Der Auftrag war bundesweit ausgeschrieben: Das bayerische Landeskriminalamt war auf der Suche nach einem forensischen Labor, das in den nächsten drei Jahren DNA-Spuren aus Unterfranken auswerten sollte. Die Einnahmen daraus können – je nach Anzahl der zu untersuchenden Spuren – mehrere hunderttausend Euro betragen. Den Zuschlag erhielt vor wenigen Tagen das Institut für Rechtsmedizin der Uni Würzburg.
„Das ist für uns ein großer Erfolg“, sagt Michael Bohnert, der neue Leiter des Instituts. Das Geld könne die Rechtsmedizin gut gebrauchen: Schließlich müssen Mitarbeiter bezahlt, neue Geräte angeschafft und ein größerer Umbau zumindest teilweise aus eigener Tasche finanziert werden. Bohnerts Ziel ist es, hier in Würzburg ein „kleines, aber feines Institut zu etablieren“.
Wie ein Rechtsmediziner arbeitet
Spuren am Tatort sichern und das Erbgut analysieren: So sieht die Arbeit aus, die die Rechtsmediziner im Auftrag des Landeskriminalamts erledigen. Zu rund 1000 Fälle pro Jahr werden sie dafür hinzugezogen; die Zahl der Spuren, die sie dort sichern, schwankt stark. Mal ist es nur eine, mal sind es mehr als 100. Dabei handelt es sich in der Regel um Blut oder Speichel, vom Täter ungewollt hinterlassen. Oder um „Abrieb von Oberfläche“, wie es in der Fachsprache heißt. Also beispielsweise Hautzellen am Griff eines Messers oder – umgekehrt – Spuren des Messergriffs an der Hand des vermutlichen Täters.
Nicht immer ist ein Mord oder eine Vergewaltigung geschehen, wenn der Rechtsmediziner gerufen wird. In den meisten Fällen handelt es sich um Eigentumsdelikte – sprich: Einbrüche, Diebstahl – oder um Körperverletzungen. „Unser Job ist es dann, nachzuweisen, ob ein Tatverdächtiger tatsächlich am Ort des Geschehens gewesen ist und seine Spuren am Tatwerkzeug hinterlassen hat“, beschreibt Bohnert seine Arbeit.
Eine entgegengesetzte Denkweise
Was bewegt einen Menschen dazu, sich für die Rechtsmedizin zu entscheiden? Vorbilder wie Professor Karl-Friedrich Boerne, Rechtsmediziner im Tatort aus Münster, oder David Hunter, forensischer Anthropologen in den Bestseller-Romanen von Simon Beckett, waren in Bohnerts Fall jedenfalls nicht dafür verantwortlich. „Ich lese keine Krimis und schaue mir auch keine an“, sagt er. Mit dieser Art der „Glorifizierung von Gewalt“ könne er nichts anfangen. Anstelle des x-ten Serienmörders, der so in der Realität eh nicht existiere, interessiere ihn viel mehr das Schicksal der Opfer.
Michael Bohnert hat sich gegen Ende seines Studiums für die Rechtsmedizin entschieden: „Mich hat die ganz andere Art zu denken fasziniert“, sagt er. Während der klinisch-therapeutisch arbeitende Mediziner eine Diagnose stellt und dann nach vorne denkt, schlage der Rechtsmediziner genau die entgegengesetzte Richtung ein: „Wir stellen eine Diagnose und überlegen, wie ist es dazu gekommen.“ Zusätzlich habe ihn der kriminalistische Aspekt dieser Arbeit gereizt.
„Sachliche Gutachtermedizin“: So beschreibt Bohnert die Tätigkeit als Rechtsmediziner. Emotionen seien dabei nicht nur fehl am Platz, „Emotionen sind der größte Fehler!“ Denn Gefühle am Seziertisch vernebeln nach Bohnerst Ansicht den Blick und sorgen so unter Umständen dafür, dass ein möglicherweise entscheidendes Details unbeachtet bleibt.
Michael Bohnerts Forschungsschwerpunkte
Um solche entscheidenden Details geht es auch in Bohnerts Forschung. Hautveränderungen sind ein Bereich darunter. „In der Rechtsmedizin geht es häufig um die Frage, wie alt ein Hämatom ist“, sagt er – eine Frage, die auch beim Kachelmann-Prozess eine Rolle gespielt hat. Bohnert arbeitet an einer Methode, die es möglich macht, anhand der Spektralanalyse solcher blauer Flecken eine Aussage über das Alter der Flecken zu treffen. Die gleiche Technik könnte dabei helfen, den Todeszeitpunkt eines Menschen zu bestimmen, der schon länger als 48 Stunden tot ist. „Auch hier zeigen sich charakteristische Veränderungen in der Optik der Haut“, so der Rechtsmediziner. Die Deutsche Forschungsgemeinschaft finanziert das Projekt.
Auch für Brandopfer interessiert sich Bohnert stark; auf diesem Gebiet gilt er als führender Experte in Deutschland. Woran stirbt ein Mensch im Feuer? Wie lässt sich der Todeszeitpunkt möglichst exakt ermitteln? War er möglicherweise schon vor dem Brand tot? Mit welcher Dynamik ist der Brand abgelaufen? Solche und weitere Fragen will der Rechtsmediziner anhand charakteristischer Spuren der Opfer beantworten. Sein Fachwissen auf diesem Gebiet ist dafür verantwortlich, dass er momentan häufig nach Magdeburg reisen muss. Dort wird der Fall eines Asylbewerbers verhandelt, der 2005 in einer Dessauer Polizeizelle an den heißen Rauchgasen einer brennenden Matratze gestorben ist.
Dankbare Patienten, geheilte Patienten: Damit kann die Rechtsmedizin nicht dienen. Dennoch gibt es auch in dieser Disziplin Momente der Befriedigung. Nicht, wenn es gelungen ist, einen Täter zu überführen und hinter Gitter zu schicken – „das befriedigt mich nicht“, sagt Bohnert. Was ihn zufrieden stellt? „Wenn wir mit unserer Arbeit die Ermittlungen in die richtige Richtung schicken.“ Oder: „Wenn ich jemandem zum Freispruch verhelfen kann, der definitiv unschuldig war.“ Dann ist der fälschlicherweise Angeklagte glücklich und Michael Bohnert zufrieden.
Michael Bohnerts Lebenslauf
Michael Bohnert wurde 1963 im Kreis Rastatt (Baden-Württemberg) geboren. Von 1985 bis 1992 studierte er Medizin an der Universität Freiburg. Nach Stationen in Konstanz und Bern wechselte er an das Institut für Rechtsmedizin der Universität Freiburg.
Im Jahr 2001 habilitierte er sich mit einer Arbeit über die Bedeutung und Anwendungsmöglichkeiten optischer Verfahren in der Rechtsmedizin. Seit dem 1. Mai 2011 ist er Universitätsprofessor für Gerichtliche und Soziale Medizin an der Universität Würzburg und Vorstand des Instituts für Rechtsmedizin.
Kontakt
Prof. Dr. Michael Bohnert, T: (0931) 201-47020, E-Mail: michael.bohnert@uni-wuerzburg.de