Erfolge und Herausforderungen der Leukämiebehandlung mit CAR-T-Zellen – wo stehen wir heute?

Für viele Jahrzehnte bestand die Krebstherapie im Wesentlichen aus Chirurgie, Chemo- und Strahlentherapie sowie Blutstammzelltransplantation. Eine der neuen und sehr vielversprechenden Therapiekonzepte ist die zielgerichtete Stimulation des Immunsystems der Krebspatienten, die das Immunsystem in die Lage versetzt, die Tumorzellen zu erkennen und abzutöten.

Bei dieser sogenannten adoptiven Immuntherapie werden dem Patienten bestimmte Immunzellen (T-Zellen) entnommen und genetisch verändert, sodass sie einen krebszellspezifischen Antigenrezeptor auf ihrer Oberfläche bilden. Diese CAR-T-Zellen werden dem Patienten danach wieder rückinfundiert. Durch Erkennung eines spezifischen Oberflächenantigens auf den Krebszellen werden die CAR-T-Zellen zur Vermehrung angeregt und töten die Krebszellen ab.

Bei CAR-T-Zellen handelt es sich um sehr komplexe Arzneimittel, die körpereigene Zellen enthalten, die sich im Körper vermehren und dort über
längere Zeiträume – bis zu mehreren Jahren – persistieren können. Entsprechend groß sind die Herausforderungen bei der Translation dieser neuen Therapien von der präklinischen Entwicklung zur Anwendung beim Menschen für die pharmazeutische Industrie, akademische Institute als auch für die regulatorischen Behörden.

Experten des Paul-Ehrlich-Instituts um Prof. Christian Buchholz, Projektleiter im Horizon2020-geförderten EU-Forschungsverbund „CARAT“, haben mit Unterstützung durch das CARAT-Konsortium alle verfügbaren Daten bereits abgeschlossener und noch laufender klinischer Prüfungen von CAR-T-Zell-Arzneimitteln weltweit analysiert. Ziel der Untersuchung war es u.a., die wesentlichen Hürden der klinischen Entwicklung dieser neuen Wirkstoffgruppe zu identifizieren. Auf Basis der Analyse haben die Wissenschaftler Vorschläge entwickelt, wie die Translation – der Weg von der Forschung zur klinischen Anwendung – der CAR-T-Zellen insbesondere in Europa beschleunigt werden könnte.

Die erste CAR-T-Zell-Studie war vor rund 20 Jahren initiiert worden, frühe klinische Studien zeigten damals wenig therapeutischen Nutzen. Nach einem Entwicklungssprung mit klaren Wirksamkeitshinweisen waren Ende 2016 220 klinische Prüfungen mit CAR-T-Zellen zur Behandlung maligner hämatologischer (das blutbildende System betreffende) Erkrankungen als auch solider Tumoren dokumentiert, von denen 188 noch nicht abgeschlossen waren.

Die CAR-T-Zell-Therapie scheint bei dem derzeitigen Stand der Entwicklung bei malignen CD19-positiven B-Zellerkrankungen besonders wirksam zu sein. Dies sind Krebserkrankungen, die durch bestimmte krankhaft veränderte Blutzellen (B-Lymphozyten) verursacht werden, die auf ihrer Oberfläche das Oberflächenantigen CD19 tragen. Der teilweise unerwartet hohen therapeutischen Wirksamkeit steht auf der anderen Seite das Risiko schwerwiegender Nebenwirkungen gegenüber. Insbesondere der Zytokinsturm, bei dem eine Vielzahl von Zytokinen durch die aktivierten Immunzellen freigesetzt wird, kann lebensbedrohlich werden. Eine weitere mögliche schwere Nebenwirkung ist die Neurotoxizität, eine meist vorübergehende Beeinträchtigung des Gehirns und seiner Funktion.

Drei CAR-T-Zellprodukte von drei pharmazeutischen Unternehmen durchlaufen derzeit das europäische PRIME-Verfahren. Das beschleunigte zentralisierte Zulassungsverfahren ist bei Arzneimitteln möglich, die für Erkrankungen entwickelt werden, für die es keine oder nur eingeschränkte Behandlungsmöglichkeiten gibt. Die erste Marktzulassung für CD19-spezifische CAR-T-Zellen könnte noch im laufenden Jahr in den USA erfolgen.

Während normalerweise bei der klinischen Prüfung neuer Arzneimittelgruppen ein relevanter Anteil der Studien in Europa durchgeführt
wird, ist dies bei CAR-T-Zellen mit einem Anteil von weniger als zehn Prozent nicht der Fall. Ein ganz wesentliches Problem in Europa könnte in einer unzureichenden Infrastruktur liegen, die Wissenschaftler, Produktionsstätten, in denen genetisch modifizierte Zellen nach „Good Manufacturing Practice“ (GMP) hergestellt werden können, und den klinischen Bereich mit der Behandlungsmöglichkeit von Patienten im Rahmen klinischer Prüfungen zusammenbringt. „Die pharmazeutische Industrie betritt mit dem Einsatz eines individualisierten, auf genetisch veränderten Körperzellen basierenden Arzneimittels bei Krebserkrankungen weitgehend Neuland. Die Vernetzung von akademischen Forschern, Klinikern und pharmazeutischer Industrie sowie die intensive Beratung durch regulatorische Experten des Paul-Ehrlich-Instituts sind notwendig, um solche völlig neuartigen Therapieansätze zu entwickeln und weiter zu verbessern“, fordert Prof. Klaus Cichutek, Präsident des Paul-Ehrlich-Instituts.

Originalpublikation:
Hartmann J, Schüßler-Lenz M, Bondanza A, Buchholz CJ (2017): Clinical development of CAR-T cells – challenges and opportunities in translating innovative treatment concepts. EMBO Mol Med. 2017
doi: 10.15252/emmm.201607485

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Das Paul-Ehrlich-Institut in Langen bei Frankfurt am Main ist als Bundesinstitut für Impfstoffe und biomedizinische Arzneimittel eine Bundesoberbehörde im Geschäftsbereich des Bundesministeriums für Gesundheit (BMG). Es erforscht, bewertet und lässt biomedizinische Human-Arzneimittel und Veterinär-Impfstoffe zu und ist für die Genehmigung klinischer Prüfungen sowie die Pharmakovigilanz – Erfassung und Bewertung möglicher Nebenwirkungen – zuständig. Die staatliche Chargenprüfung, wissenschaftliche Beratung/Scientific Advice und Inspektionen gehören zu den weiteren Aufgaben des Instituts. Unverzichtbare Basis für die vielseitigen Aufgaben ist die eigene experimentelle Forschung auf dem Gebiet der Biomedizin und der Lebenswissenschaften. Das Paul-Ehrlich-Institut mit seinen rund 800 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nimmt zudem Beratungsfunktionen in nationalem (Bundesregierung, Länder) und internationalem Umfeld (Weltgesundheitsorganisation, Europäische Arzneimittelbehörde, Europäische Kommission, Europarat und andere) wahr.

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