Durchgangssyndrom – Krankenhaus-Patienten können nach einer Operation plötzlich verwirrt sein. Nächste Angehörige sind nicht nur schockiert sondern vielfach auch ratlos. Die Ursache für die Verwirrtheit kann ein so genanntes Durchgangssyndrom sein. Wir haben für Sie zu den häufigsten Fragen an den Arzt und das Pflegepersonal die Antworten zum Thema Durchgangssyndrom zusammengestellt.
Durchgangssyndrom – 10 Fragen und 10 kurze Antworten
Was ist ein Durchgangssyndrom?
Was ist die Geschichte des Durchgangssyndroms?
Wie häufig ist ein Durchgangssyndrom?
Wie entsteht ein Durchgangssyndrom?
Wie äußert sich ein Durchgangssyndrom?
Welche Erkrankungen ähneln dem Durchgangssyndrom?
Wie können Angehörige helfen?
Welche Medikamente werden zur Behandlung eingesetzt?
Wie ist der Verlauf eines Durchgangssyndroms?
Wo finden Angehörige Hilfe?
Durchgangssyndrom – Wenn Krankenhauspatienten nach einer Operation verwirrt sind
1. Was ist ein Durchgangssyndrom?
Mit der Bezeichnung „Durchgangssyndrom“ ist in der Medizin ein Zustand gemeint, der sich in Form akuter Bewusstseinsstörungen (Psychosyndrom) äußert und dessen Ursache in einer akuten organischen Veränderung des Gehirns zu suchen ist.
Störungen im Denken, Fühlen und in der Psychomotorik sind dabei auffällig. Durchgangssyndrome sind für gewöhnlich reversibel, das heißt, sie bilden sich nach einer gewissen Zeit vollständig zurück. Außerdem sind Psychosyndrome mit Bewusstseinsveränderungen (Delir) und ohne Bewusstseinsveränderungen (zum Beispiel Halluzinose) zu unterscheiden.
2. Was ist die Geschichte des Durchgangssyndroms?
Das Wissen um akute organische Psychosen wurde vor allem von Bonhoeffer geprägt. Er erkannte bei allen psychischen Veränderungen, die durch akute körperliche Erkrankungen hervorgerufen werden, eine geringe Zahl immer wiederkehrender Symptome und Verlaufsmuster: Delir, Halluzinose, Erregungszustand, Dämmerzustand und Amnesie. Diese fasste er 1917 unter dem Begriff „akuter exogener Reaktionstyp“ zusammen. 1961 wurden sie bei Wieck Mittelpunkt seiner Lehre von den Durchgangssyndromen. Der traditionelle psychiatrische Sprachgebrauch bezeichnet als Delir einen akuten, schweren aber grundsätzlich rückbildungsfähigen Krankheitszustand, der durch Situationsverkennung, optische Sinnestäuschungen und Veränderung des Realitätsbezugs gekennzeichnet ist. Nicht dem Delir zuzuordnen sind akute psychoorganische Syndrome ohne Bewusstseinsveränderung wie Halluzinosen oder Amnesie. Das Delir ist somit in den modernen Klassifikationssystemen im Rahmen der akuten organischen Psychosen der wichtigste Begriff und ist der zusammenfassende Begriff für alle akuten organisch bedingten psychischen Syndrome, die mit einer Bewusstseinsveränderung einhergehen.
3. Wie häufig ist ein Durchgangssyndrom?
Ein Auftreten akuter organischer psychischer Störungen ist zwischen dem 18. und 64. Lebensjahr sehr gering und beträgt unter einer Promille. In der Altersgruppe ab 65 Jahren kommt es bei einem bis sechzehn Prozent zur Ausbildung von akuten organischen psychischen Störungen. Bei älteren Personen, die in ein Krankenhaus aufgenommen werden, liegt in zehn bis fünfundzwanzig Prozent der Fälle ein Delir vor. Dabei ist das Auftreten abhängig von den verschiedenen Krankenabteilungen und den jeweiligen Patientengruppen. So findet sich zum Beispiel bei dreißig Prozent der Patienten, die auf einer Intensivstation behandelt werden, ein Delir.
