„Deutschland könnte genetische Optimierungen erlauben“

Eingriffe ins menschliche Erbgut, die nicht medizinisch-therapeutischen Zwecken dienen, sondern der Verbesserung gesunder Menschen, sind nach heutiger Rechtslage in Deutschland zulässig, sobald die Forschung dafür sichere Wege gefunden hat. Zu diesem Schluss kommt eine neue Studie aus dem Exzellenzcluster „Religion und Politik“ der Uni Münster. „Das Grundgesetz gebietet nicht, sichere genetische Verbesserungen zu verbieten“, erläutert Rechtswissenschaftlerin Dr. Lioba Welling. „Ein absolutes und unumstößliches Verbot des genetischen Enhancements ist im neutralen Rechtsstaat juristisch nicht zu begründen, da das Verfahren keine Grundrechte verletzt.“ Die Medizin könne solche Wünsche heute zwar noch nicht erfüllen. „Doch die Forschung dürfte sich so schnell entwickeln wie in der Gentherapie, die bis zum ersten zugelassenen Medikament nur 15 Jahre brauchte und ihrerseits ebenfalls gravierende Fragen aufwarf. Darauf sollte die Gesellschaft politisch, ethisch und rechtlich vorbereitet sein.“

Die Autorin hat in ihrer Studie erstmals die Zulässigkeit von Eingriffen ins Erbgut untersucht, die Gesundes verbessern sollen, und dabei sowohl die aktuelle Rechtslage als auch zukünftige Regelungsmöglichkeiten analysiert. „Der Wunsch nach genetischen Verbesserungen kann bei vielen Menschen aufkommen“, so Dr. Welling. „Dahinter stehen ähnliche Motive wie bei Schönheitsoperationen, Doping oder hohen Bildungsinvestitionen: die Hoffnung auf Schönheit, Gesundheit, Leistung und Erfolg.“

Bedenken gegen „Designerbabys“

Auf der anderen Seite seien unter Schlagworten wie „Designerbaby“ und „Frankenstein-Projekt“ regelmäßig Bedenken zu hören. Das gilt der Forscherin zufolge vor allem für die Veränderung von Keimbahnzellen, mit der das Erbgut der Kinder und aller folgenden Generationen beeinflusst würde, wohingegen Eingriffe in ausdifferenzierte Körperzellen alleine das jeweilige Individuum beträfen.

„Sobald die Medizin garantieren kann, dass das Einfügen der erwünschten Gensequenzen ins Genom nicht zu Behinderungen oder Krankheiten führt, wird es erforderlich, aktuelle Rechtsnormen zu überdenken, die genetische Enhancements bislang verbieten“, sagt die Wissenschaftlerin. Denn dann seien Sinn und Zweck des Verbotes eines solchen Eingriffes in Keimbahnzellen durch das Embryonenschutzgesetz hinfällig und auch das arzneimittelrechtliche Verbot von genetischen Enhancements an somatischen Zellen sei nicht mehr einschlägig. Umso eher müsse sich die Gesellschaft verständigen, ob sie das Verfahren wolle. „Die Gesellschaft sollte von den neuen medizinischen Möglichkeiten nicht überrascht werden, sondern sie gestalten.“

„Religiöse Argumente unzulässig“

Die Studie, die unter Leitung des Rechtsphilosophen Prof. Dr. Thomas Gutmann in der Graduiertenschule des Exzellenzclusters entstand, kommt somit zu dem Schluss, dass genetische Verbesserungen zu nicht-medizinischen Zwecken im deutschen Recht und in der liberal-demokratischen Staatsverfassung nicht zwingend verboten werden müssen. „Die Verbesserungen am Erbgut verletzen, sobald sie mit hinreichender Sicherheit durchgeführt werden können, keine Grundrechte, insbesondere auch nicht die Menschenwürde“, so die Autorin. „Ein Verbot ist daher verfassungsrechtlich nicht zwingend erforderlich.“ Die Möglichkeit zum Verbot stehe dem Gesetzgeber zwar offen; da die Verfassung es aber nicht zwingend erfordere, könne es stets wieder aufgeweicht oder aufgehoben werden.

