Schätzungen zufolge leidet in Europa knapp jeder dritte an einer oder mehreren allergischen Erkrankungen. Da die zugrunde liegenden Mechanismen nach wie vor nur oberflächlich verstanden sind, können aktuelle Therapieformen lediglich die Symptome lindern. Aufzuklären, wie allergische Reaktionen überhaupt zustande kommen, ist das Ziel des von der EU geförderten Projektes ALLERGUT. Wie der Name vermuten lässt, findet dabei die Suche nach den Allergieursachen vornehmlich im Darm (englisch: gut) statt.
Projektleiter Caspar Ohnmacht und sein Team möchten vor allem das Wechselspiel zwischen Darmflora und Immunsystem in den Fokus nehmen. „Zentrales Element in unseren Untersuchungen wird das Protein RORγt* sein“, erklärt der Leiter der Arbeitsgruppe ‚Mukosale Immunologie‘ am Zentrum Allergie und Umwelt des Helmholtz Zentrums München und der Technischen Universität München. Er beschäftigt sich seit Jahren mit Entzündungsprozessen, die im Verdauungssystem ihren Ursprung haben.
RORγt ist ein sogenannter Transkriptionsfaktor, der im Zellkern Einfluss auf die Expression von Genen nehmen kann. Ohnmacht und sein Team konnten bereits zeigen, dass die Besiedelung des Darms mit Bakterien dazu führt, dass Immunzellen dort RORγt herstellen. In der Folge entwickelte sich eine immunologische Toleranz. Damit wird die Eigenschaft des Immunsystems bezeichnet, eigene und harmlose Fremdstrukturen wie Darmbakterien oder Allergene von Krankheitserregern zu unterscheiden und ihre Anwesenheit zu tolerieren. Dazu wirkt RORγt speziell in den sogenannten regulatorischen T-Zellen (Tregs) im Darm, die das Immunsystem bremsen und dafür sorgen, dass überschießende Immunreaktionen vermieden werden.
In den kommenden fünf Jahren wollen Ohnmacht und sein Team hierzu mehrere Teilaspekte untersuchen: zum einen möchten sie klären, welchen Einfluss RORγt auf die Entstehung von Allergie auslösenden Immunzellen in der Darmschleimhaut aber auch an anderen Oberflächenorganen hat. Vor allem interessiert sie die von den Tregs vermittelte Toleranz.
„Zudem wird uns die Frage beschäftigen, welche Signalwege in den dendritischen Zellen – das sind Zellen, die ständig ihre Umgebung überwachen – die Etablierung dieser Art der Toleranz regulieren“, erläutert Ohnmacht die Pläne. Drittens möchten die Helmholtz-Forscher klären, ob es bestimmte Bakterien- oder Stoffwechselgruppen gibt, die eine allergische Prädisposition begünstigen. „Sollte uns das gelingen, wäre das ein großer Schritt für das Verständnis, wieso Allergien und andere, durch mangelnde Toleranz ausgelöste chronisch-entzündliche Erkrankungen, überhaupt erst entstehen. Das könnte in Zukunft neue präventive Maßnahmen und auch die Entwicklung neuer Therapiekonzepte ermöglichen.“
Weitere Informationen
* Die Abkürzung steht für RAR-related orphan receptor gamma (RORγ). T bezeichnet eine hauptsächlich im Thymus zu findende (Iso)form.
Hintergrund:
Der Körper jedes Menschen beherbergt eine einzigartige Kombination von Milliarden unterschiedlichster symbiotischer Bakterien. Diese so genannte Mikrobiota ist an vielen Prozessen beteiligt wie etwa der Verdauung, der Herstellung von Vitaminen und der Abwehr von Krankheitserregern. Ein Verlust dieser bakteriellen Symbionten begünstigt erwiesenermaßen die Entstehung von Allergien. Die Helmholtz-Wissenschaftler konnten in einer vorangegangenen Arbeit dieses Phänomen aufklären und zeigen, wie die Mikrobiota auf das Gleichgewicht des Immunsystems wirkt: Die Anwesenheit der Mikroben blockiert spezifisch jene Immunzellen, die für das Auslösen von Allergien verantwortlich sind.