4. Wie entsteht ein Durchgangssyndrom?
Es gibt viele Faktoren, die zur Entstehung eines Durchgangssyndroms beitragen: Neben einer individuellen Veranlagung sind auch verschiedene äußere Faktoren von Bedeutung. So sind zum Beispiel Patienten mit einer hirnorganischen Verletzung (wie zum Beispiel einem Schädel-Hirn-Trauma) oder einer Alkohol- beziehungsweise Drogenabhängigkeit besonders gefährdet, ein akutes organisches Psychosyndrom zu entwickeln. Bei Patienten mit einer früheren Episode eines akuten organischen Psychosyndroms ist es wahrscheinlich, dass sie unter gleichen Bedingungen wieder eines entwickeln. Zu den Ursachen für das „postoperative“ akute organische Psychosyndrom gehören unter anderem Stress durch den Eingriff, postoperative Schmerzen, Schlaflosigkeit, Schmerzmittel oder sonstige Medikamente, Elektrolytschwankungen, Infektionen, Fieber und Flüssigkeitsverlust. Patienten, die sehr ängstlich vor medizinischen oder operativen Eingriffen sind, scheinen ein größeres Risiko aufzuweisen als weniger ängstliche Patienten. Auch eine Behandlung mit Psychopharmaka, beispielsweise mit Antidepressiva, kann bei Überdosierung zum Delir führen. Vor allem ältere Menschen reagieren auf Medikamentennebenwirkungen überaus empfindlich. Außerdem können akute organische Psychosyndrome durch nicht-psychoaktive Medikamente wie antiallergischen Mittel ausgelöst werden.
5. Wie äußert sich ein Durchgangssyndrom?
Obwohl das akute organische Psychosyndrom gewöhnlich plötzlich einsetzt, gibt es häufig Symptome, die ihm vorausgehen, wie zum Beispiel Unruhe tagsüber, Angst oder Furchtsamkeit, Überempfindlichkeit für Licht oder Geräusche, leichte Ablenkbarkeit. Gering ausgeprägte Durchgangssyndrome mit lediglich depressiver Verstimmung oder einer Form der Hysterie sind oft schwer als organische Psychosyndrome zu erkennen.
Entwickelt sich ein ausgeprägtes organisches Psychosyndrom, wird der Patient zunehmend desorientiert und verwirrt. In diesem Stadium ist die zeitliche und örtliche Orientierung gestört. Die zeitliche Desorientiertheit ist häufig das erste Symptom, das bei der Entstehung eines Delirs auftritt. Mit Ausnahme schwerster Fälle bleibt die Orientierung zur Person jedoch intakt, das heißt der Patient ist sich seiner Identität durchaus bewusst. Bei stärker ausgeprägten Psychosyndromen nimmt die Denkfähigkeit ab, Denkabläufe sind verlangsamt, weniger konkret und desorganisiert. Urteilsfähigkeit und Problemlösung werden schwierig oder unmöglich. Häufig sind auch Wahrnehmungsstörungen, einschließlich Illusionen und Halluzinationen. Diese können zwar alle Sinne betreffen , sind aber vor allem visueller Art. Lebhafte Albträume kommen häufig vor und vermischen sich mit den Halluzinationen. Auch die Psychomotorik ist für gewöhnlich gestört: Der Patient ist entweder lethargisch oder hyperaktiv bis zur Erschöpfung. Wechsel zwischen den einzelnen Zuständen können rasch erfolgen.
Die am häufigsten auftretenden Gefühle im Rahmen ausgeprägter Psychosyndrome sind Furcht und Angst. Wenn die Furcht sehr intensiv ist oder das Ergebnis von Halluzinationen, versucht der Patient eventuell durch Flucht möglichen Schaden von sich selbst oder anderen abzuwenden und ist dann in Gefahr, Schaden zu erleiden. Auch Blässe, Erröten, Schwitzen, Herzrhythmusstörungen, Übelkeit und Erbrechen werden bei deliranten Patienten beobachtet. Meistens bestehen schwerste Störungen des Schlaf-Wach-Rhythmus. Tägliche beziehungsweise stündliche Wechsel in der Symptomatik sind ein typisches Zeichen des akuten organischen Psychosyndroms. Nachts und in den frühen Morgenstunden ist die Symptomatik meist am ausgeprägtesten. Einige Patienten sind nur nachts verwirrt und am Tag wieder klar. Die Erinnerung an das Geschehene ist charakteristischerweise bruchstückhaft; der Patient berichtet darüber, wie über einen schlechten Traum, der nur vage erinnert wird.