„Sollte sich die Gesellschaft aus politischen oder ethischen Gründen für ein Gesetzesverbot entscheiden, auch wenn es verfassungsrechtlich nicht erforderlich ist, können dafür allerdings keine religiösen Argumente herangezogen werden“, so die Juristin. Dazu zähle etwa, dass das Erbgut unantastbar sei oder der Mensch nicht Schöpfer seiner selbst. Dr. Welling: „Der neutrale Rechtsstaat kann keine religiösen oder anderweitig partikularen Argumente zulassen, die ein Teil der pluralistischen Öffentlichkeit nicht teilen würde. Er muss sich aus dem Streit um die Weltanschauung heraushalten.“ Ein gleichwertiges, säkulares Argument, das die im Grundgesetz gewährleistete Menschenwürde über das jeweilige Individuum auf die Gattung Mensch ausdehne und so ein Verbot zwingend gebiete, gebe es aber nicht. „Der Rechtsstaat stößt hier an seine Grenzen.“

Philosophische und soziale Argumente

Um genetische Verbesserungen künftig zu regeln, empfiehlt die Autorin eine Debatte über grundsätzliche Fragen auch nicht-rechtlicher Art: „Dazu gehört der soziale Aspekt, dass sich nur wenige Menschen den teuren genetischen Eingriff werden leisten können.“ Daraus folge die Frage, wie sich Leistungen von „genverbesserten“ und „nicht genverbesserten“ Menschen vergleichen lassen, etwa wenn es um Studien- oder Arbeitsplätze gehe. „Teilweise wird auch die Gefahr gesehen, dass aus einer Wunschmedizin ein Zwang zur Selbstoptimierung wird, damit Menschen überhaupt gesellschaftlich mithalten können. Der Arzt könnte, so glauben skeptische Stimmen, womöglich zum ‚Komplizen‘ gesellschaftlicher Normerwartungen gemacht werden, wodurch das Arzt-Patienten-Verhältnis und das ärztliche Ethos Schaden nähmen“, erläutert die Juristin. Sie analysiert diese Argumente ebenso wie das der slippery slope, einer abschüssige Bahn, welche die Gesellschaft hinabgleiten könnte, auf der es kein Halten mehr gibt und die zu unmenschlichen eugenischen Praktiken führen würde, kritisch. „Bei der Einschätzung und Gewichtung dieser Kriterien hat der Gesetzgeber einen weiten Entscheidungsspielraum. Zu vermuten steht aufgrund der Untersuchung aber, dass die diskutierten Argumente ihrerseits ein umfassendes Verbot nicht rechtfertigen“, sagt Dr. Welling. (ska/vvm)

Aufbau der Studie

Die Autorin erörtert in der Studie, die im Springer-Verlag erschienen ist, zunächst die Zulässigkeit der verbessernden Veränderung von Erbsubstanz anhand des geltenden Rechts und analysiert dann verschiedene, nicht nur rechtliche Aspekte, die im Rahmen einer künftigen gesetzlichen Regelung genetischer Enhancements in Einklang zu bringen sind. Dr. Welling wirft dabei die Frage auf, mit welchen Argumenten – religiösen oder religiös neutralen – sich die Unverfügbarkeit der Natürlichkeit des menschlichen Genoms begründen lasse, um verbessernde Eingriffe in die Erbsubstanz rechtlich zu regulieren, und inwieweit diese als rechtliche Argumente valide sind.

Hinweis: Welling, Lioba Ilona Luisa: Genetisches Enhancement. Grenzen der Begründungsressourcen des säkularen Rechtsstaates?, Berlin: Springer-Verlag 2014, 292 Seiten, ISBN 978-3-642-53992-3, 99,99 Euro.

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