Eine Metaanalyse von Ernährungsdaten aus alten Tier- und Menschenknochen, die an verschiedenen Orten in der eurasischen Steppe, vom Kaukasus bis zur Mongolei gefunden wurden, belegt, dass Hirtennomaden ihr angebautes Getreide über Handelsbeziehungen und soziale Netzwerke in der gesamten eurasischen Steppe verbreitet haben. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler der Christian-Albrechts-Universität zu Kiel haben bereits veröffentlichte Stabilisotopen-Analysen gesichtet und neue quantitative Analysen durchgeführt, mittels derer menschliche Nahrungsaufnahmen mit Umwelteinflüssen abgeglichen wurden. Anhand der Ergebnisse konnten die Forscherinnen und Forscher die Aufnahme von Hirse in den Speiseplan zeitlich besser eingrenzen und damit einen Zusammenhang zwischen dieser veränderten Ernährungsweise und aufkeimenden soziopolitischen Netzwerken belegen.
Durch ein Big-Data-Projekt, in dessen Rahmen über 1.000 Stabilisotopen-Datenpunkte untersucht wurden, waren die Forschenden nun in der Lage, anhand der Informationen zur Nahrungsaufnahme in ganz Eurasien einen frühen Übergang zur Landwirtschaft zu belegen. „Wir wussten bisher überraschend wenig darüber, wie schnell sich Getreide in der eurasischen Steppe verbreitet hat – das liegt zum Teil daran, dass sich die meisten Grabungen auf Friedhöfe konzentrieren und nicht auf Siedlungen, wo die Menschen ihre Essensreste entsorgt haben“, erklärt Hauptautorin Alicia Ventresca Miller, zuvor Christian-Albrechts-Universität zu Kiel und heute Max-Planck-Institut für Menschheitsgeschichte. „Aber auch bei Ausgrabungen von Siedlungen finden wir oft nur schlecht erhaltene karbonisierte Saatgutreste. Deswegen sind die Stabilisotopen-Analysen menschlicher Überreste aus dieser Region auch so wertvoll – sie bieten einen direkten Einblick in die Ernährungsdynamik früher Hirtennomaden, die verschiedene Umgebungen bewohnt haben.“
Hirse verbreitet sich über die gesamte eurasische Steppe
Die ursprünglich in China kultivierte Hirse wurde wahrscheinlich schon seit dem späten 3. Jahrtausend v. Chr. gelegentlich in kleineren Mengen von Hirtennomaden in entlegenen Regionen Sibiriens und im südöstlichen Kasachstan konsumiert. Dies korreliert mit der Ausweitung überregionaler Netzwerke in der Steppe und dem damit verbundenen erstmaligen Austausch von Objekten und Ideen über große Distanzen hinweg.
Zum festen Bestandteil des Speiseplans der Hirtennomaden wurde Hirse jedoch erst tausend Jahre später. Zeitlich deckt sich dies mit der Intensivierung komplexer politischer Strukturen zu Beginn der Eisenzeit. Diese aufkeimenden soziopolitischen Verbindungen führten zu einem deutlich intensiveren Austausch teurer Prestigeobjekte, wodurch politische Netzwerke weiter gestärkt und die Verbreitung von Kulturpflanzen erleichtert wurde.
Weizen und Gerste im Trans-Ural
Obwohl diese politischen Netzwerke auch mit Bevölkerungsgruppen im Trans-Ural bestanden, stand hier eher der Anbau von Weizen und Gerste im Vordergrund. Dies könnte an den unterschiedlichen Anbautechniken, besserer Wasserverfügbarkeit oder am höheren Wert dieser Kulturpflanzen liegen. „Unsere Forschung lässt darauf schließen, dass Kulturpflanzen während der Bronzezeit noch rare Luxusgüter waren, sich aber während der Eisenzeit zu einem Mittel der Teilhabe an elitären politischen Netzwerken entwickelten,“ sagt die Co-Autorin Professorin Cheryl Makarewicz von der Christian-Albrechts Universität zu Kiel.
Regionale Unterschiede beim Hirsekonsum
Während Viehhaltung weit verbreitet war, konnte sich Hirse nicht in allen Regionen durchsetzen. Im Südwesten Sibiriens basierte die Ernährung hauptsächlich auf viehwirtschaftlichen Erzeugnissen sowie auf regionalen Wildpflanzen und Fisch. Im Gegensatz dazu korreliert die verzögerte Einführung von Hirse in der Mongolei während der späten Eisenzeit mit dem Aufstieg des Nomadenreichs Xiongnu. „Dies ist besonders interessant, weil es darauf schließen lässt, dass sich Gemeinschaften in der Mongolei und Sibirien von der Umstellung auf Hirseanbau abgewandt haben, aber weiterhin Kontakte zu benachbarten Stämmen gepflegt haben,“ erklärt Ventresca Miller.
Diese Studie verdeutlicht das große Potenzial existierender Isotopen-Daten für die Erforschung der menschlichen Nahrungsaufnahme in bisher wenig untersuchten paläobotanischen Bereichen. Weitere Studien sollen klären, welche Getreidearten genau für die Veränderung der Ernährung ausschlaggebend waren (z.B. Besensorgho oder Kolbenhirse) und wie die Tausch-Netzwerke die verschiedenen Regionen miteinander verbunden haben.
Originalpublikation:
Ventresca Miller und Makarewicz, “Intensification in pastoralist cereal use coincides with the expansion of trans-regional networks in the Eurasian Steppe”, Nature: Scientific Reports (2019). DOI: https://doi.org/10.1038/s41598-018-35758-w
Bilder stehen zum Download bereit:
Karte des Hirse- und Weizen- bzw. Gerste-Verbrauchs im Zeitverlauf: a) 1000-500 cal BC, b) 500-200 cal BC, und c) 200 BC-AD 400
© I. Reese und A. R. Ventresca Miller 2017
Weizenhalme als Teil einer Skulptur in Kostanai, Kasachstan.
©Ventresca Miller 2014
Hirseanbau in Zentralasien.
© Spengler 2014
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ventrescamiller@shh.mpg.de
Cheryl Makarewicz
c.makarewicz@ufg.uni-kiel.de
Originalpublikation:
Ventresca Miller und Makarewicz, “Intensification in pastoralist cereal use coincides with the expansion of trans-regional networks in the Eurasian Steppe”, Nature: Scientific Reports (2019). DOI: https://doi.org/10.1038/s41598-018-35758-w