6. Welche Erkrankungen ähneln dem Durchgangssyndrom?
Ein akutes organisches Psychosyndrom wird gewöhnlich am Krankenbett oder in der Ambulanz diagnostiziert und ist durch das plötzliche Auftreten der typischen Symptome charakterisiert. Eine ausführliche klinische Diagnostik, besonders eine sorgfältige neurologische Untersuchung, sowie bildgebende Verfahren und Labortests sind jedoch zum Ausschluss verwandter Erkrankungen erforderlich:
Demenz
– schleichender Beginn
– Dauer länger als sechs Monate, über Jahre fortschreitend
– keine Bewusstseinsstörung
– erst spät Orientierungsstörungen
– geringe körperliche Befunde
– erst spät psychomotorische Veränderungen
Ganser-Syndrom
– Patienten versuchen mit einer vorgetäuschten Erkrankung
Symptome eines organischen Psychosyndroms nachzuahmen
Es handelt sich meist um eine Wunsch- oder Zweckreaktion.
Schizophrenie
– Ist durch konstantere und besser organisierte Halluzinationen
und Wahnvorstellungen gekennzeichnet.
– Außerdem kein Wechsel der Bewusstseinslage und Vorliegen
einer intakten Orientierung.
Reaktive Psychosen
– Zeigen zwar Desorganisation der Sprache und den
– Verlust von Assoziationen, jedoch
– keine Verschlechterung in den Denkabläufen
7. Wie können Angehörige helfen?
Grundregel einer erfolgreichen Behandlung eines akuten organischen Psychosyndroms ist das Erkennen der Ursache und die rechtzeitige Einleitung einer angemessenen medizinischen Therapie. Außerdem sind allgemeine und symptomatische Maßnahmen nötig, die den Stress vermindern und Komplikationen wie Unfälle und Verletzungen verhindern sollen. Wichtig sind eine geeignete Ernährung und ein ausgeglichener Elektrolyt- und Flüssigkeitshaushalt. Die Behandlung ist teilweise auch von den Umständen abhängig, unter denen das akute organische Psychosyndrom auftritt, vom Alter der erkrankten Person und vom medizinischen Gesamtzustand. Wichtig ist, dass in jedem Fall für eine optimale soziale, pflegerische und sensorische Umgebung gesorgt wird! Manchmal profitieren die Patienten von einem abgeschwächten Licht bei Nacht und häufigen Besuchen durch Familienmitglieder. Um die Orientierung aufrechtzuerhalten, kann es zum Beispiel sinnvoll sein einen Fernseher aufzustellen oder den Patienten mit seinem Namen anzusprechen. In der Regel ist eine stationäre Behandlung erforderlich.
8. Welche Medikamente werden zur Behandlung eingesetzt?
Um Unruhe und Wahnvorstellungen zu verbessern, werden häufig so genannte Neuroleptika eingesetzt wie zum Beispiel Haloperidol oder Risperidon. Sie werden zunächst über eine Spritze in den Muskel verabreicht; sobald der Patient sich beruhigt, kann man die Therapie über Tropfen oder Tabletten fortführen. Gegen Schlaflosigkeit wird in Deutschland meist das so genannte Clomethiazol eingesetzt. Dabei ist auf das Risiko einer Verschlechterung der Atemtätigkeit und auf die mögliche Verschleimung der Bronchien zu achten. Alternativen sind vor allem bei älteren Patienten Melperon oder Pipamperon. Bei akuten organischen Psychosyndromen ohne eine Bewusstseinsstörung wird eine syndromorientierte Psychopharmakotherapie mit Neuroleptika, Antidepressiva oder Benzodiazepine durchgeführt.
9. Wie ist der Verlauf eines Durchgangssyndroms?
Die Dauer eines Delirs richtet sich nach der jeweiligen Ursache und vor allem ihrem Schweregrad. Akute organische Psychosyndrome sind prinzipiell rückbildungsfähig, wenn die zugrunde liegende Ursache erkannt und rechtzeitig therapiert wird. Ein unbehandeltes organisches Psychosyndrom kann spontan abklingen oder aber in ein chronisches hirnorganisches Syndrom übergehen oder bis hin zu einem demenziellem Zustand fortschreiten.
10. Wo finden Angehörige Hilfe?
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