Grundlagen verschiedener Alternserkrankungen.
wissenschaftliche Ansprechpartner:
Univ.-Prof. Dr. Björn Schumacher
CECAD Research Center / CECAD Forschungszentrum
Joseph-Stelzmann-Str.26
D-50931 Cologne
bjoern.schumacher@uni-koeln.de