Ein Schlüssel zur Welt unseres geistigen Auges

Im Jahr 1981 erhielten die Neurowissenschaftler Hubel und Wiesel den Nobelpreis für die Entdeckung von Gehirnzellen, die mit hoher Aktivität auf Objektkanten in Bildern reagieren. Dies zeigte, dass unsere Gehirnaktivität mit Merkmalen wie Kanten in Bildern in Verbindung steht. Später konnte man mit mathematischen Modellen erklären, warum Gehirnzellen auf bestimmte Objektmerkmale mit starkem Feuern reagieren. Diese Modelle beschreiben, wie das Gehirn ein internes Bild generieren kann – allerdings spiegeln sie die tatsächliche Struktur von natürlichen Bildern bisher nur sehr vereinfacht wieder. So ignorieren sie etwa Verdeckungen zwischen Objekten, wie sie in der sichtbaren Welt allgegenwärtig sind. Eine bestimmte Art von Nervenzellen, die man erst seit wenigen Jahren kennt, lässt sich aber nur schwer mit den gängigen vereinfachten Modellen erklären.

Forscher des Bernstein Fokus Neurotechnologie Frankfurt, der Goethe-Universität Frankfurt und des Frankfurt Institute for Advanced Studies haben nun gezeigt, dass sich das Verhalten dieser neuen Gehirnzellen besser in neuronalen Modellen beschreiben lässt, wenn weitere Informationen in sie einfließen. In ihrer Studie verglichen sie herkömmliche Modelle mit einem, das Verdeckungen zwischen Objekten berücksichtigt. Dabei zeigte sich: Das neue Beschreibungsmodell sagte im erhöhten Maße neuronale Verhaltensweisen vorher, welche diese spezielle Nervenzellart besitzt. Das Ergebnis gibt auch einen Hinweis auf die Funktion der Neurone. „Es gibt noch andere mögliche Erklärungen warum es solche Zellen in unserem Gehirn gibt“, sagt Jörg Lücke, „aber unsere Ergebnisse legen die Kodierung von Verdeckungen als plausibelste Erklärung nahe.“

Die beteiligten Forscher glauben, dass die neu gewonnen Erkenntnisse auch die Entwicklung von computergestützten Bild-Analysetechniken entscheidend voranbringen können. „Wir wissen noch sehr wenig darüber, wie unser Gehirn Bilder versteht und interpretiert. Gleichzeitig ist unser Gehirn, und übrigens auch die Gehirne von Tieren, im Verstehen von Bildern heutigen Computerprogrammen weit überlegen“, sagt Lücke. Eine Verbesserung des sogenannten Computer-Sehens hätte vielfältige Anwendungsmöglichkeiten. Eine Anwendung mit der sich Lücke derzeit zusammen mit Kollegen beschäftigt ist die Analyse von Mikroskopie-Bildern zur automatischen Krebserkennung.

Die Studie wurde gefördert von der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG) und des Bernstein Fokus Neurotechnologie Frankfurt. Des Weiteren wurde das Projekt unterstützt vom Honda Research Institute Europe.

Der Bernstein Fokus Neurotechnologie Frankfurt ist Teil des Nationalen Bernstein Netzwerks Computational Neuroscience. Seit 2004 fördert das Bundesministerium für Bildung und Forschung (BMBF) mit dieser Initiative die neue Forschungsdisziplin Computational Neuroscience mit über 170 Mio. €. Das Netzwerk ist benannt nach dem deutschen Physiologen Julius Bernstein (1835-1917).

Weitere Informationen erteilen Ihnen gerne:
Dr. Jörg Lücke
Bernstein Fokus Neurotechnologie Frankfurt und
Frankfurt Institute for Advanced Studies
Goethe-Universität Frankfurt
Ruth-Moufang-Straße 1
60438 Frankfurt am Main
eMail: luecke@fias.uni-frankfurt.de
Tel: +49 (0)69 798 47509

Originalpublikation:
J. Bornschein, M. Henniges and J. Lücke (2013): Are V1 simple cells optimized for visual occlusions? A comparative study. PLoS Computational Biology 9(6): e1003062.
doi:10.1371/journal.pcbi.1003062

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