Das Helmholtz Zentrum München verfolgt als Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt das Ziel, personalisierte Medizin für die Diagnose, Therapie und Prävention weit verbreiteter Volkskrankheiten wie Diabetes mellitus und Lungenerkrankungen zu entwickeln. Dafür untersucht es das Zusammenwirken von Genetik, Umweltfaktoren und Lebensstil. Der Hauptsitz des Zentrums liegt in Neuherberg im Norden Münchens. Das Helmholtz Zentrum München beschäftigt rund 2.300 Mitarbeiter und ist Mitglied der Helmholtz-Gemeinschaft, der 18 naturwissenschaftlich-technische und medizinisch-biologische Forschungszentren mit rund 37.000 Beschäftigten angehören. www.helmholtz-muenchen.de
Das Institut für Allergieforschung (IAF) erforscht molekulare Entstehungsmechanismen von Allergien, weltweit zunehmenden Erkrankungen. Das IAF will die epidemiologische Ausbreitung aufhalten, indem Wissenschaftler und Kliniker zusammen intensiv an individuellen Präventionsansätzen forschen. Im therapeutischen Bereich wollen Wissenschaftler des Instituts neue auf den Patienten abgestimmte Ansätze entwickeln. Das IAF kooperiert dabei mit der Technischen Universität München in der gemeinsamen Einrichtung Zentrum Allergie und Umwelt (ZAUM). Außerdem ist das IAF Mitglied des Cluster Allergie und Immunität (CAI, www.cai-allergy.de) und des Deutschen Zentrums für Lungenforschung (DZL).
Die Technische Universität München (TUM) ist mit mehr als 500 Professorinnen und Professoren, rund 10.000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern und 40.000 Studierenden eine der forschungsstärksten Technischen Universitäten Europas. Ihre Schwerpunkte sind die Ingenieurwissenschaf-ten, Naturwissenschaften, Lebenswissenschaften und Medizin, verknüpft mit Wirtschafts- und Sozialwissenschaften. Die TUM handelt als unternehmerische Universität, die Talente fördert und Mehrwert für die Gesellschaft schafft. Dabei profitiert sie von starken Partnern in Wissenschaft und Wirtschaft. Weltweit ist sie mit einem Campus in Singapur sowie Verbindungsbüros in Brüssel, Kairo, Mumbai, Peking, San Francisco und São Paulo vertreten. An der TUM haben Nobelpreisträger und Erfinder wie Rudolf Diesel, Carl von Linde und Rudolf Mößbauer geforscht. 2006 und 2012 wurde sie als Exzellenzuniversität ausgezeichnet. In internationalen Rankings gehört sie regelmäßig zu den besten Universitäten Deutschlands.
Der Europäische Forschungsrat fördert mit ERC Starting Grants unabhängige Nachwuchsforscher jeder Nationalität mit zwei bis sieben Jahren Erfahrung nach Abschluss der Promotion (oder eines gleichwertigen akademischen Grads) und einer vielversprechenden wissenschaftlichen Erfolgsbilanz. Sie müssen einen exzellenten Forschungsvorschlag einreichen und das Projekt in einer öffentlichen oder privaten Forschungsorganisation mit Sitz in einem EU-Mitgliedstaat oder einem assoziierten Staat durchführen. Dafür erhalten sie bis zu 1,5 Millionen Euro innerhalb von fünf Jahren. Homepage:
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Dr. Caspar Ohnmacht, Helmholtz Zentrum München – Deutsches Forschungszentrum für Gesundheit und Umwelt (GmbH), Institut für Allergieforschung, Ingolstädter Landstr. 1, 85764 Neuherberg – Tel. +49 89 3187 2556 – E-Mail: