(djd). „Moin, ich bin Paul!“, klingt es von irgendwo unterhalb der menschenleeren Mole am Hafen. Ein Blick nach unten zeigt, dass dort ein kleiner Kutter am Reibepfahl vertäut liegt. Darauf ein wettergegerbter Mann mit breitem Lachen, in Ölzeug verpackt und mit Gummistiefeln ausgestattet. Am Heck und an der Seite des kleinen Kutters „Tümmler“ hängen verzurrte Netze an metallenen Vorrichtungen, darunter ein kleiner Kocher und viele bunte Plastikkörbe für den Hol, wie die Fischer den Fang nennen.
Durch die Nacht gen Dänemark
Es ist zwei Uhr morgens am Lister Hafen und der Kutter tuckert langsam auf die Ausfahrt des Hafens zu. Sobald die Lichter der Mole schwächer werden, umspielt nur noch die schwarze See den Kutter. Der Kurs geht gen Dänemark nach Osten, und zur Orientierung dienen die grünen und roten Lichter der Markierungstonnen sowie das Leuchtfeuer der beiden Lister Leuchttürme auf dem Ellenbogen. Nach wenigen Minuten zeigen die Geräte im Steuerhaus an, dass der Meeresboden in mehr als zehn Metern Tiefe liegt – also Zeit, das Netz in die See abzulassen. Als ein Großteil des Netzes in dem schwarzen Wasser verschwunden ist, fängt das Boot an, auf dem Wasser zu tänzeln, nach links und rechts zu ziehen und sich zu drehen. Paul scheint darüber nicht sonderlich beunruhigt – er justiert das Netz und kommt dann ganz entspannt wieder nach vorne ans Steuer.
Das Netz erledigt die Arbeit
Das Netz muss jetzt die Arbeit erledigen, und im Steuerhaus findet sich Zeit für Seemannsgarn und Geschichten von früher. Damals, als der Lister Hafen noch dem Bund gehörte, in der Tonnenhalle im Winter noch die Seezeichen gelagert wurden, Künstlernaturen Gemälde vom Wattenmeer in kleinen Ateliers erschufen und zwei kleine Büdchen Fischbrötchen und auch Marmeladenbrote feilboten. Geschichten von Eitelkeiten, Stolz und der großen Politik unterhalten Besatzung und Urlauber, während die Maschine gleichmäßig tuckernd das Boot durch die Nacht und über das Wattenmeer steuert. „Warum müssen wir eigentlich mitten in der Nacht raus, um die Krabben zu fischen?“, wird Paul gefragt. Der hat die Antwort sofort bereit: „Wenn es hell ist, können die Krabben den Schatten wahrnehmen und springen dann über den Rand vom Netz hinweg.“
Frühstück auf dem Meer
Über eine Stunde verrinnt über den Geschichten von Paul und dem Nicht-Sattsehen-Können an den Lichtern von List auf Sylt und den Leuchttürmen auf dem Ellenbogen. Eine erste Spur von Morgenröte lässt sich am östlichen Himmel ausmachen und Paul drosselt die Maschine leicht runter. Zeit, das Netz aus der Tiefe zu ziehen. Bevor die Winden anfangen, die Trosse mit dem Netz aufzurollen, entzündet Paul noch ein Feuer in dem kleinen Kocher, damit die Krabben gleich gekocht werden können. Und schließlich durchbricht ein prall gefülltes Netz die Wasseroberfläche. Neben Tausenden kleinen Krabben sind auch kleine Fische und bunte Seesterne im Netz, die gleich wieder in ihrem Element landen. Paul fängt an, die gefischten Krabben mit Salzwasser zu reinigen. Aufsteigender Wasserdampf zeigt an, dass das Meerwasser im Kocher seinen Siedepunkt erreicht hat und eine erste Ladung der nächtlichen Arbeit landet mit ein wenig Salz im Topf. Bald erfüllt der köstliche Duft von frisch gekochten Krabben das Steuerhaus und die Vorfreude auf die Verkostung steigt. Und während die langsam aufsteigende Sonne das schwarze Meer in dunkelblaue See verwandelt, dürfen endlich die frischen Krabben probiert werden.
Zurück im Lister Hafen
Nachdem die letzte Ration gekocht, das Deck wieder aufgeklart und der Fang gut verstaut ist, wendet Paul den Bug des Kutters wieder gen Hafen List auf Sylt. Fast wie von allein findet der „Tümmler“ den Weg zurück Richtung Liegeplatz und durchfährt sicher die Strömung vorm Hafeneingang. Die Taue werden festgezurrt und das Ergebnis des nächtlichen Abenteuers an Land gehievt. Es ist halb sieben Uhr morgens am Lister Hafen. Mit dem Lieferverkehr erwacht der Hafen langsam zum Leben. Zeit, mit frischen Brötchen nach Hause zu kommen.